In der Regel kauft eine Kommune ein (Teil-) Grundstück, und veräußert dieses dann wieder unter dem Marktwert an Einheimische. Ziel ist es, insbesondere jungen Familien mit geringerem Einkommen die Möglichkeit zu geben, in ihrem Heimatort zu bleiben. Viele Ortsansässige können sich nämlich wegen des verstärkten Zuzugdrucks finanzstarker „Großstädter“ in die ländlichen Regionen den nur beschränkt zur Verfügung stehenden Baugrund nicht mehr leisten. Um junge „Häuslebauer“ am Ort zu halten, setzen vor allem ländliche Städte und Gemeinden das Einheimischenmodell in verschiedenen, spezifisch auf den Ort zugeschnittenen Varianten ein. Sie haben erkannt, dass die Ortsverbundenheit wichtig ist für den Bestand und die Entwicklung der örtlichen Gemeinde.
Aus ähnlichen Motiven hatte auch die Gemeinde Selfkant bzw. die von ihr gegründete Entwicklungsgesellschaft Selfkant mbH (EGS) unterschiedliche Bedingungen für Verkäufe von gemeindeeigenen Grundstücken an Ortsansässige und Nichtortsansässige festgelegt. Im Jahr 2006 zahlten Ortsansässige etwa 100 Euro pro Quadratmeter Land, während von Nichtortsansässigen 146 Euro verlangt wurden. Die Praxis der Gemeinde Selfkant war der EU-Kommission lange Zeit ein Dorn im Auge. Mitte 2007 leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachdem der Binnenmarktkommissar Mc Creevy noch 2008 das Vertragsverletzungsverfahren ruhen ließ, ist es umso unverständlicher, dass die jetzige EU-Kommission im Juni 2010 das Verfahren wieder aufleben lässt. Während ursprünglich nur das Einheimischenmodell der nordrhein-westfälischen Gemeinde Selfkant kritisiert wurde, sind nunmehr auch vier oberbayerische Städte und Gemeinden ins Visier der EU-Kommission geraten. Betroffen sind die Gemeinden Bernried und Seeshaupt am Starnberger See, die Stadt Vohburg an der Donau sowie die Stadt Weilheim in Oberbayern. Nun müssen die Einheimischen wieder um ihr Privileg fürchten.
Die Auffassung der EU-Kommission
Die EU-Kommission hält die praktizierten Einheimischenmodelle wegen einer angeblichen Diskriminierung von EU-Staatsangehörigen für europarechtswidrig. Ihrer Ansicht nach liegt ein Verstoß gegen die im EU-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit bzw. gegen den allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung vor. Die geltenden Regelungen machen den Kauf eines Eigenheims durch EU-Bürger, die in die jeweilige Gemeinde ziehen möchten, teurer, was eine Beschränkung ihres Aufenthaltsrechts in Deutschland darstelle. Betroffen seien Arbeitnehmer, Selbstständige und Nichterwerbstätige, die sich in der betreffenden Ortschaft niederlassen möchten. Diese von den betreffenden Gemeinden praktizierte Diskriminierung sei nicht gerechtfertigt. In einer mit Gründen versehenen Stellungnahme wird Deutschland daher aufgefordert, den Grundsatz der „Nichtdiskriminierung und der Freizügigkeit der Unionsbürger am Immobilienmarkt sicherzustellen“ und die dazu notwendigen Maßnahmen zu treffen. Wenn binnen der nächsten zwei Monate keine zufriedenstellende Antwort der deutschen Behörden eingeht, kann die EU-Kommission Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen.
DStGB und Bundesregierung: Für Beibehalt der Einheimischenmodelle
Die Auffassung der EU-Kommission ist tatsächlich und rechtlich nicht haltbar. Sie würde im Ergebnis die Identität und die gewachsenen Sozial- und Bevölkerungsstrukturen gerade ländlicher Gemeinden zerstören. Eine intakte, sozial sowie demographisch ausgewogene Bevölkerungsstruktur ist jedoch Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt und die soziale Integration vor Ort. Werte, die in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft immer wichtiger werden. Auf Freiwilligkeit basierende örtliche Sozialstrukturen, wie die gegenseitige Hilfe unter Familienangehörigen oder Nachbarn, sind gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels mehr denn je von Bedeutung. Wer engagiert sich denn bei der Nachbarschaftshilfe oder in der freiwilligen Feuerwehr oder geht einer ehrenamtlichen Tätigkeit in ortsansässigen Vereinen nach? Doch regelmäßig nur die Einheimischen. Die jahrzehntelang bewährten Einheimischenmodelle müssen daher bestehen bleiben. In Ausgestaltung ihrer Selbstverwaltung müssen Städte und Gemeinden auch weiterhin für ihren örtlichen und sozialen Zusammenhalt Sorge tragen können. Umso positiver ist, dass nicht nur der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) und seine Mitgliedsverbände für den Erhalt des Einheimischenmodells kämpfen. Auch die Bundesregierung hat sich in einer Stellungnahme zugunsten der Kommunen positioniert.
Der Vorwurf, Einheimischenmodelle würden zu einer Diskriminierung von Ausländern führen, ist unbegründet. Vielmehr zeigen konkrete Beispiele, etwa im bayerischen Bernried oder Weilheim, dass auch EU-Bürger in den Genuss der Förderung kommen können. Dort ist eine Voraussetzung für die Förderung, dass der Käufer seit einigen Jahren in der Kommune wohnt oder arbeitet. Weitere – soziale – Kriterien, die Einfluss auf die Förderung haben, sind zum Beispiel die Anzahl der Kinder, aber auch das Nichtüberschreiten bestimmter Einkommensgrenzen sowie Behinderungen. Dabei handelt es sich um Kriterien, die jeder EU-Bürger genauso wie ein auswärtiger deutscher Erwerber erfüllen kann. Deutsche und EU-Staatsbürger werden gleich behandelt: Für alle gelten die gleichen Bedingungen. Die Einheimischenmodelle stellen nicht auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit ab. Eine Diskriminierung von EU-Bürgern ist daher nicht gegeben. Zu bedenken ist auch, dass regelmäßig ca. 90 Prozent der Grundstücke im Ort weiterhin frei handelbar sind.
Ländliche Gemeinden leben von sozialem Zusammenhalt
Die Vergabe von Grundstücken an den durch die Vergabekriterien der Kommunen erfassten Personenkreis erfolgt zielgerichtet, um diesen Bürgern weiter den Lebensmittelpunkt in ihrer Gemeinde zu ermöglichen. Dies dient gerade dem Erhalt der oftmals ländlichen Struktur. Insoweit ist zu bedenken, dass etwa im Umland von München viele finanzkräftige Investoren nach attraktivem Bauland in der Umgebung suchen. Sie treiben aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten die Grundstückspreise in den Umlandgemeinden in die Höhe. Die Bürger und Arbeitnehmer, die in diesen Gemeinden arbeiten und meist geringere Einkünfte erzielen, können daher erst durch ein Einheimischenmodell überhaupt im Ort eine Immobilie erwerben. Gerade die ländlichen Gemeinden leben aber vom sozialen Zusammenhörigkeitsgefühl und der Bewahrung ihrer ortsspezifischen Kultur, Tradition und Bräuche.
Eine aktive kommunale Sozial- und Siedlungspolitik darf daher durch Brüssel nicht torpediert werden. Der EU-Vertrag von Lissabon hat die kommunale Selbstverwaltung, das Subsidiaritätsprinzip und die Allgemeinwohlinteressen gestärkt und das Wettbewerbsprinzip relativiert. Es ist endlich Zeit, dass auch die EU-Kommission dies erkennt. Ein Europa der Bürger wird jedenfalls nicht gelingen, wenn die Kommission das Erfolgsinstrument Einheimischenmodell rechtlich zerstört. Für Europa gilt daher die zentrale Forderung: Finger weg vom Einheimischenmodell!