Die 16. Integrationsministerkonferenz der für die Integration zuständigen Ministerinnen, Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder tagte am 30.04.2021 unter dem Vorsitz der Hansestadt Bremen. Das Gremium fasste insgesamt 40 Beschlüsse zur Förderung der Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Deutschland und Europa. Ein Schwerpunkt der Beratungen ist die Integration in Arbeit und Gesellschaft von Zugewanderten unter den aktuellen Bedingungen der Corona-Pandemie.
Einige aus kommunaler Sicht wichtige Ergebnisse der Sitzung sind:
Verstärkte Anstrengungen bei der Arbeitsmarktintegration
Zur Verbesserung der Integration sollten Bund, Ländern und Kommunen als öffentliche Arbeitgeber Zugewanderte in Einstellungsverfahren gezielt berücksichtigen sowie geeignete Unterstützungsangebote besonders für kleine und mittelständische Unternehmen bereitstellen, beispielsweise durch die Förderung passgenauer Qualifizierungen und den Abbau formaler Hürden. Bund und Länder sollten zudem prüfen, ob Integrations- und Arbeitsmarktmaßnahmen für Arbeits- und Fachkräfte aus EU-Mitgliedstaaten weiterentwickelt werden müssten, vor allem mit Blick auf den Spracherwerb.
Bedeutung der ländlichen Räume bei der Integration unterschätzt
Die Bedeutung der ländlichen Räume mit ihren Potentialen für eine zügige und erfolgreiche Integration sowie für Teilhabe würden bislang unterschätzt. Das Angebot an Wohnraum und der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen eine schnelle Akzeptanz sowie das Entstehen sozialer Bezüge und gesellschaftlicher Teilhabe auch und gerade im ländlichen Raum.
Abgestimmte und koordinierte EU-Asylpolitik
Die IntMK fordert eine europäische Lösung für Migrationsfragen unter Beteiligung möglichst aller EU-Mitgliedsstaaten. Diese könne nicht nur in einer Orientierung an dem Schutz der Außengrenze der EU liegen, sondern muss von einer solidarischen Haltung aller Mitgliedsstaaten getragen sein. Die Bemühungen des Bundes, angesichts der humanitären Notlage Geflüchtete aus diesen Hotspots aufzunehmen werden positiv bewertet und sollten fortgesetzt werden.
Gemeinsames Aufstehen gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
Bund, Länder, Kommunen und alle anderen wichtigen Akteure werden aufgefordert, weiter auf ein gesamtgesellschaftliches Klima hinzuwirken, in dem Diversität als Stärke angesehen wird. Mit großer Sorge wird wahrgenommen, dass Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Teilen der Gesellschaft auf Akzeptanz stoßen. Diesen Tendenzen müsse entschieden entgegengetreten werden.
Anerkennung der Förderung von Integration als gemeinnütziger Zweck im Steuerrecht
Die IntMK bittet die Finanzministerkonferenz mehrheitlich um Unterstützung bei dem Ziel, „Integration“ als Zweck zur Gemeinnützigkeit in den Katalog der steuerbegünstigten Zwecke nach § 52 Absatz 2 der Abgabenordnung aufzunehmen. Mit einer Erweiterung des Katalogs wird das Engagement für die Integration steuerrechtlich unterstützt und damit gesellschaftlich sichtbar anerkannt.
Besserer Schutz für LSBTI*-Geflüchtete
Zum Schutz von Lesben, Schwulen, bisexuellen sowie trans*- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI*) im Asylverfahren fordert die IntMK vom Bund mehrheitlich eine niedrigschwellige Asylverfahrensberatung mit Zugang zu unabhängigen LSBTI*-Beratungsstellen. Alle Beteiligten bei der Anhörung und Entscheidung über das Asylgesuch müssten zudem für die besonderen Hürden sensibilisiert werden.
Digitalisierung im Gesamtprogramm Sprache des Bundes
Die IntMK erkennt mehrheitlich an, dass die Bundesregierung durch zahlreiche Maßnahmen die Umsetzung der Integrationskurse und Berufssprachkurse im Gesamtprogramm Sprache in Pandemiezeiten überhaupt ermöglicht hat. Ein erheblicher Teil der Teilnehmenden verfügt jedoch nicht über die notwendige technische Ausstattung, zur Teilnahme an einer Videokonferenz und im virtuellen Klassenzimmer. Daher fordert die IntMK die Bundesregierung auf, im Gesamtprogramm Sprache zu prüfen, ob eine vorübergehende Erhöhung der Pandemiezulage die Anschaffung von Leihgeräten durch die Kursträger ermöglichen kann.
Non-formal und informell erworbene Berufskompetenzen nutzen
Einstimmig ist die IntMK der Auffassung, dass im Ausland erworbene Berufskompetenzen und Qualifikationen für den hiesigen Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden, auch wenn sie auf nicht formalem oder auf informellem Wege erworben wurden. Spezifische Weiterbildungsangebote sollen es möglich machen, notwendige zusätzliche Qualifikationen zu erwerben, bis zu einem vollwertigen Berufsabschluss. Das Verfahren solle sich zudem nicht ausschließlich an zugewanderte Menschen richten, sondern auch an inländische Arbeitnehmer*innen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Die IntMK regt ein gemeinsames Vorgehen von Bund und Ländern unter Federführung des Bundes an.
Erstorientierungskurse für Geflüchtete mit unklarer Bleibeperspektive
Die IntMK bedauert einstimmig die Mittelkürzung des Bundes bei den Erstorientierungskursen für Geflüchtete mit unklarer Bleibeperspektive und bitten das zuständige Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, von weiteren Kürzungen Abstand zu nehmen und die aktuellen Kürzungen zu überdenken. Die Mittel wurden von rund 31 Millionen Euro im Jahr 2020 auf knapp 22 Millionen für 2021 gekürzt.
Berufssprachkurse auch für Auszubildende in schulischen Berufsbildungen
Auszubildende während einer Berufsausbildung im Sinne von § 57 Absatz 1 des Sozialgesetzbuches III (oder zur Vorbereitung auf eine solche Ausbildung) können an den berufsbezogenen Sprachkursen teilnehmen, nicht aber Auszubildende in landesrechtlich geregelten schulischen Ausbildungsgängen. Die IntMK fordere den Bund daher einstimmig auf, die einschlägige Deutschsprachförderverordnung anzupassen.
Erleichterte Einbürgerung
Mehrheitlich spricht sich die IntMK dafür aus, dass die erforderlichen Zeiten für den Anspruch auf Einbürgerung im Regelfall von acht auf sechs Jahre rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts im Inland verkürzt werden. Wer besondere Integrationsleistungen erbracht hat, soll im Rahmen von Ermessensentscheidungen schon nach vier Jahren die Möglichkeit zur Einbürgerung bekommen (bisher: sechs Jahre). Die Voraussetzung für Mehrstaatigkeit sollen erweitert und die Prüfung der Sprachkompetenz auf das Niveau B1 beschränkt werden.
Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte
Weil das monatliche Kontingent der Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte von monatlich bis zu 1000 Personen nicht ausgeschöpft wird, bittet die IntMK die Bundesregierung, eine Regelung zu treffen, dass nicht ausgeschöpfte Kontingente auf Folgemonate hinzugerechnet werden und nicht verfallen. Im Jahr 2020 wurden rund 5300 Visa aus diesem Grund erteilt, das Programm hätte 12.000 Einreisen möglich gemacht.
Integrationschancen für Geduldete in Ausbildung und Beschäftigung verbessern
Neben den Chancen der Fachkräfteeinwanderung muss Deutschland nach Auffassung der IntMK die Potenziale geduldeter Menschen in Ausbildung und Beschäftigung besser nutzen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erhalt von Beschäftigungsduldungen sind nach Auffassung der IntMK aber zu eng gefasst und werden den eingeschränkten Teilhabechancen der Betroffenen nicht gerecht. Anders als bei der Beschäftigungsduldung sei zudem bei der Ausbildungsduldung nicht ausdrücklich geklärt, ob mit dem Status der Ausbildungsduldung auch ein Aufenthaltstitel für Familienangehörige verbunden ist. Die IntMK appelliert mehrheitlich an den Bund, diese Regelungslücke zu schließen.
Zudem ist das gesetzliche Beschäftigungsverbot ist nach der mehrheitlichen Auffassung der IntMK nicht das geeignete Instrument für Geduldete, die für längere Zeit oder auf Dauer in Deutschland bleiben werden. Die Bundesregierung wird gebeten, die Beschäftigungsverbote insgesamt zu überprüfen und ein stimmiges Gesamtkonzept zu entwickeln. Insbesondere solle das Beschäftigungsverbot nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz für Personen aus sicheren Herkunftsstaaten auf sechs Monate begrenzt werden.
Bewertung des DStGB
Der DStGB kann sich vielen Forderungen und Empfehlungen der Integrationsministerkonferenz der Länder anschließen: Dies betrifft insbesondere die Forderungen nach einer EU-einheitlichen Asyl- und Migrationspolitik, Verbesserungen bei der Integration in Arbeit in Zeiten der Pandemie, sowie Maßnahmen zur Stärkung des gesellschaftlichen Klimas, fortgesetzten Finanzierung von Programmen zur Demokratieförderung, der Stärkung ehrenamtlicher Strukturen sowie dem Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung und jede Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt bleibt eine besondere und langfristige Herausforderung. Damit sich die Arbeitsmarktsituation verbessert, muss noch stärker auf eine frühzeitige Integration aus einer Hand gesetzt werden: Sprachförderung, Ausbildung und Qualifizierung. Dabei müssen Sprach- und Berufsangebote flächendeckend auch in ländlichen Regionen verfügbar und die Mobilität gewährleistet sein. Digitale Lernangebote, die in der Corona-Pandemie aufgestellt wurden und noch werden, müssen ausgeweitet und sowohl Kursträger, Lehrkräfte, Mitarbeiter*innen in den Fachämtern und die Kursteilnehmer*innen selbst technisch ausgestattet und geschult werden. Hier müssen wir an das Angebot aus der Corona-Zeit anknüpfen, digitale Angebote weiterentwickeln und für eine breite Zahl an Geflüchteten zugänglich machen. Dies kann z.B. gerade ländlichen Regionen zu Gute kommen, in denen es u.a. an Mobilitätsangeboten fehlt. Voraussetzung ist zwingend ein leistungsfähiges Internet. Zudem bleibt es vielerorts trotz großer Hilfsbereitschaft eine Herausforderung, die Akzeptanz der Bevölkerung vor Ort zu wahren. Hass, Extremismus und Bedrohungen gegenüber Kommunalpolitiker*innen, aber auch Beschäftigten und vielen Ehrenamtlichen muss ein wehrhafter Rechtsstaat konsequent entgegentreten. Gleichzeitig müssen wir uns auch ehrlich machen und Probleme benennen: Dazu gehört, dass es im Sinne einer Null-Toleranz-Politik Konsequenzen haben muss, wenn Geflüchtete hier straffällig werden und unsere Regelungen und Grundwerte nicht respektieren. Darüber hinaus müssen Geflüchtete, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden.
Die Forderung nach einer erleichterten Anerkennung von non-formalen Qualifikationen und Abschlüssen und Weiterqualifizierungsangebote für zugwanderten und inländischen Menschen ist angesichts des Fachkräftebedarfs in Deutschland richtig. Allerdings besteht derzeit schon bei der Anerkennung formal erworbener Abschlüsse ein erheblicher bürokratischer Aufwand und lange Prüfzeiten. Hier sollte daher vorerst überprüft werden, inwiefern die rechtlichen Grundlagen vereinfacht und transparenter ausgestaltet werden können. Grundsätzlich richtig ist auch, Integrationsmaßnahmen für geduldete Menschen zu überprüfen, die länger in Deutschland bleiben, allerdings muss hier zwingend danach unterschieden werden, wer sich aktiv darum bemüht, in Arbeit und Gesellschaft zu integrieren und wer sich dem entziehen will, um keine falschen Anreize zu setzen. Ob erleichterte Voraussetzungen für Einbürgerungen der richtige Ansatz sind, muss hinterfragt werden. Einbürgerungen können, müssen aber nicht in jedem Fall ein geeignetes Mittel zur Förderung der Integration sein. Sie können durchaus auch als Ergebnis erfolgreicher Integration gesehen werden. Vor dem Hintergrund, dass die Einbürgerungszahlen in Deutschland seit Jahren auf etwa dem gleichen Niveau bleiben und die Einbürgerungspraxis in den Bundesändern sehr unterschiedlich ist, würde es aus kommunaler Sicht Sinn machen, zunächst eine Art Bestandsaufnahme in Deutschland zu machen, Informationen über Einbürgerungen breiter und verständlicher zu machen und einen Erfahrungsaustausch der Länder und Behörden untereinander zu organisieren, als die rechtlichen Voraussetzungen zu ändern.
Die Zuzugszahlen gehen auch aufgrund der Corona-Pandemie im Jahr 2020 zwar zurück. Die Aufnahmefähigkeit der Städte und Gemeinden bleibt jedoch insgesamt begrenzt. Noch immer stoßen heute eine Vielzahl an Kommunen an ihre Grenzen, was die Verfügbarkeit von geeignetem und bezahlbarem, dezentralen Wohnraum, aber auch die personelle und finanzielle Situation angeht. Die Corona-Pandemie führt in Städten und Gemeinden zu einer extrem angespannten personellen und finanziellen Situation. Gerade die Finanzmittel für die Integration sind nur bis Ende dieses Jahres gesichert. Was danach kommt, wissen wir nicht. Die Kommunen benötigen eine verlässliche Finanzierungsgrundlage für die Integration über das Jahr 2021 hinaus (dies ist bislang nicht geregelt!), mehr Handlungsspielräume und mehr Kompetenzen bei der Integration vor Ort.