Der Koalitionsvertrag sieht folgende aus kommunaler Sicht wesentliche Maßnahmen für eine Migrations- und Integrationspolitik vor:
Europäische und internationale Flüchtlingspolitik
„Wir setzen uns für eine grundlegende Reform des Europäischen Asylsystems ein. Unser Ziel ist eine faire Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit bei der Aufnahme zwischen den EU-Staaten.“ Dabei soll irreguläre Migration wirksam reduziert und Fluchtursachen bekämpft werden. „Die EU und Deutschland dürfen nicht erpressbar sein.“ Es soll mit einer Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten vorangegangen und dazu beigetragen werden, dass andere EU-Staaten mehr Verantwortung übernehmen und EU-Recht einhalten.
Die „Sekundärmigration in der EU soll reduziert, Missbrauch der visafreien Reise verhindern und durch ein geordnetes Relocation-Programm dazu beigetragen werden, dass Außengrenzstaaten die Bedingungen für Geflüchtete in ihren Ländern verbessern.“ Es sollen neue praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen mit Herkunftsländern und Drittstaaten unter Beachtung menschenrechtlicher Standards abgeschlossen werden.
Aufenthalts- und Bleiberecht für Asylbewerber und Geduldete erleichtern
Das System der Duldungstatbestände soll verändert werden, indem gut integrierte Jugendliche und bereits lange in Deutschland lebende Geduldete erleichterte Möglichkeiten haben, in Deutschland dauerhaft zu bleiben: Voraussetzung ist, dass sie nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, ihren Lebensunterhalt sichern und ihre Identität eindeutig nachweisen können. Dabei sollen sich besondere Integrationsleistungen begünstigend auswirken.
Darüber hinaus will die neue Koalition die Arbeitsmarktintegration für Asylbewerber und Geduldete erleichtern: „Die Beschäftigungsduldung wollen wir entfristen und Anforderungen realistisch und praxistauglicher fassen. Arbeitsverbote für bereits in Deutschland Lebende schaffen wir ab. Einem an sich bestehenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht ein laufendes Asylverfahren nicht entgegen, sofern bei Einreise die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis bereits vorlagen.“
Frühzeitige Integration und bessere Verzahnung der Integrationsangebote
Allen Menschen, die nach Deutschland kommen, sollen von Anfang an Integrationskurse angeboten werden. „Die Kurse müssen passgenau und erreichbar sein. Die Bedingungen für Kursträger, Lehrende und Teilnehmende wollen wir verbessern. Kinder und Jugendliche sollen schnell Zugang zu Bildung bekommen.“ Für eine schnelle und nachhaltige Arbeitsmarktintegration sollen die auf den Integrationskursen aufbauenden Berufssprachkurse stärker gefördert und die Mittel verstetigt werden.
Faire und schnelle Asylverfahren
„Asylverfahren müssen fair, zügig und rechtssicher ablaufen. Für schnellere Verfahren wollen wir das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entlasten.“ Das Konzept der AnkER-Zentren „wird von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt.“
Dauerhafte Finanzierung der Integrationskosten
„Wir wollen eine Verstetigung der Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten der Länder und Kommunen und zudem die Unterstützung des Bundes in Form der Mittel, die für Integration verwendet werden, fortsetzen. Dabei wollen wir insbesondere rechtskreisübergreifende, vernetzte Kooperation in der kommunalen Integrationsarbeit (finanziell) stärken und weiterentwickeln.“
Familiennachzug erleichtern
Die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten soll mit den GFK-Flüchtlingen gleichgestellt werden. Bei einem berechtigten Elternnachzug zu unbegleiteten Minderjährigen sollen minderjährige Geschwister nachziehen können. Der erforderliche Sprachnachweis bei einem Nachzug zum Ehepartner oder zur Ehepartnerin ist erst unverzüglich nach der Ankunft zu erbringen.
Asylbewerberleistungsrecht
„Wir werden das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterentwickeln.“ Minderjährige Kinder sollen von Leistungseinschränkungen bzw. -kürzungen ausgenommen bleiben.
Abschiebungen konsequent durchsetzen
Der Koalitionsvertrag sieht vor, eine „Rückführungsoffensive zu starten, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.“ Der Bund wird die Länder bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen. Die freiwillige Ausreise hat dabei stets Vorrang.
Anmerkung des DStGB
Die aktuelle Flüchtlingssituation in und außerhalb Europas spitzt sich angesichts unterschiedlicher Entwicklungen und Ereignisse zu. Die Lage in Afghanistan, aber auch illegale Grenzübertritte zum Beispiel von Belarus in die EU sowie illegale Sekundärmigration innerhalb Europas führen zu steigenden Flüchtlingszahlen in Deutschland. Engpässe in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, der vielerorts angespannte Wohnungsmarkt, Personal- und Platzmangel in Kitas und Schulen, deutliche Rückschritte bei der Integration in Arbeit und Gesellschaft stellen die Kommunen vor enorme Herausforderungen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die aktuelle Situation mit Blick auf die bisher rund 100.000 Asylerstanträge in diesem Jahr nicht mit den Jahren 2015/2016 vergleichbar ist. Vor diesem Hintergrund sollte das bestehende Asylrecht nicht ausgeweitet werden. Vielmehr sollte den Geflüchteten durch schnelle Asylverfahren eine klare Perspektive gegeben werden. Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren ist weiterhin zu lang. Der DStGB hält an der Trennung von Asyl- und Zuwanderungsrecht fest. Der DStGB bekräftigt seine Forderung, das Zuwanderungsrecht zielgenau weiterzuentwickeln, zum Beispiel durch ein Punktesystem. In Deutschland lebenden und gut integrierten Geflüchteten sollte zu einem Stichtag ein einmaliger „Spurwechsel“ ermöglicht werden. Mögliche Leistungserweiterungen bei der angekündigten Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes werden aus kommunaler Sicht kritisch gesehen. Ebenso die Ausweitungen des Familiennachzugs, der weiterhin zwingend an die Verfügbarkeit geeigneten Wohnraums und die Sicherung des Lebensunterhaltes geknüpft sein muss. Erstaufnahme und Rückführung für Asylbewerber mit und ohne Bleibeperspektive muss auch im Falle der Abschaffung der AnkER-Einrichtungen weiterhin zentral durch die Länder in einem geordneten, schnellen Verfahren, inkl. Rechtsberatung und gerichtlicher Rechtsschutz organisiert werden, bevor eine Weiterverteilung auf die Kommunen erfolgt. Mit Blick auf den aktuellen und auch künftig zu erwartendem Anstieg von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisenländern, Klimaflüchtlingen sowie dem Anstieg der Sekundärmigration innerhalb der EU ist die neue Bundesregierung aufgerufen, mit aller Kraft weiter an einer europäischen und internationalen Lösung für die Aufnahme von Schutzsuchenden zu arbeiten. Der Koalitionsvertrag greift wichtige und zentrale Forderungen des DStGB für europäische und internationale Lösungen der akuten Herausforderungen in der Migrations- und Asylpolitik auf. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Es muss endlich gelingen, in Europa zu einer solidarischen und fairen Verteilung von Geflüchteten zu kommen. In der EU sollte dies auf der Basis des unter der deutschen Ratspräsidentschaft vorangetriebenen EU- Asyl- und Migrationspakts der EU-Kommission geschehen. Die sich anbahnende inakzeptable humanitäre Lage an der Grenze zwischen Belarus und Polen darf nicht dazu führen, dass illegale Einwanderung über Polen in die Bundesrepublik Deutschland akzeptiert wird. So könnte die gleiche Sog-Wirkung wie 2015 entstehen, die die Kommunen mit der Unterbringung überforderte sowie in der Bevölkerung die Akzeptanz für Integration und für Europa gefährdet. Dafür muss die neue Bundesregierung eine gute Lösung finden. Darüber hinaus müssen Fluchtursachen u.a. durch eine nachhaltige Zusammenarbeit der Herkunftsländer mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und durch Maßnahmen vor Ort bekämpft werden.
Die Integration bleibt eine zentrale kommunale Herausforderung der kommenden Jahre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Integration der Menschen, die 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind, noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Integration beginnt in den Kitas und Schulen sowie den Sprach- und Integrationskursen. Leider gelingt die Sprachförderung nicht ausreichend, die Zahl der Kursabbrecher und Kursteilnehmenden, die das vorgesehene Niveau B 1 nicht erreichen, ist nach wie vor zu hoch. Es müssen zwingend die Förderketten zwischen Angeboten der Sprachförderung und Beruf und Ausbildung weiter verbessert werden. Der Ausbau und die bessere Verzahnung der berufsbezogenen Integrationskurse ist hierfür ein richtiger Schritt. Ausdrücklich zu begrüßen ist der im Koalitionsvertrag enthaltene Ansatz einer frühzeitigen und raschen Integration.
Der Bund muss sich nachhaltig und dauerhaft an den Kosten der Integration und der Unterbringung beteiligen. Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die Koalitionäre diese Forderung aufgreifen. Die vollständige Bundesfinanzierung der Kosten der Unterkunft für Flüchtlinge muss verstetigt werden. Die Länder müssen das Geld zwingend an die Kommunen weitergeben. Für die Kommunen ist eine nachhaltige und angemessene Finanzierungsregelung gerade auch für die Vielzahl an geduldeten Menschen zwingend. Ihre Zahl steigt stetig und viele geduldete Menschen leben bereits seit Jahren in den Städten und Gemeinden.