EuGH: Kommunale Immobiliengeschäfte grundsätzlich nicht ausschreibungspflichtig

1. EuGH korrigiert „Ahlhorn-Rechtsprechung“ des OLG Düsseldorf

Der Europäische Gerichthof hat in einer grundlegenden Entscheidung vom 25. März 2010 (Rs. C 451/08) festgestellt, dass der Verkauf kommunaler Grundstücke an Investoren zum Zwecke der Bebauung (Beispiel: Einkaufszentrum) durch diese auch dann nicht ausschreibungspflichtig ist, wenn die Bebauung nach den städtebaurechtlichen Vorgaben der Gemeinde erfolgt. Damit hat der EuGH die sogenannte „Ahlhorn-Rechtsprechung“ des OLG Düsseldorf in weiten Teilen korrigiert. Zugleich hat der EuGH mit seiner Entscheidung die Vereinbarkeit des seit dem 24. April 2009 geltenden neuen § 99 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (GWB), mit dem die Ahlhorn-Rechtsprechung „korrigiert“ wurde, bestätigt. Insgesamt bedeutet die EuGH-Entscheidung eine Stärkung des auf Kooperation zwischen der Kommune und dem Investor ausgerichteten deutschen Städtebaurecht.

2. Die Ahlhorn-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf

Anlass der EuGH-Entscheidung war die „Ahlhorn-Rechtsprechung“ des OLG Düsseldorf (s. u. a. Entscheidungen vom 13. Juni 2007 – Ahlhorn; vom 12. Dezember 2007 – Wuppertal-Vohwinkel und vom 06. Februar 2008 – Oer-Erkenschwick). Danach unterliegen kommunale Grundstücksveräußerungen, die mit städtebaurechtlichen Vorgaben der Gemeinde verbunden sind bzw. gemäß den von der Gemeinde genannten Erfordernissen gebaut werden sollen, der EU-weiten Ausschreibungspflicht. Für die Ausschreibungspflicht war nach Auffassung des OLG Düsseldorf weder das Eigentum des Auftraggebers an dem zu beschaffenden Bauwerk noch ein unmittelbarer (körperlicher) Beschaffungszweck erforderlich. Ausreichend sei vielmehr, dass sich der Auftraggeber die „Verfügbarkeit“ des Bauwerks für (s)einen öffentlichen Zweck rechtlich sichert. In der Folge waren insbesondere kommunale Immobiliengeschäfte in Verbindung mit städtebaulichen Verträgen nach § 11 BauGB sowie Vorhaben- und Erschließungspläne nach § 12 BauGB bei Überschreiten des EU-Schwellenwerts (4,845 Millionen Euro) ausschreibungspflichtig.

Diese zum Teil von anderen Gerichten (OLG Bremen vom 13. März 2008 für Verpachtung von Windenergieflächen, OLG Karlsruhe vom 13. Juni 2008 betreffend einen Verbrauchermarkt) bestätigte Rechtsprechung, hat bei Kommunen und Investoren für erhebliche Rechtsunsicherheit gesorgt. Sie wurde durch den Gesetzgeber mit der am 24. April 2009 in Kraft getretenen und vom Deutschen Städte- und Gemeindebund unterstützten Novellierung des § 99 Abs. 1, 3 und 6 GWB korrigiert. Danach ist neben dem Erfordernis der „Beschaffung“ von Leistungen als Voraussetzung für eine Ausschreibungspflicht (§ 99 Abs. 1 GWB) auch die Notwendigkeit einer „unmittelbar dem Auftraggeber wirtschaftlich zugute kommenden Bauleistung“ normiert worden (§ 99 Abs. 3 GWB). Weiterhin hat der Gesetzgeber bestimmt, dass eine –der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in der Regel zugrunde liegende- Baukonzession zwingend die Übertragung eines „befristeten Rechts auf Nutzung“ durch den Konzessionär voraussetzt (§ 99 Abs. 6 GWB).

Diese GWB-Gesetzesänderung hat das OLG Düsseldorf mit einem Vorlageverfahren vor dem EuGH vom 02. Oktober 2008 in der Sache „Helmut Müller/Bundesanstalt für Immobilienaufgaben“ dem EuGH zur Prüfung vorgelegt.

3. Kernaussagen des Europäischen Gerichtshofs

In seiner Entscheidung vom 25. März 2010 verwirft der EuGH die Ahlhorn-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in weiten Teilen und bestätigt zugleich die Neufassung des § 99 GWB. Die Kernaussagen lauten:

(1)     Der Begriff „Öffentliche Bauaufträge“ setzt zwar nicht voraus, dass die zu erbringende Bauleistung in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird. Sie muss diesem jedoch „unmittelbar wirtschaftlich zugute kommen“. Die Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber genügt nicht, um diese Voraussetzung zu erfüllen.

(2)     Der Begriff „Öffentliche Bauaufträge“ erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbaren Verpflichtung handelt.

(3)     Die „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ können nicht bloß darin bestehen, dass eine Gemeinde die ihr vorgelegten Baupläne prüft oder in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten eine Entscheidung trifft.

(4)     Eine ausschreibungspflichtige öffentliche Baukonzession liegt nicht vor, wenn das Nutzungsrecht allein im Eigentumsrecht des entsprechenden Wirtschaftsteilnehmers verwurzelt ist.

4. Die EuGH-Aussagen im Einzelnen

Zunächst stellt der EuGH klar, dass der reine Verkauf eines unbebauten oder bebauten Grundstücks durch eine Kommune an einen Investor, bei dem die Kommune die Rechtstellung des Verkäufers und gerade nicht des Erwerbs einnimmt, keinen öffentlichen Bauauftrag darstellt. Der EuGH weist weiter darauf hin, dass öffentliche Aufträge stets „schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge“ sind. Der entgeltliche Charakter impliziere stets, dass der Auftraggeber eine „Leistung gegen eine Gegenleistung“ erhält.

(1)   Leistung muss Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugute kommen

 

Eine solche Leistung muss daher um ausschreibungspflichtig zu sein nach dem System des Vergaberechts für den Auftraggeber, d. h. für die Kommune, ein „unmittelbares wirtschaftliches Interesse“ beinhalten. Dieses unmittelbare wirtschaftliche Interesse braucht zwar nicht in einem gegenständlichen/körperlichen Sinne zu verstehen zu sein. Die Ausübung reiner kommunaler sowie städtebaurechtlicher Regelungs- oder Prüfzuständigkeiten genügt jedoch insoweit nicht. Der EuGH erwähnt drei Beispielsfälle (Rn. 50 bis 52), in denen ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber gegeben ist:

-          Der Auftraggeber wird Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks, das Gegenstand des Auftrags ist.

-          Der Auftraggeber verfügt über einen Rechtstitel, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt.

-          Das wirtschaftliche Interesse kann in wirtschaftlichen Vorteilen liegen, die der öffentliche Auftraggeber aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann. Es kann auch in seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks oder in den Risiken, die er im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt, bestehen.

Die erste EuGH-Konkretisierung zur Bestimmung des „unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses“ (Auftraggeber wird Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks) ist problemlos und unterlag schon immer der Ausschreibung. Bei der dritten vom EuGH angenommenen Möglichkeit (Auftraggeber kann wirtschaftliche Vorteile aus der zukünftigen Nutzung/Veräußerung des Bauwerks ziehen bzw. er beteiligt sich finanziell an der Erstellung oder trägt die Risiken eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks) knüpft der EuGH an seine Rechtsprechung „Stadt Roanne“ vom 18. Januar 2007 an. In dieser Fallgestaltung war insbesondere eine erhebliche finanzielle Beteiligung der Stadt an dem zu errichtenden Freizeitzentrum (ca. drei Millionen Euro) sowie die Übernahme der Risiken durch die Stadt im Falle der Nichterfüllung der Verträge durch den Auftraggeber vorgesehen. So sollte die Stadt automatisch Eigentümerin der nicht an Dritte verkauften Grundstücke werden und die Erfüllung der Verträge garantieren. Folge dieser Konkretisierung ist, dass eine Kommune auch weiterhin einen unechten Erschließungsvertrag, wonach eine Erstattung der z. B. von einem Bauträger für die Erschließung aufgewandten Kosten durch die Gemeinde, ggf. unter (Teil-) Verzicht auf die Erschließungsbeiträge, stattfindet, ausschreiben muss. Demgegenüber führt ein von der Kommune dem Investor beim Verkauf eines Grundstücks gewährter rein „finanzieller Nachlass“, ohne dass die weitere Voraussetzung einer einklagbaren Bauverpflichtung, s. Punkt 4 (2) oder einer „Bauherreneigenschaft“, s. Punkt 4 (3) vorliegt, unabhängig zu dem in diesem Fall zu prüfenden Beihilferecht, nicht zu einer Ausschreibungspflicht.

Die verbliebene Konkretisierung durch den EuGH (öffentlicher Auftraggeber hat einen Rechtstitel, der ihm die Verfügbarkeit des Bauwerks zur öffentlichen Zweckbestimmung sichert) muss in Ergänzung zu den zwei anderen Konstellationen ausgelegt werden. Danach kann als Rechtstitel nicht allein der städtebauliche Vertrag zwischen den Parteien ausreichend sein. Dieser sichert dem Auftraggeber gerade nicht –wie beim Eigentum- i. S. eines Rechtstitels die Verfügbarkeit des Bauwerks (Beispiel: Einkaufszentrum), das Gegenstand des Auftrags ist. Daher können mit dem „Rechtstitel“ nur die dem Eigentum vergleichbaren Nutzungsrechte (Miete, Nießbrauch etc.) gemeint sein, da der Auftraggeber nur hiermit seine rechtliche und tatsächliche Verfügbarkeit über das Bauwerk für den öffentlichen Zweck sicherstellen kann.

Ein Grundstücksverkauf, bei dem etwa eine Gemeinde im Vertrag mit dem Erwerber „nur“ eine öffentliche Zwecksetzung verbindet (Sozialer Wohnungsbau, Alteneinrichtungen etc.) ist nach der EuGH-Rechtsprechung nicht ausschreibungspflichtig. Grund ist, dass in diesem Fall kein „unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers“ gegeben ist. Denn auch bei einer „öffentlichen Zwecksetzung“ hat das primäre und „unmittelbare wirtschaftliche Interesse“ an der Nutzung der Einrichtung (Altenheim, Wohnungen etc.) nicht die Gemeinde, sondern der jeweilige (private) Investor.

(2)   Öffentlicher Bauauftrag setzt einklagbare Verpflichtung voraus

Der EuGH hat ferner klargestellt, dass der Begriff „Öffentliche Bauaufträge“ eine direkte oder indirekte Verpflichtung des Auftragnehmers zur Erbringung der Bauleistung erfordert. Damit unterliegen Grundstückskaufverträge immer dann nicht dem Vergaberecht, wenn die Realisierung von Bauleistungen oder eines Bauwerks nur Vertragsgrundlage ist, an deren Nichterfüllung ein Rücktritt, ein Widerkaufsrecht oder auch Vertragsstrafen geknüpft sind, ohne dass der Investor insoweit zur Bauleistung verpflichtet ist.

(3)   Baurechtliche Vorgaben und Prüfungen nicht ausreichend

Der für eine Ausschreibungspflicht ausreichende Tatbestand der Erbringung einer „Bauleistung …. gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen“ (s. § 99 Abs. 3 GWB) liegt nach dem EuGH nicht schon dann vor, wenn die öffentliche Hand die Baupläne des privaten Bauherrn lediglich in Ausübung ihrer städtebaulichen Zuständigkeit prüft oder in dieser Ausübung eine Entscheidung trifft. Damit macht der EuGH deutlich, dass der öffentliche Auftraggeber zur Anwendung des Vergaberechts als „Bauherr“ auftreten und damit auch einen entscheidenden Einfluss auf die Erbringung und Durchführung der Bauleistung haben muss. Städtebaurechtliche Vorgaben der Gemeinde allein genügen hierzu ebenso wenig wie rein gestalterische Vorgaben oder ein Negativausschluss (Beispiel: „Zulässig ist alles, mit Ausnahme von Vergnügungsstätten“).

(4)   Keine Baukonzession bei Eigentumsrecht des Wirtschaftsteilnehmers

Der EuGH stellt schließlich klar, dass es an einer vergaberechtspflichtigen Baukonzession, die von öffentlichen Bauaufträgen nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Bauleistung ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht, in der Regel fehlt, wenn das Nutzungsrecht allein im Eigentumsrecht des entsprechenden Wirtschaftsteilnehmers verwurzelt ist. Daher kann einem Unternehmen keine Konzession an einer Immobilie erteilt werden, deren Eigentümer er nach der Grundstücksveräußerung ist. Der EuGH sieht weiter gewichtige Wettbewerbsgründe dafür (Rn. 79), dass eine unbefristete Erteilung von Konzessionen gegen die Rechtsordnung der Union verstoßen würde. Damit ist deutlich die Tendenz des EuGH erkennbar, nach der eine bei Grundstücksveräußerungen vorliegende unbefristete Erteilung von Konzessionen wegen Verstoßes gegen die EU-Rechtsordnung (Einheit der Rechtsordnung) auch nicht vergaberechtskonform ist.

5. Fazit: Stärkung des kooperativen deutschen Städtebaurechts

Der EuGH hat in deutlicher Klarheit eine knapp drei Jahre bestehende und auf der Ahlhorn-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf fußende Rechtsunsicherheit für Kommunen und Investoren beendet. Auch die Rechtsbeständigkeit des seit dem April 2009 geltende § 99 GWB, mit dem kommunale Immobiliengeschäfte grundsätzlich von der Ausschreibungspflicht freigestellt wurden, ist bestätigt worden. Insgesamt ist mit der EuGH-Entscheidung das kooperative deutsche Städtebaurecht gestärkt worden. Schwierige Projektentwicklungen und Verzögerungen bei Investorenauswahlverfahren infolge einer Anwendung des komplexen Vergaberechts und eingeleiteter Nachprüfungsverfahren gehören damit hoffentlich der Vergangenheit an.

Dennoch ist auf eines hinzuweisen: Der EuGH hat zwar das Erfordernis eines EU-Vergabewettbewerbs für kommunale Immobiliengeschäfte im Grundsatz verneint. Die Verpflichtung zur Durchführung eines „normalen Wettbewerbs“ (Investorenauswahlverfahren) können sich jedoch auch weiterhin aus haushaltsrechtlichen und beihilferechtlichen Gründen, aber auch aus der Anwendung des EG-Primärrechts (Wettbewerb, Nichtdiskriminierung, Transparenz) sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbandlung) ergeben. Ein Auswahlprozess von Investoren im Wettbewerb bei der Veräußerung und Entwicklung kommunaler Flächen sollte daher auch in Zukunft –wenngleich ohne Rückgriff auf das Vergaberecht- stattfinden. Dies dient nicht nur der Transparenz. In einem derartigen Wettbewerbs- und Investorenauswahlverfahren lassen sich zudem auch die besten Ergebnisse für die Städte und Gemeinden und damit auch für deren Bürger und Bürgerinnen erzielen.

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