Der unter anderem für Kartellsachen zuständige zweite Senat am OLG erklärte die Holzvermarktungspraxis des Landes Baden-Württemberg in den Jahren 1978 bis 2015 für kartellrechtswidrig. Nach Auffassung des Senats unter Vorsitz von Richter Christoph Stefani stehe der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz wegen kartellrechtswidriger Vereinbarungen über die Vermarktung von Rundholz zu.
Hinter der Klägerin steht der Prozessfinanzierer „Burford Capital“, der im Rahmen einer Sammelklage die ihm von 36 Sägewerken abgetretenen Ansprüche geltend macht. Der Klägerin zufolge habe das Land durch den gemeinschaftlichen Holzverkauf einen schuldhaften Kartellverstoß begangen, aufgrund dessen die Sägewerksbesitzer im Zeitraum 1978 bis 2016 überhöhte Preise für die Lieferung von Rundholz bezahlt hätten. Insgesamt sei hieraus ein Schaden in Höhe von rund 270 Mio. Euro entstanden. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin daher Schadensersatz in Höhe von rund 270 Mio. Euro zzgl. Zinsen in Höhe von ca. 200 Mio. Euro.
Das Landgericht Stuttgart hatte Anfang 2022 die Klage abgewiesen, weil die Abtretungen der Sägewerksbesitzer an die Klägerin gegen §§ 3 und 4 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstoßen hätten und deshalb unwirksam seien. Die Klägerin sei daher nicht Inhaberin der von ihr verfolgten Ansprüche geworden. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Mit der Frage, ob das Land Baden-Württemberg gegen Kartellrecht verstoßen habe, hat sich das Landgericht nicht befasst. Der 2. Zivilsenat hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und einen Kartellverstoß des beklagten Landes bejaht.
Gebündelter Rundholzverkauf verstößt gegen Kartellverbot
Das Land habe durch die Vereinbarungen über die gemeinschaftliche Vermarktung und den gebündelten Verkauf des Rundholzes schuldhaft gegen das Kartellverbot aus Artikel Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen, soweit diese Vereinbarungen mit Kommunen getroffen worden seien, die über eine Waldfläche von mehr als 100 ha verfügt haben. Denn diese Kommunen hätten das Holz aus ihren Wäldern auch ohne Hilfe des Landes vermarkten können. Demgegenüber wäre kleineren Waldbesitzern eine Holzvermarktung nur mit Hilfe des beklagten Landes möglich, so dass insoweit kein Kartellverstoß vorliege. Durch die Vereinbarungen mit den kommunalen Waldbesitzern mit einer Waldfläche von mehr als 100 ha sei der Wettbewerb spürbar beeinträchtigt worden. Das Land sei der Klägerin daher aufgrund der abgetretenen Ansprüche dem Grunde nach zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet.
Einen Teil der Schadensersatzforderungen hat das OLG abgewiesen, soweit Beschaffungsvorgänge des vermarkteten Holzes nicht hinreichend dargelegt und nachgewiesen wurden. Dies betrifft Forderungen der Klägerin von rund 75 Mio. Euro zzgl. Zinsen von rund 88 Mio. Euro.
Das Verfahren zur Klärung der Schadenshöhe wird an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
Einordnung des Urteils
Das Urteil ist sowohl hinsichtlich des Teilgrundurteils als auch des klagabweisenden Teils nicht rechtskräftig. Der 2. Zivilsenat hat die Revision zum Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Landwirtschaftsminister Peter Hauk kündigte bereits an, in Revision gehen zu wollen.
Der Senat teilt mit, dass mit dem Erlass des Teilgrundurteils zunächst abschließend geklärt werden soll, ob der hier geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Kartellschadensersatz dem Grunde nach bestehe. In einem auf das Grundurteil folgenden Betragsverfahren werde sodann über die konkrete Höhe des zu zahlenden Kartellschadensersatzanspruchs entschieden. Mit dem Betragsverfahren werde in der Praxis regelmäßig erst dann begonnen, wenn das Grundurteil rechtskräftig ist.
Verfahren sollen einfacher werden
Mit dem Erlass eines Grundurteils sollten insbesondere komplexe Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Vermeiden möchte man insbesondere, dass ein Gericht einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bejaht, deshalb eine umfangreiche Beweisaufnahme zur konkreten Höhe des oft viele Einzelpositionen umfassenden Schadensersatzanspruchs durchführt und danach in der Berufungs- oder Revisionsinstanz ein Anspruch bereits dem Grunde nach verneint bzw. die Klage aus anderen Gründen abgewiesen wird. Denn dann hätte sich erst am Ende des Rechtsstreits herausgestellt, dass es auf das Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme gar nicht ankomme und die Beweisaufnahme gar nicht hätte durchgeführt werden müssen.
Anmerkung des DStGB
Da das Betragsverfahren beim Landgericht Stuttgart erst nach einem rechtskräftigen Grundurteil startet, ist davon auszugehen, dass sich der Prozess hinziehen wird.
In den Ländern Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen und Nordrhein-Westfalen hat die „Burford Capital“ ebenfalls GmbHs gegründet und ähnliche Klagen erhoben. Im Fall der Klage gegen das Land Rheinland-Pfalz hat das Landgericht Mainz am 23.08.2022 die Klage in erster Instanz abgewiesen. Die Kammer hält wie das Landgericht Stuttgart zuvor das Abtretungsmodell für unzulässig.
Die verklagten Länder Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Thüringen haben anders als das Land Baden-Württemberg einer Vielzahl von privaten und kommunalen Waldbesitzern den Streit verkündet. Durch die Streitverkündung wird die Verjährung etwaiger Ausgleichsansprüche gegenüber den Mitkartellanten gehemmt. Zudem führt sie dazu, dass die Empfänger der Streitverkündung an die Gerichtsentscheidung gebunden sind. Diese Bindungswirkung wird aber nur dann relevant, wenn die den Streit verkündende Partei, also das Land, den Prozess rechtskräftig verliert.
Diese Streitverkündungen bleiben voraussichtlich wirkungslos. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten der auf Kartellrecht spezialisierten Kanzlei Wagner Legal aus Hamburg, welches vom Dachverband der Waldbesitzerverbände AGDW - Die Waldeigentümer in Auftrag gegeben wurde.