Interview im Morgenmagazin zum Thema Flüchtlinge mit Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom 17. Juli 2015
Till Nassif
Wieder mal hat in Deutschland eine Flüchtlingsunterkunft gebrannt. Ein Anschlag und zwar im Oberbayerischen Reicherzhofen. Unbekannte haben das Feuer gelegt dort in einem ehemaligen Gasthaus bzw. in einem leerstehenden Nebengebäude davon. Verletzt wurde zum Glück niemand, das Nebengebäude wurde aber zerstört. In der Unterkunft sollen ab September 67 Asylbewerber untergebracht werden. Die Polizei vermutet einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Und das ist nicht das erste Mal in diesem Jahr. Leider. Im Gegenteil. Schon 150 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat das Bundesinnenministerium registriert. Und das sind fast so viele wie im gesamten letzten Jahr. Gleichzeitig versuchen die Städte und Gemeinden klarzukommen mit der wachsenden Zahl von Flüchtling, stoßen immer wieder auf Probleme und ich begrüße jetzt bei uns Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen.
Dr. Gerd Landsberg
Guten Morgen.
Till Nassif
Haben Sie eine Idee, wie sich solche Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verhindern lassen?
Landsberg
Also zunächst einmal müssen wir konsequent strafverfolgen. Wir müssen das auch in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass es Nulltoleranz gibt beim Übergriff auf Flüchtlinge, auf Flüchtlingsheime. Und wir müssen vielleicht noch mehr kommunizieren, welches schwere Schicksal diese Flüchtlinge hinter sich haben. Das wird diese Fälle nicht ganz ausschließen, aber wir stellen ja schon fest, Sie haben es ja anmoderiert, es sind Einzelfälle. Aber die Einzelfälle nehmen zu und dem muss man aus meiner Sicht ein Kommunikationskonzept noch deutlicher entgegenstellen.
Till Nassif
Was kann das denn bewirken, das heißt, dann wird es möglicherweise Menschen geben, die für ein Flüchtlingsheim sind, die sich dafür einsetzen, das haben wir ja jetzt auch schon. Aber das hält doch diejenigen nicht davon ab, die dagegen sind, und um alles in der Welt es verhindern wollen?
Landsberg
Da bin ich nicht so sicher. Wenn Sie in einer Gemeinde 200 oder 300 Flüchtlinge bekommen und das vorher kommunizieren und dann das erlebbar machen, wie ist das Schicksal einer einzelnen Frau, eines einzelnen Mannes oder eines einzelnen Kindes, dann ist der Widerstand sofort geringer. Das heißt abstrakt: Die Flüchtlinge kommen und die will ich nicht. Das ist in manchem Kopf drin. Aber wenn ich der Person gegenübersitze sieht das ganz anders aus. Und ich glaube, das ist der richtige Weg, das ist nicht das Allheilmittel, aber es ist ein Ansatz.
Till Nassif
Einige Städte und Gemeinden versuchen eine Lösung, indem sie Flüchtlinge nicht in einem Heim unterbringen, sondern dezentral in Wohnungen. Wäre das eine Lösung, die Sie auch hilfreich finden?
Landsberg
Also wir als Deutscher Städte und Gemeindebund sagen, die dezentrale Unterbringung ist richtig, die ist aber nicht so einfach. Wir haben in diesem Jahr 450.000 Flüchtlinge, vielleicht auch 500.000. Deswegen fordern wir ein Bauprogramm, denn die Flüchtlinge werden auch nächstes und übernächstes Jahr kommen. Aber sicher ist die dezentrale Unterbringung der richtige Ansatz. Sie fördert die Integration. Auch wenn wir die Menschen, das ist ja das Ziel, in Arbeit bringen wollen, ist natürlich die Heimunterkunft der falsche Ansatz.
Till Nassif
Sie fordern ein Bauprogramm, sagen Sie, aber müssen Sie sich da nicht selber an die eigene Nase fassen als Städte- und Gemeindebund. Hätten die Städte und Gemeinden nicht schon in den vergangenen Jahren viel, viel mehr Sozialwohnungen bauen müssen?
Landsberg
Hätten sie schon, aber sie konnten es nicht, weil sie das Geld nicht hatten. Der soziale Wohnungsbau ist zurückgefahren worden. Natürlich haben Städte Wohnungen verkauft aus Finanznot. Das hat der Bund gemacht, das haben die Länder. Da müssen wir umsteuern, damit diese sozialen Konflikte, die damit verbunden sind, reduziert werden. Aber wie gesagt, das geht nicht von heute auf morgen und geht auch nicht ohne zusätzliches Geld.
Till Nassif
Wo sehen Sie denn da die hauptsächliche Verantwortung?
Landsberg
Also die Verantwortung haben wir alle. Niemand hat vor fünf Jahren vorhersehen können, dass jährlich 450.000- 500.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wir haben Kommunen gehabt, die haben ihre Einrichtungen erhalten, obwohl es keine Flüchtlinge gab und sind dann von den Landesrechnungshöfen angewiesen worden, ihr müsst das sofort schließen, es gibt doch gar keine Flüchtlinge. Also man ist immer hinterher klüger. Wir müssen jetzt handeln und die Vergangenheitsbewältigung ist vielleicht der falsche Ansatz.
Till Nassif
Aber seit drei Jahren spätestens wachsen ja die Zahlen. Seit drei Jahren konnte man das sehen und man hat den Eindruck, dass bis jetzt eben noch nicht so viel direkt angekommen ist in den Städten und Gemeinden. Also noch einmal die Frage: Wo war die Verantwortung und was müsste sich jetzt ändern?
Landsberg
Also was sich ändern muss: Wir brauchen ausreichende Mittel für zusätzliches Personal, für Unterkunft. Wir brauchen eine Übernahme der Gesundheitskosten von Bund und Ländern. Wir brauchen ein Bauprogramm und wir brauchen mehr Integrationsmaßnahmen für die Menschen, die hier sind. Und das sage ich auch: Wir müssen konsequent auch die Personen, die keine Bleibeperspektive haben, abschieben bzw. zur Ausreise bewegen. Das ist eingetütet. Es hat ja einen Gipfel mit der Kanzlerin gegeben, aber es muss halt umgesetzt werden und da ist immer die Erwartung auch der Öffentlichkeit. Ich entscheide heute und morgen wird das. Nein, so läuft das nicht. Wenn Sie sagen, die Asylverfahren müssen beschleunigt werden, ich habe 2.000 Stellen. Dann sitzen die nicht morgen am Schreibtisch. Sie müssen die Leute finden, sie müssen sie ausbilden. Wir sind da auf dem Weg, aber das wird noch einige Zeit dauern.
Till Nassif
Was heißt denn einige Zeit, Wann sitzen die am Schreibtisch?
Landsberg
Also diese 2.000 Stellen, die der Bund bewilligt hat, die der Haushaltausschuss beschlossen hat, das wird ein dreiviertel bis ein Jahr dauern, bis die ersten 100 oder 200 tatsächlich aktiv werden, weil man sie ausbilden muss, und auch erst einmal finden. Das kann nicht jeder.
Till Nassif
Also aber dann, hoffen wir zumindest, dass es ab nächstem Jahr alles besser wird. Gerd Landsberg war das, Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zur Flüchtlingspolitik in den deutschen Städten. Vielen Dank!
Landsberg
Bitte schön!
Sendung Politikum des WDR zum Thema „Flüchtlingsgruppen müssen differenziert werden“ vom 16. Juli 2015 mit Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Moderator Stephen Karkowsky
Die Kanzlerin hats nicht so mit Kindern, findet das Netz. Das diskutierte heute ein NDR-Video. Zu sehen ist da Merkel im Gespräch mit einem weinenden Flüchtlingsmädchen aus dem Libanon.
Mädchen
Ich bin ja jetzt hier, lebe zwar, aber ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussieht. So lange ich nicht wirklich weiß, dass ich hier bleiben kann….
Merkel
Das ist klar. Deshalb muss das jetzt einer Entscheidung zugeführt werden.
Stephen Karkowsky
Ja ist klar. Mit der Empathie einer Aktentasche behandelt die Kanzlerin ein Kind, das seit vier Jahren in Deutschland lebt, akzentfrei deutsch spricht und ihre Oma vermisst. Trotzdem droht die Abschiebung, so ist die Rechtslage. Das Problem, sagt Merkel, sei die Dauer des Asylverfahrens. Der Antrag der Familie hätte viel früher abgelehnt werden müssen. Damit spricht sie vermutlich Gerd Landsberg aus dem Herzen, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg, warum müssen Kinder wie dieses, unter der deutschen Bürokratie leiden?
Dr. Gerd Landsberg
Das liegt daran, dass die Zahl der Asylanträge dramatisch gestiegen ist. Wir werden dieses Jahr 450 bis 500.000 Personen in Deutschland haben, die entsprechende Anträge stellen. Und natürlich ist die Bürokratie, das ist ja keine kommunale Bürokratie, sondern das Bundesamt für Migration, darauf nicht in ausreichendem Maße vorbereitet. Deswegen haben wir im Moment bei diesem Amt 230.000 nicht bearbeitete Anträge, und deswegen dauert das. Es hat einen weiteren Grund. Die Schicksale, die dort ja überprüft werden müssen, sind häufig wahnsinnig schwierig zu überprüfen. Das sind Situationen, die man beurteilen muss in ganz anderen Ländern, wo man nicht eben mal die Regierung anrufen kann und fragen, stimmt das denn, was der uns hier erzählt hat. Und das dauert. Und der Rechtsstaat mahlt manchmal langsam, oft zu langsam.
Karkowsky
Nun will die Politik es sich ja leichter machen. Sie will, dass Flüchtlinge von Anfang an in zwei Kategorien aufgeteilt werden. Die einen mit großen Chancen auf Asyl, z. B. aus ganz klaren Bürgerkriegsländern. Die anderen aus Ländern, die als sicher gelten, weswegen sie dann fast keine Chancen haben auf Asyl in Deutschland. Sie sagen, Sie finden das richtig. In welche Kategorie würde dann das Mädchen aus dem Libanon fallen?
Landsberg
Das Mädchen aus dem Libanon würde wahrscheinlich in keine der beiden Kategorien fallen. Die sogenannten sicheren Herkunftsländer sind einmal die, die der Gesetzgeber als solche definiert hat und es sind insbesondere die Balkanstaaten, Kosovo, Albanien, Serbien. Und um da mal Zahlen zu nennen: Von Januar bis Juni diesen Jahres sind aus dem Kosovo 31.400 Personen gekommen, aus Albanien 22.209 und aus Serbien über 13.000. Demgegenüber sind die Syrier „nur“ mit 34.000 Personen vertreten. Und ich glaube, dass es schon gerechtfertigt ist, hier zu differenzieren. Man muss ja fragen, was ist der Sinn unseres Asylrechts. Das Asylrecht will politisch Verfolgten Schutz gewähren. Es ist aber nicht die Aufgabe des Asylrechts, Wirtschaftsflüchtlingen oder Menschen, die aus für mich nachvollziehbaren Gründen nach Deutschland kommen wollen, weil es ihnen zu Hause nicht gut oder sogar schlecht geht, denen entsprechende Aufenthaltstitel über das Asylrecht zu gewähren. Und dann ist das schon gerechtfertigt, hier im Verwaltungsvorgang zu differenzieren.
Karkowsky
Aber es soll ja noch mehr differenziert werden. Die Flüchtlinge würden dann quasi in erster und zweiter Klasse unterteilt werden. Der Chef des Bundesamtes für Migration z. B. will denen, aus den Balkanstaaten, kein Taschengeld mehr zahlen. Sie unterstützen das. Wie würden Sie das diesem Flüchtlingsmädchen erklären?
Landsberg.
Also wie gesagt, das Flüchtlingsmädchen würde da nicht reinpassen, weil sie eben nicht aus dem Balkan, sondern aus dem Libanon kommt. Der Libanon ist in großen Bereichen ein Kriegsgebiet. Also würde das Mädchen bzw. seine Eltern das Taschengeld bekommen. Aber man muss wissen, warum kommen die Menschen aus dem Südbalkan. Sie kommen, weil die Lebensverhältnisse dort miserabel sind. Weil dort 300 Euro im Monat ein guter Verdienst sind. So dass, wenn Sie nach Deutschland kommen und bekommen in einer Asylbewerberunterkunft einen Platz plus 300 Euro Taschengeld im Monat, das ein Anreiz ist und es ist aus meiner Sicht richtig, diese Anreize zu reduzieren, das heißt nicht, dass man das Taschengeld vielleicht ganz abschaffen soll. Aber darauf zu achten, wie wirkt unser Recht auf diese Herkunftsländer, das finde ich schon richtig.
Karkowsky
Hätten Sie nicht Angst, dass das auch ein Signal aussendet, in die ohnehin wenig gastfreundliche deutsche Bevölkerung nach dem Motto, die Jugos haben hier nichts zu suchen?
Landsberg
Das muss man verhindern, aber ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die deutsche Bevölkerung wenig gastfreundlich ist. Wir haben so viele freiwillige Bewerber, die helfen wollen, wenn Flüchtlinge kommen, dass wir sie teilweise gar nicht alle ordnungsgemäß irgendwie einsetzen können. Sie sagen, Deutschland ist fremden- oder flüchtlingsfeindlich, das würde ich bestreiten. Natürlich gibt es bedauerliche Vorfälle, die laufen ja auch in den Medien. Aber flächendeckend würde ich das auf keinen Fall so sehen.
Karkowsky
Wenn das so kommt, wie Sie sich das vorstellen, also schneller entschieden wird über Asylsuchende, dann besteht doch in diesen – ich nenne es jetzt mal ganz boshaft „Schnellgerichten“ – doch auch die Gefahr von Fehlern. Weil nur die Einzelfallentscheidung dem Menschenrecht auf Asylsuche wirklich gerecht werden kann, oder?
Landsberg
Das sehe ich genau umgekehrt. Wenn der Entscheider weniger belastet ist mit den Menschen aus Syrien, aus dem Irak, weil man dort großzügig ist, - im Zweifel selbst wenn sie abgelehnt werden, sie können doch sowieso nicht zurück - dann hat er doch viel mehr Zeit, sich die anderen Fälle sich genau anzuschauen. Und im Übrigen die Rechtsmittel sind ja einheitlich, das heißt, die Verwaltungsgerichte müssen und werden auch in Zukunft entscheiden. So dass sich diese Differenzierung aus meiner Sicht gar nicht zu Lasten dieser Menschen geht, sondern möglicher weise zu ihren Gunsten.
Karkowsky
Glauben Sie denn, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wäre auf kurze oder sogar auf mittlere Sicht überhaupt dazu in der Lage, die Verfahren so, wie es jetzt geplant ist, zu beschleunigen und schneller auszusortieren?
Landsberg
Das glaube ich schon. Der Bund hat ja weitere 2.000 Stellen bewilligt. Die werden jetzt besetzt, aber das ist natürlich auch nicht so ganz einfach. Sie müssen Menschen finden, die das können. Die müssen sie ausbilden. Das heißt, die Entscheidung heute, es gibt 2.000 zusätzliche Entscheider, heißt nicht, dass die morgen am Schreibtisch sitzen. Mittelfristig glaube ich, wird es gelingen. Wir sind jetzt bei einem Schnitt von etwa 5 Monate. Das Ziel muss aus meiner Sicht sogar deutlich unter drei Monate sein. Und aus kommunaler Sicht sagen wir ja, wir möchten, dass die Menschen mit der Bewilligung in die Kommune kommen, dann sofort arbeiten dürfen, sofort Integrationsmaß-nahmen bekommen, Sprachunterricht und auch schnell in den Arbeitsprozess. Aber das hängt sehr stark an dem Status. Deswegen haben wir großes Interesse daran, dass jedenfalls die positiven Entscheidungen deutlich schneller bewilligt werden.
Karkowsky
Kritisch bleibt da natürlich die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Da stauen sich dann die Asylbewerber mit wenig Chancen auf einen erfolgreichen Asylantrag. Besteht da nicht die Gefahr, der „Verslummung“ und weiterer sozialer Probleme?
Landsberg
Die Gefahr besteht. Es ist allerdings Aufgabe der Länder, die Zahl der Erstaufnahmeeinrichtungen zu erhöhen. Ich würde auch immer dazu raten, nicht so riesige Einrichtungen, also mit Hunderten von Leuten. Zweitens muss man natürlich das als nur ein Baustein sehen. Man muss mit den Herkunftsländern reden und sagen, wie können wir euch helfen, übrigens auch gemeinsam mit der EU, dass die Menschen sich erst gar nicht auf den Weg nach hier machen, sondern eine Lebens- und Arbeitsperspektive in
Ihren Ländern bekommen. Das geht. Aber auch das geht natürlich nicht von heute auf morgen.
Karkowsky
Früh genug aussortieren und schneller entscheiden. Forderungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Wir sprachen mit dem Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Ihnen besten Dank.
Landsberg
Bitte schön.
Das Interview zum Nachhören unter: http://www.wdr5.de/sendungen/politikum/fluechtlinge-zwei-klassen-system-100.html