EUGH - Urlaubsanspruch auch für kranke Beamte

Die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung - ABl. L 299, 9) verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält. Dieser bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Herr N. arbeitete seit 1970 im Dienst der Stadt Frankfurt am Main. Er war dort im Beamtenverhältnis zunächst als Feuerwehrmann, dann als Hauptbrandmeister tätig. Ab dem 12.06.2007 war Herr N. wegen Krankheit dienstunfähig und trat mit Ablauf des Monats August 2009 in den Ruhestand. Aufgrund der von der Fünftagewoche abweichend festgesetzten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit für Feuerwehrbeamte betrug der Anspruch von Herrn N. auf Jahresurlaub in den Jahren 2007 bis 2009 jeweils 26 Tage. Feuerwehrbeamte haben außerdem Anspruch auf einen Feiertagsausgleich. Nach den anwendbaren deutschen Rechtsvorschriften musste Herr N. seinen Urlaub grundsätzlich im Urlaubsjahr nehmen. Die Rechtsvorschriften legten jedoch einen Übertragungszeitraum von neun Monaten fest, so dass Urlaub, der nicht innerhalb dieser neun Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres angetreten worden war, verfiel. Herr N. ist der Auffassung, zwischen 2007 und 2009 einen unerfüllten Urlaubsanspruch von 86 Tagen angesammelt zu haben, was einen Betrag von 16 821,60 Euro brutto ergebe. Er beantragte deshalb bei der Stadt Frankfurt am Main die Zahlung einer finanziellen Vergütung in dieser Höhe für den nicht genommenen Urlaub. Nachdem sein Antrag mit der Begründung abgelehnt worden war, dass eine Geldabfindung für nicht genommenen Urlaub im deutschen Beamtenrecht nicht vorgesehen sei, erhob Herr N. Klage. Vor diesem Hintergrund hat das angerufene VG Frankfurt am Main den EuGH mit mehreren Fragen befasst. Insbesondere möchte es wissen, ob die Richtlinie 2003/88 für Beamte gilt und ob sich der darin vorgesehene Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nur auf den Mindestjahresurlaub von vier Wochen oder auch auf die im nationalen Recht zusätzlich vorgesehenen Urlaubsansprüche erstreckt.

Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie 2003/88 für Beamte gilt und ein Beamter bei Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat, wenn er seinen Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen aus Krankheitsgründen ganz oder zum Teil nicht ausüben konnte. Für etwaige Ansprüche auf zusätzlichen bezahlten Urlaub könne jedoch die nationale Regelung die Zahlung einer finanziellen Vergütung ausschließen. Der EuGH hat ausgeführt, dass die Richtlinie 2003/88 grundsätzlich für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche gilt, um bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung der Arbeitnehmer zu regeln. Zwar seien in der Richtlinie Ausnahmen von ihrer Anwendung vorgesehen, doch seien diese allein zu dem Zweck erlassen worden, das ordnungsgemäße Funktionieren der Dienste zu gewährleisten, die in Situationen von besonderer Schwere und besonderem Ausmaß für den Schutz der öffentlichen Sicherheit, Gesundheit und Ordnung unerlässlich seien. Daher antwortet der EuGH, dass die Richtlinie 2003/88 für einen Beamten gilt, der unter gewöhnlichen Umständen als Feuerwehrmann tätig ist.
Ferner weist der EuGH darauf hin, dass nach dieser Richtlinie jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat. Ende das Arbeitsverhältnis jedoch, sei es nicht mehr möglich, den bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen. Deshalb und um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer jeder Genuss dieses Anspruchs – selbst in finanzieller Form – verwehrt werde, gewähre die Richtlinie dem Arbeitnehmer in einem solchen Fall einen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung. Für den vorliegenden Fall stellt der EuGH fest, dass der Eintritt eines Beamten in den Ruhestand sein Arbeitsverhältnis beendet. Der EuGH folgert daraus, dass ein Beamter bei Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub hat, den er nicht genommen hat, weil er aus Krankheitsgründen keinen Dienst geleistet hat. Der EuGH stellt jedoch klar, dass die Richtlinie der Anwendung nationaler Bestimmungen nicht entgegensteht, die dem Beamten zusätzlich zu dem Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren. In einem solchen Fall können die nationalen Rechtsvorschriften vorsehen, dass keine finanzielle Vergütung gezahlt werde, wenn dem in den Ruhestand tretenden Beamten diese zusätzlichen Ansprüche nicht haben zu Gute kommen können, weil er aus Krankheitsgründen keinen Dienst leisten konnte.
In diesem Zusammenhang führt der EuGH aus, dass sich die Richtlinie auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung beschränkt und die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden. Daher könne im nationalen Recht ein Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von mehr als vier Wochen vorgesehen werden, der unter den in diesem nationalen Recht niedergelegten Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung eingeräumt werde. Dabei sei es Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie den Beamten zusätzlich zum Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren und ob sie dabei einen Anspruch des in den Ruhestand tretenden Beamten auf eine finanzielle Vergütung für den Fall vorsehen, dass ihm diese zusätzlichen Ansprüche nicht haben zu Gute kommen können, weil er aus Krankheitsgründen keinen Dienst geleistet habe. Ebenso sei es Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für eine solche Gewährung festzulegen.
Schließlich stellt der EuGH fest, dass die Richtlinie nach seiner jüngeren Rechtsprechung (Urt. v. 22.11.2011 - C-214/10 "KHS AG/Winfried Schulte") einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, die durch einen Übertragungszeitraum von neun Monaten, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt, den Anspruch eines in den Ruhestand tretenden Beamten auf Ansammlung der finanziellen Vergütungen für wegen Dienstunfähigkeit nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub beschränkt. Jeder Übertragungszeitraum müsse nämlich für den Arbeitnehmer die Möglichkeit gewährleisten, bei Bedarf über Erholungszeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden sowie verfügbar sein können, und er müsse die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt werde, deutlich überschreiten. Im vorliegenden Fall betrage der Übertragungszeitraum jedoch neun Monate und sei damit kürzer als der betreffende Bezugszeitraum.

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