Das OVG Schleswig gab nach mündlicher Verhandlung durch Urteil vom 23.11.2016 (Az. 3 LB 17/16) bekannt, dass es der Berufung des BAMF gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig, das der Klägerin und Berufungsbeklagten Syrerin den vollen Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt hatte, stattgebe und die Klage der Klägerin abgewiesen werde.
Das Gericht begründete dies in der mündlichen Urteilsbegründung damit, dass die vorliegenden Auskünfte keine ausreichende Grundlage für die Annahme böten, dass Rückkehrern allein wegen ihres Auslandsaufenthaltes und der Asylantragstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Die von der Klägerin in einem späten Stadium des Berufungsverfahrens vorgebrachten individuellen Gründe für eine drohende politische Verfolgung hätten den Senat insoweit nicht überzeugt.
Das OVG urteilte damit anders als zahlreiche Verwaltungsgerichte, bei denen Syrer zuletzt mit Klagen gegen das BAMF erfolgreich waren.
Hintergrund
Das BAMF hatte der Klägerin in dem zugrunde liegenden Fall subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG als Bürgerkriegsflüchtling zuerkannt. Die Klägerin (Berufungsbeklagte) ist syrische Staatsangehörige. Sie stellte am 27. April 2016 einen Asylantrag. Das Bundesamt hat der Klägerin nach persönlicher Anhörung lediglich den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (Abschiebungsschutz) zuerkannt. Die daraufhin erhobene Klage mit dem Ziel, auch die Anerkennung als Flüchtling (§ 3 Abs. 1 AsylG) zu erreichen, hatte bei der 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig Erfolg.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, es bestehe die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung drohe. Es sei anzunehmen, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansehe, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen.
Mit der hiergegen eingelegten Berufung machte das BAMF geltend, es gebe keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich, ungeachtet besonderer persönlicher Umstände, oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und Befragungen bei Rückkehr bzw. damit einhergehende Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrechtliches Merkmal erfolgten.
Vielzahl anhängiger verwaltungsgerichtlicher Verfahren
Die Entscheidungspraxis des BAMF, syrischen Asylbewerbern zunächst diese Flüchtlingseigenschaft und nicht nur den sog. subsidiären Schutzstatus zuzusprechen, ist bereits Gegenstand einer Vielzahl an verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen.
Zuletzt hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschieden, dass einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht (Urteil vom 22.11.2016, Az.: 3 K 7501/16.A).
Von den 3.490 in erster Instanz bereits entschiedenen Fällen bekamen 2.665 (76 Prozent) der Kläger Recht - und somit die volle Anerkennung als Asylberechtigte. Mittlerweile sind 79 weitere Anträge des BAMF auf Zulassung der Berufung in vergleichbaren Fällen beim OVG anhängig.
Dabei geht es zentral um die Frage, inwieweit die Geflüchteten ihre Familienangehörigen nach Deutschland nachholen können. Mit dem sog. Asylpaket II wurde der Familiennachzug für Personen, die als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt sind, für zwei Jahre ausgesetzt. Diese Regelung gilt für alle subsidiär geschützten Personen, die ihre Aufenthaltserlaubnis nach dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 06.08.2016 erhalten haben.
Anmerkung
Das Urteil ist aus kommunaler Sicht zu begrüßen. Andernfalls hätte dies erhebliche Auswirkungen auf den Familiennachzug, der im sog. Asylpaket II für subsidiär Schutzberechtigte zeitlich eingeschränkt wurde. Die große Zahl an nachkommenden Schutzsuchenden würde die ohnehin bereits an ihre Grenzen kommenden Städte und Gemeinden im Hinblick auf die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit erneut vor kaum zu bewältigende Herausforderungen stellen und vielerorts überfordern. Um eine erfolgreiche Integration vor Ort leisten zu können, die entsprechenden Infrastrukturen, wie Wohnraum, Kita- und Schulplätze vor Ort bereitstellen zu können, brauchen Kommunen Planungssicherheit. Eine Vielzahl an Kommunen, ihre Verwaltungsmitarbeiter sowie das Ehrenamt und Organisationen vor Ort haben für die bereits vor Ort lebenden Asylbewerber bereits Erhebliches geleistet. Die Integration der Geflüchteten bleibt jedoch eine Herkulesaufgaben der kommenden Jahre. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt überholen sich die bislang getroffenen Schul- und Kitaprognosen ständig. Hierfür werden mehr Gebäude, mehr Personal und mehr Busse und Bahnen für den Schulweg benötigt. Der Bildungsbericht 2016 spricht von 33.000 bis 44.000 zusätzlichen Erzieherinnen, Lehrkräften oder Sozialarbeitern. Der Familiennachzug wäre ein weiterer Unsicherheitsfaktor.