Interview

Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker/innen sind Angriffe auf die lokale Demokratie

Behörden Spiegel: Frau Marnich, seit Jahren gibt es immer wieder Angriffe auf Amtspersonen in deutschen Kommunen. Ist der Eindruck richtig, dass sich diese Vorfälle häufen?

Miriam Marnich: Amtspersonen stehen in der Öffentlichkeit. Sie sind die ersten, die mit Problemen, Unmut und Zorn der Bürgerinnen und Bürger konfrontiert werden. Angriffe auf öffentliche Personen gab es schon immer. Aber die Qualität hat sich über die Jahre verändert.

Behörden Spiegel: Inwiefern?

Marnich: Es gab zwei Punkte, an denen die Situation kippte. Der erste war 2015/2016 der starke Zuzug von Flüchtlingen. Der zweite war der Mord am Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke. Sein Engagement für Flüchtlinge und seine Auseinandersetzung mit Pegida-Anhängern war deutschlandweit bekannt. Seine Ermordung hat alle aufgerüttelt. 

Behörden Spiegel: Warum wurde die Situation nicht rechtzeitig erkannt?

Marnich: Es wurde zu lange nur auf die Politikerinnen und Politiker auf Bundesebene und Landesebene geschaut. Die kommunalen Behörden und die haupt- und ehren amtlich Tätigen hatte man bei diesem Thema nicht ausreichend im Blick. Durch die Corona-Pandemie mit ihren restriktiven, aber notwendigen Regeln hat sich die Situation verschärft. An vielen Stellen des kommunalen Lebens mussten Entscheidungen getroffen und auf Bundes- oder Landesebene beschlossene Regelungen umgesetzt werden. Heute konzentrieren wir uns viel mehr auf die kommunale Ebene.

Behörden Spiegel: Was ist damals falsch gelaufen?

Marnich: Es gab und gibt bis heute eine Art Staatsverdrossenheit. Die Leute konnten nicht mehr nachvollziehen, wer warum welche Entscheidungen getroffen hat. Es gab nicht wirklich Raum für Diskussionen. Oft fing es an mit kleinsten Dingen, etwa mit Straßenbau, Bauplanung, Windpark, Abwasser, die den Betroffenen nicht gefallen haben. Dann erlebten wir, wie mit einer Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander aufeinander losgegangen wurde. Das Klima hatte sich wahnsinnig verändert. Das muss man auf kommunaler Ebene erst mal aushalten können.

Behörden Spiegel: Wird es eher schlimmer oder besser?

Marnich: Eher schlimmer.

Behörden Spiegel: Woher kommt dieser Unmut?

Marnich: Es geht um die persönliche Betroffenheit der Leute. Es geht um ihr Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden mit ihrer Meinung. Es geht um ihr Gefühl, abgehängt zu sein, weit weg von Politik. In ländlichen Peripheren bricht vieles zusammen. Die Infrastruktur funktioniert nicht mehr, die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass die jungen Leute wegziehen. Andererseits möchten viele an ihrem Status quo festhalten. Sie haben Angst, dass ihnen etwas genommen wird.

Behörden Spiegel: Diese Angst kann man verstehen.

Marnich: Das Vertrauen in politische Institutionen sinkt. Unterschiedliche Löhne in Ost und West zum Beispiel können die Leute nicht mehr nachvollziehen. Sie fragen sich, wer das so entscheidet und warum. Die Welt wird immer komplexer, aber der Ruf nach einfachen Lösungen wird immer lauter. Viele wollen die wahren Gründe gar nicht hören. Sie sind empfänglich für andere Gruppierungen, die viel versprechen, dies aber niemals halten können, weil die Realität eine ganz andere ist. Zudem sind die Verrohung der Kommunikation und der Protest salonfähig geworden. Viele fühlen sich ermutigt, vermeintlich einfache Lösungen laut zu fordern. Die wahren Gründe will keiner hören. Und dann gibt es noch eine Gruppe, die einfach Angst hat, ihren Wohlstand zu verlieren.

Behörden Spiegel: Das ist doch menschlich.

Marnich: Ja klar. Das Vertrauen in die Kommunalpolitik ist insgesamt da. In kleineren Kommunen, wo man sich kennt, oft noch stärker und größer, das gibt Sicherheit. Sehr viele Leute glauben an unsere Demokratie und ihre Werte. Viele Menschen stehen voll und ganz hinter ihren Kommunalpolitikerinnen und Politikern. Das ist die Mehrheit.

Behörden Spiegel: Aber gibt es auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker, die sich verabschieden von der Politik, weil sie den Druck nicht mehr ertragen?

Marnich: Es gibt viele Fälle. Wir haben gemeinsam mit dem BKA ein Kommunalmonitoring aufgelegt, das sich mit den Anfeindungen gegenüber Amtsträgern befasst. Da geht es nicht um die strafrechtliche Seite, sondern auch um das subjektive Empfinden dieser Menschen. Oft sind Kommunalpolitikerinnen und Politiker von Anfeindungen und Hass selbst betroffen. Aber nicht nur sie, sondern auch ihre Familien. In kleineren Kommunen weiß jeder, wo die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister wohnt. Dann wird es kritisch.

Behörden Spiegel: Was kann man dagegen tun?

Marnich: Die Resilienz der Amts- und Mandatsträger ist sehr, sehr hoch. Trotzt Drohungen, trotz Anfeindungen und trotz verbaler Gewalt sagen sie: „Jetzt erst recht! Ich stehe hinter dem, was ich tue, ich stehe hinter meinem Amt.“  Einige ziehen sich dennoch zurück, weil für sie die Grenze des Zumutbaren erreicht ist.

Behörden Spiegel: Dieser Hass betrifft offenbar auch die Spitzenpolitiker. Gesundheitsminister Karl Lauterbach zum Beispiel wird stark angefeindet. 

Marnich: Ja, das ist so. Die Mehrzahl der Kommunalpolitikerinnen und -politiker arbeitet ehrenamtlich. Wir kämpfen seit Langem auch für sie. Sie sind besonders schutzbedürftig. Wenn diese Ämter wegbrechen und unattraktiv werden, weil die Politikerinnen und Politiker Shitstorms oder Gewalt ausgesetzt sind, dann will die Aufgabe keiner mehr machen. Dann haben wir ein Riesenproblem und eine große Gefahr für unsere Demokratie. Wir brauchen die Menschen, die sich vor Ort engagieren.

Behörden Spiegel: Wer soll es sonst machen…

Marnich: Bürgerschaftliches Engagement ist außerordentlich wichtig. Aber es kann die Kommunalpolitik nicht ersetzen. Bestenfalls geht es Hand in Hand. Aber wenn ich mich als Kommunalpolitiker nicht mehr traue, meine Meinung zu sagen und einzustehen für das, was ich mir auf die Fahnen geschrieben habe, dann gibt es bald keinen politischen Diskurs mehr. Meinungsfreiheit und die Meinungsvielfalt sind aber unabdingbar für unsere Demokratie.

Behörden Spiegel: Gibt es bei den Angriffen auf Lokalpolitikerinnen und -politikern Unterschiede zwischen Ost und West?

Marnich: Das Kommunalmonitoring mit dem BKA lässt kein klassisches Ost-West, sondern ein Süd-/Ost-West-Gefälle bei Angriffen erkennen. Die Zahl der Angriffe in Süd-/Ostdeutschland liegen etwas höher als im Westen. Im Westen sind 38 Prozent der Menschen von Hass, Hetze und Gewalt betroffen. Im Süden und Osten sind es 51 Prozent.

Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt die AfD dabei?

Marnich: Sie provoziert, sie verbreitet Falschinformationen, sie ruft nach einfachen Lösungen. Die Debattenkultur in Deutschland hat mit dem Aufkommen der AfD sehr gelitten. Die AfD nutzt ihre Auftritte zur Polarisierung. Normale Diskussionen sind im kommunalen Bereich oft schwierig und manchmal gar nicht mehr möglich. Rufschädigungen und Diffamierungen sind an der Tagesordnung. Die AfD macht Stimmung und will ihre eigene Agenda durchsetzen.

Behörden Spiegel: Kommt sie damit durch bei den Leuten?

Marnich: Bei manchen schon. Es ist für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker enorm schwierig, die Lügen und Falschaussagen gerade im Netz zu widerlegen und gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern richtig zu stellen und zu versachlichen. Wir müssen es trotzdem tun. Immer wieder. Auch bei den kleinsten falschen Details.

Behörden Spiegel: Bekommen die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker auch Unterstützung vom Bund?

Marnich: Ja, sowohl die Bundesinnenministerin, das Bundeskriminalamt als auch der Bundespräsident haben sich des Themas angenommen. So hat Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft für die Eröffnung der Webseite „Stark im Amt“ übernommen, die Betroffenen Unterstützung bieten soll. Die Webseite wird von den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam mit der Körber Stiftung betrieben. Das Bundesinnenministerium hat eine Allianz zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger gegründet. Zudem hat auch der Gesetzgeber reagiert und Strafschärfungen und weitergehende strafrechtliche Regelungen auch für bedrohte Kommunalpolitikerinnen und -politiker geschaffen.

Behörden Spiegel: Was können Betroffene von Hasskriminalität dagegen tun?

Marnich: Es gibt in den Bundesländern Meldestellen wie etwa „Hessen gegen Hetze“ sowie bundesweit agierende zivilgesellschaftliche Organisationen wie Hate Aid, die Betroffene beraten und unterstützen. In fast allen Staatsanwaltschaften und beim LKA gibt es Telefonnummern, bei denen sich Kommunalpolitikerinnen und -politiker melden können. Sie brauchen Ansprechpartner, die beraten und unterstützen. Das Anzeigeverhalten ist verschwindend gering. Sehr viele Verfahren werden gar nicht erst aufgenommen oder sie werden eingestellt, weil man den Täter nicht findet. Die Zusammenarbeit der Länder untereinander muss besser werden, so dass wir eine flächendeckende Unterstützungsstruktur etablieren können. Aber wir sind auf einem guten Weg.

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