Wir wollen keine Nullrunde, sondern ein vernünftiges Maß!
Herr Zagatta
Einen Ehrensold für ganz normale Beschäftigte forderte Verdi-Chef Frank Bsirske in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Wenn der zurückgetretene Bundespräsident Wulff für 20 Monate Amtszeit jetzt jährlich rund 200.000 Euro bekomme, dann müsse doch wohl auch Geld da sein für die Beschäftigten im diesem öffentlichen Dienst. Lohnerhöhungen von 6,5 Prozent fordert die Gewerkschaft und weil die kommunalen Arbeitgeber überhaupt kein Angebot vorgelegt haben, soll es jetzt ab übermorgen schon erste Streiks geben. Die Müllabfuhr, die Kinderbetreuung oder die Krankenpflege könnten in den Ausstand gehen.
Gerd Landsberg ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Landsberg.
Dr. Landsberg
Guten Morgen, Herr Zagatta.
Herr Zagatta
Herr Landsberg, sind Sie schon auf eine Chaoswoche oder auf Chaoswochen eingestellt?
Dr. Landsberg
Das sind wir nicht. Es ist allerdings überraschend, dass jetzt schon Warnstreiks kommen, denn für den 12. und 13. März sind ja weitere Verhandlungstermine festgesetzt. Insofern halte ich das für ein unangemessenes Muskelspiel zu Lasten der Bürger, denn die werden es am Ende auszutragen haben. Und auch die Verbindung zum Ehrensold, das hat nun überhaupt nichts miteinander zu tun.
Herr Zagatta
Ist das denn so überraschend, wenn man jetzt zur Kenntnis genommen hat, dass die öffentlichen Arbeitgeber überhaupt keine Angebote vorgelegt haben. Das müssen doch die Gewerkschaften als Provokation ansehen?
Dr. Landsberg
Das liegt einfach daran, dass die Forderung wirklich jenseits von Gut und Böse ist. Es sind nämlich nicht 6,5 Prozent, es sind wegen des Mindestbetrages von 200 Euro rund 8 Prozent. Ich kann das an einem einfachen Beispiel festmachen: Ein Lehrling bei der Stadtverwaltung bekommt im ersten Jahr 703 Euro und der soll jetzt einmal eben „zack“ 100 Euro mehr bekommen. Das sieht jeder, das sind eben deutlich mehr als 6,5 Prozent.
Herr Zagatta
In der vergangenen Tarifrunde 2010 hat es eine Einigung und eine Schlichtung gegeben. Und auch erst nach Warnstreiks. Ist das jetzt so ein Ritual, ohne das es überhaupt nicht geht?
Dr. Landsberg
Ich befürchte, dass es ein Ritual ist. Es ist bedauerlich – wie gesagt – es geht zu Lasten der Bürger. Die sind es ja leid. Ob Sie auf dem Flughafen oder wo immer sie hinkommen – sie müssen damit rechnen, dass sie das nicht machen können, oder dass sie das Ziel nicht erreichen, wie sie es wollen. Aber offenbar gehört das – ich nenne es einmal so – zum Spiel. Am Ende wird sicherlich keine Nullrunde herauskommen. Das haben wir ja auch ganz deutlich gesagt. Aber die 6,5 oder es sind ja tatsächlich sogar 8 Prozent, die sind in der Tat unrealistisch. Wir haben viele Vorteile im öffentlichen Dienst und wir haben eben nach wie vor eine relativ dramatische Finanzlage der Städte und Gemeinden.
Herr Zagatta
Haben die Gewerkschaften da nicht auch ein Anrecht, einmal etwas kräftiger hinzulagen. Die Steuereinnahmen der Kommunen, die sind doch in letzter Zeit auch wieder etwas gestiegen. Da geht es Ihnen doch jetzt etwas besser?
Dr. Landsberg
Das ist richtig. Das letzte Jahr hatten wir ein hohes Wirtschaftswachstum. Das war gut. Aber es war nicht gut genug. Wir haben trotz alledem 2,5 Milliarden Euro Miese gemacht. Das heißt, man schaut bei den Kommunen immer auf die Einnahmen, auf die Gewerbesteuer, die hat sich gut entwickelt. Mit dem Zuwachs im Schnitt von 13 Prozent, aber leider sind eben auch die Sozialausgaben weiter gestiegen. 45 Mrd. Euro. Wir haben 44 Milliarden Euro Kassenkredite, das heißt, es gibt Städte, die bezahlen ihr Personal mit immer neuen Krediten. Und vor dem Hintergrund sind diese Forderungen unrealistisch. Man kann sicher sagen, der einzelne Beschäftigte, der kann in der Tat nichts dafür, dass es den Kommunen schlecht geht. Aber wenn Herr Bsirske sagt, es muss eine Reichensteuer, eine Vermögenssteuer, eingeführt werden damit die Gehälter bezahlt werden, kann man das so sehen, nur darüber entscheiden nicht die Städte und Gemeinden, darüber entscheidet die Politik.
Herr Zagatta
Müssten Sie aber diese Forderungen mittragen, denn dass Städte und Gemeinden unterfinanziert sind, das kann man doch jetzt nicht in so einem Tarifkonflikt und dann letztendlich auf dem Rücken der Beschäftigten austragen.
Dr. Landsberg
Das ist zweifellos richtig. Deswegen sagen wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund, dass wir eine Agenda 2020 brauchen. Städte, Bund, Land, wir leben alle über unsere Verhältnisse. Wir schauen auf Griechenland und wissen genau, was die alles falsch gemacht haben. Dab ei machen wir im Moment genau dasselbe. Wenn Sie sich vorstellen: Wir sind jetzt mit über 2 Billionen Euro verschuldet. Das heißt, wir brauchen eine Lösung. Und wenn man glaubt, eine Schuldenbremse, die ja gestern auch in Brüssel und europaweit ein Thema war, dies allein löst das Problem ja nicht. Wir bauen Schulden doch nur ab, indem wir entweder die Einnahmen verbessern oder die Ausgaben reduzieren oder beides kombinieren. Und genau das werden wir müssen. Das ist nicht ganz einfach, das ist mir schon klar. Aber jeder, der weniger bekommt sagt, ja, warum ich, warum nicht der andere. Trotzdem geht daran kein Weg daran vorbei. Nach wie vor bietet der Staat immer mehr Leistungen. Er verspricht schon wieder besseres Elterngeld, mehr Kindergeld, für die Kinderbetreuung. Das wird ja auch immer vergessen. Die Kommunen sind ja nicht nur in einer schlechten Lage, sie sollen auch noch immer mehr bieten. Ein Beispiel: Kinderbetreuung: Wir sollen bis zum 1. August 2013 noch einmal eben über 200.000 Kindergartenplätze schaffen, das heißt: Kindergärten bauen, Leute einstellen. Da muss man auch als Gesamtgesellschaft die Frage beantworten: Wer finanziert das wie. Und das lösen wir nicht indem wir sagen: „Die Menschen brauchen mehr Geld und zwar mindestens 8 Prozent.“
Herr Zagatta
Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?
Dr. Landsberg
Ich fühle mich nicht von der Politik im Stich gelassen. Es gibt ja erste Signale. Der Bund entlastet uns jetzt von der Grundsicherung. Das ist ein erster Schritt. Aber ich erkenne in der Gesellschaft immer noch das Gefühl, dass der Staat alles kann und alles finanzieren kann. Das wird ja teilweise auch durch die Milliardenpakte vermittelt. Das sind Summen, die man sich ja gar nicht mehr vorstellen kann. Und da brauchen wir eine Wende sowohl im Bewusstsein der Menschen, aber auch in der Politik. Und das ist für Politiker schwer. Sie profilieren sich natürlich regelmäßig damit, dass sie noch etwas Besseres und noch mehr versprechen. Und genau der umgekehrte Weg wäre der richtige.
Herr Zagatta
Nun stehen aber diese Tarifverhandlungen an, diese Streikdrohungen. Können Sie denn die Unzufriedenheit Ihrer Beschäftigten, können Sie die nachvollziehen?
Dr. Landsberg
Ich kann nachvollziehen, dass die Beschäftigten an dem Wirtschaftsaufschwung, der ja überall spürbar ist, beteiligt werden wollen. Deswegen sagen wir ja auch, das war übrigens in früheren Jahren anders, wir wollen keine Nullrunde. Nur über die Höhe, da muss man reden und da sind die genannten Zahlen von der Gewerkschaft nicht verhandelbar. Sie müssen auf ein vernünftiges Maß zurückgeführt werden. Und auch das muss man den Bürgern sagen. Wer bezahlt das denn am Ende. Am Ende werde Gebühren steigen, die Steuern steigen und – das ist für die Beschäftigten wichtig – der Druck auf die Kommunen, Personal einzusparen, zu privatisieren, Dienstleistungen auszulagern, wie es so schön heißt, der wird enorm zunehmen und das ist nicht im Interesse der Beschäftigten. Letztes Argument: Der Vergleich mit der Privatwirtschaft, der hinkt. Der hinkt deswegen: Erstens haben Sie im öffentlichen Dienst kein Arbeitsplatzrisiko. Sie haben in der Regel auch relativ gute Arbeitsbedingungen, familienfreundliche Arbeitsbedingungen. Sie haben eine interessante Aufgabe, Sie werden auch bei der Stadtverwaltung normalerweise nicht in eine andere Stadt versetzt, also die Mobilitätsanforderungen sind unterschiedlich. Wir haben auch schon Attraktives zu bieten und das muss in der Gewichtung eine Rolle spielen. Denn ein Unternehmen nimmt das Produkt, macht es teurer oder wenn die Zeiten schlecht sind, entlässt es Leute, geht auf Zeitarbeit oder Niedriglohn. All das tun wir nicht, dürfen wir nicht, wollen wir nicht. Aber das muss sich in den Tarifverhandlungen dann auch widerspiegeln.
Herr Zagatta
Können sich Städte und Gemeinden jetzt bei diesen Tarifverhandlungen und bei den anstehenden Streiks in der nächsten Woche – also am Montag soll es ja schon relativ konkret losgehen – können Sie sich in irgendeiner Form auf diese Streiks einstellen, oder ist man dem Chaos ausgeliefert?
Dr. Landsberg
Also, Sie können sich nur beschränkt einstellen, weil man erst sehr kurzfristig weiß, wo wird wer, was, wie bestreikt. Andererseits handelt es sich um Warnstreiks. Das heißt, es wird sich schon auf wenige Stunden beschränken und wie ich schon gesagt habe, der Leidtragende wird der Bürger sein. Deswegen hoffe ich insbesondere, dass nicht Kindertagesstätten bestreikt werden. Denn Menschen, die arbeiten wollen, die brauchen das für ihre Kinder und werden dann in eine ausgesprochen ungünstige Situation gebracht.
Herr Zagatta
Damit droht aber die Gewerkschaft…
Dr. Landsberg
Damit droht die Gewerkschaft. Das ist aus deren Sicht auch nachvollziehbar. In der Tat ist natürlich eine Stadtverwaltung interessant für einen Streik. Wenn in einem Bundesministerium jemand streikt, werden wir das wahrscheinlich gar nicht merken. Aber dort, wo die Leistung für den Bürger erbracht wird, ist natürlich auch der sensible Bereich.
Herr Zagatta
Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Dr. Landsberg
Bitteschön, Herr Zagatta.