Die Quadratur des Kreises: Die Interkommunale Digitale Poststelle

Von Holger Wilder

Kommunen müssen den Kreis quadrieren
 
Kommunen wollen und sollen nicht nur Verwalter sondern vor allem Gestalter sein. Sie wollen das gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen in ihrer Stadt nicht nur begleiten, sondern den Bürgern und Unternehmen eine Perspektive aufzeigen und den Weg dahin ebnen. Neben den zu erreichenden übergeordneten Zielen „Ordnung“ und „Sicherheit“ gehören dazu zum Beispiel Initiativen der Kommunen zum Thema Klimaschutz, bedarfsgerechte Kinderbetreuung oder der Aufbau zeitgemäßer Infrastrukturen etwa im Bereich Breitband oder öffentliche WLAN-Hot-Spots. Zu jeder Art des Gestaltens bedarf es aber auch des Geldes und das ist derzeit vieler orten sehr knapp. Die Kommunen wollen aber können nicht gestalten, weil ihnen wegen der Ressourcenknappheit die Hände gebunden sind.

Auch die Kommunen in der Region Hellweg-Sauerland haben seit Jahren mit diesen Problemen zu kämpfen, denn die Bürger und Unternehmen stellen bei sinkenden Einnahmen steigende Erwartungen an die Kommunen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die weitgehende Verbreitung von Informationstechnologie und vor allem des Internets hat die Ansprüche der Bürger gegenüber der Verwaltung verändert. Bürger sind es aus dem privaten Bereich gewohnt, schnell und bequem von zu Hause aus am Computer einzukaufen oder mit einem Kundendienst eines Herstellers per Email Kontakt aufzunehmen. In der Regel erhalten Kunden recht schnell eine Antwort von den Kundendiensten und natürlich erwarten sie auch von Verwaltungen eine ähnlich schnell Rückmeldezeit, wenn sie Fragen an die Verwaltung haben. Allerdings stehen den Verwaltungen keine professionellen Call-Center zur Verfügung. Die Erwartungen der Bürger sind also durch allgemeine Dienstleistungsstandards verwöhnt, aber Kommunen erhalten nicht für mehr Dienstleistung mehr Ressourcen, sondern müssen in der Regel mit weniger Ressourcen mehr Dienstleistung erbringen. Sie müssen also gleichzeitig effizienter und effektiver funktionieren, also zugleich Geld einsparen und höheren Ansprüchen genügen.

Diese erwartete „Quadratur des Kreises“ kann nur über eine Reduktion der Leistungsstandards oder durch besondere kluge Innovationen in der Prozessgestaltung ermöglicht werden.

Das Modellprojekt „Vernetzte Verwaltung“

Einen innovativen Weg beschreitet die Studie Wirtschaftlichkeit des Digitalen Schriftgutmanagements (DSM). Hierbei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt des Kreises Soest, der Deutschen Post, der b.i.t. consult GmbH der KGSt sowie des Rechenzentrums KDVZ Citkomm. Sie bildet eine der Grundlagen für das Modellprojekt „Vernetzte Verwaltung“ des Landes Nordrhein Westfalen. Der Grundansatz des Modellprojekts besteht darin, Dienstleistungsbereiche von Kommunalverwaltungen zu identifizieren, die standardisiert ablaufen und damit zusammengefasst werden können. Das Zauberwort dabei lautet „interkommunale Kooperation“: Für bestimmte Dienstleistungen wird ein zentraler Servicepunkt eingerichtet, der diese Prozesse für mehrere Kommunen gleichzeitig erledigt. Die zweite Komponente des Projektes besteht darin, die Kommunikation der Verwaltungen mit dieser Servicestelle vor allem auf elektronischem Wege – also über das Internet – zu organisieren.

Das gemeinsame Shared Service Center „Digitale Postbearbeitung des Kreises Soest, des Märkischen Kreises und der Städte Lippstadt und Soest ist als eines von vier Vorhaben durch die Landesregierung NRW ausgewählt worden, neue Kooperattionsformen durch Vernetzung von Kommunalverwaltungen zu erschliessen. Hier wird eine organisatorische und technische Lösung für die gemeinsame Abwicklung des Postein- und -ausgangs der beteiligten Kommunen in digitaler Form geschaffen. Im Grunde geht es darum, den gesamten bisherigen papierbasierten internen Postverkehr schrittweise immer mehr mittels digitaler Medien abzuwickeln. Dabei sollten die dahinter stehenden Prozesse und Softwareanwendungen so weit als möglich erhalten bleiben, um zusätzliche Veränderungskosten gering zu halten.

Das langfristige Ziel besteht darin, zukünftig sämtliche Prozesse im internen Verkehr in der Verwaltung volldigital – also papierlos – stattfinden lassen zu können. Natürlich sind in den letzten Jahren bereits viele eGovernment-Lösungen in der Verwaltung umgesetzt, so dass Prozesse sowieso schon digital ablaufen. Allerdings sind auch trotz eGovernment-Komponenten immer noch Medienbrüche vorhanden, etwa wenn ein Antrag eines Bürgers oder Unternehmens einen Sachbearbeiter der Verwaltung erreicht. Die Mitarbeiter in den Poststellen öffnen Kuverts, entklammern Anträge, sortieren Briefe und Formulare. Dann gehen die Schriftstücke mit der Hauspost auf die Reise durch Dienststellen, Flure und Etagen. Wenn das Dokument dann endlich auf dem richtigen Schreibtisch gelandet ist, müssen die Sachbearbeiter die Daten per Hand in den Computer tippen. Erst dann kann der Vorgang bearbeitet werden. Erst dann beginnt die eigentliche Verwaltungstätigkeit und häufig erst die Nutzung der eGovernment-Anwendungen. Und erst dann beginnen auch die eGovernment Lösung erst zu greifen. Ein ähnliches Verfahren findet sich im Informationsausgang wieder. Der Druck erfolgt in der Regel dezentral. Und nicht selten werden Schreiben von den Sachbearbeitern selbst ausgedruckt, kuvertiert und an die Poststelle übergeben.

Die Idee der „Digitalen Postbearbeitung“ unterstützt also die Verwaltungsarbeit und die verwendeten Fachanwendungen bzw. eGovernment-Komponenten durch den Ansatz des integrierten digitalen Schriftgutmanagements (DSM). Mit Hilfe dieses Konzepts kommt jede eingehende Information unverzüglich beim zuständigen Sachbearbeiter an. Und zwar nicht nur in der Post­mappe, sondern elektronisch im System – bereit zur sofortigen Weiterverarbeitung. Im Bereich des Kommunikationsausgangs kann beispielsweise die komplette Tages­korrespondenz von allen Arbeitsplätzen gesammelt und in einen zentralen Druck­datenstrom geführt werden. Kuvertierung und Versand können dann optional durch die Poststelle oder einen externen Dienstleister erfolgen.
 
Ein zentraler Punkt dieses Konzepts ist es, externe Dienstleistungszentren einzurichten, welche zentral den Postein- und -ausgang digitalisieren. Die meiste Post kommt ja nach wie vor in Papierform an und verlässt die Behörde im Regelfall auch in Papierform. Es muss also Stellen geben, die Briefe einscannen, oder Inhalte von Briefen etwa in vorgegebene eGovernment-Formulare eingeben. Im Sinne des Projektes „Vernetzte Verwaltung“ wird dies auf interkommunaler Ebene von Spezialisten erledigt – etwa von einem externen Dienstleister. Dieser arbeitet schneller, weil er spezialisiert ist und in der Regel auch billiger, weil das größere Postaufkommen insgesamt Skaleneffekte hervorruft und damit Effizienzgewinne bringt.
 
Die Grundidee verspricht also durchaus eine höhere Leistung der Verwaltung v.a. in punkto Reaktionsschnelligkeit während gleichzeitig die Kosten sinken, weil Skaleneffekte nutzbar werden, die etwa durch Spezialisierung hervorgerufen werden.
 
Die Umsetzung des Projekts in drei Schritten
 
Bei der Beantwortung der Frage, wie man diese Idee nun in die Praxis umsetzen könnte, beschlossen die beteiligten Kommunen einem dreistufigen Konzept zu folgen.

1. Zunächst mussten sich die Kommunen fragen, welche Prozesse für das Konzept der digitalen Postbearbeitung überhaupt in Frage kommen. Dazu gehört es, zunächst einmal Prozesse zu identifizieren, die so oft von Bürgern oder Unternehmen in Anspruch genommen werden, dass es Sinn macht, sie aufgrund des Postaufkommens in ein interkommunales System zu integrieren. Zudem macht dies natürlich nur für Prozesse Sinn, die überhaupt eGovernment- oder „DSM-fähig“ sind, bei denen also aufgrund der Art und Weise des Prozesses die Möglichkeit besteht, ein „Digitales Schriftgutmanagement“ anzuwenden. Eine im Rahmen des Projekts durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass 20 % der kommunalen Prozesse 80 % der Geschäftsvorfälle generieren und 80 % der Personalressourcen binden. Weiterhin fand man heraus, dass sich bei Kreisen rund 200, bei kreisfreien Städten zwischen 300 und 500 Kernprozesse ergeben, die aufgrund ihres Aufkommens generell als eGovernment- bzw. DSM-würdig zu bewerten sind. 70 % dieser Kernprozesse sind eGovernment-fähig, lassen sich also elektronisch umsetzen. Damit ist auch das Potenzial für eine DSM-Integration auf kommunaler Ebene ermittelt.

2. Der zweite Umsetzungsschritt war durch einen höheren Schwierigkeitsgrad bestimmt, denn selbst wenn man die geeigneten Prozesse identifiziert hat, sollte der Weg in eine interkommunale Kooperation gefunden werden, um die notwendigen Skaleneffekte durch die größere Gesamtzahlen zu erreichen. In diesem Schritt ging es also vielmehr darum, in allen kooperierenden Verwaltungen ein Verständnis über dieselben Prozessveränderungen herbeizuführen. Erfahrungsgemäß ist ein solches gemeinsames Prozessverständnis schon innerhalb der eigenen Verwaltung nicht einfach, da es für verschiedene Prozesse unterschiedliche Lösungen gibt, die nicht immer miteinander kompatibel sind. Dies kann an den Softwareherstellern der Fachanwendungen liegen oder an nicht integrierbaren Dateiformaten. Im zweiten Schritt ging es deshalb darum, ein übertragbares Standardmodell für DSM-Lösungen zu entwerfen. Es sollte also für jeden Prozess, der im ersten Schritt als DSM-fähig und umsetzungswürdig identifiziert wurde, eine einheitliche Softwarelösung für alle beteiligten Kommunen gefunden werden, die mit allen anderen Softwarelösungen in den Kommunen kompatibel sind. Das Ergebnis war damit der Entwurf eines Standardmodells für eGovernment-Lösungen aller beteiligten Kommunen. Gerade die Umstellungsphase von der alten auf die neue, integrierte eGovernment-Lösung ist natürlich ein schwieriger Prozess.

3. Erst im dritten Schritt wurde die eigentliche interkommunale Kooperation gegründet. Hierbei wurde der Aufbau eines interkommunalen Servicezentrums für den Postein- und –ausgang vereinbart und umgesetzt. Die gewählte Lösung sieht dabei vor, das interkommunale Servicezentrum von einem externen Dienstleister betreiben zu lassen, der sich auf diesen Dienstleistungsprozess spezialisiert hat. Für die Kommunen hat das einerseits den Vorteil, die digitale Postbearbeitung in professionellen Händen zu wissen, andererseits muss sich die Stadt nicht im operativen Geschäft mit anderen Kommunen koordinieren, so dass sie sich weiterhin auf die Kernaufgaben der eigenen Verwaltung konzentrieren können.

Die Abrechnung: Digitaler Posteingang gibt den Kommunen mehr Gestaltungsspielraum
 
Bei Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen wurde nachgewiesen, dass fast 80 Prozent der Kosten eingespart werden können, wenn man die Prozesse volldigitalisiert und den Postein- und -ausgang als Digitalisierungsstelle ausbaut (in der Grafik Szenario 4: DSM). In dieser Berechnung sind die möglichen Effizienzgewinne und Skaleneffekte einer interkommunalen Vereinheitlichung noch nicht miteinberechnet. Insofern kann man bei der Umsetzung dieser interkommunalen Vereinheitlichung mit sogar noch höheren Einsparungen rechnen. Dabei ist ebenfalls zu betonen, dass die Dienstleistungsqualität der Kommunen nach der Umsetzung sogar ansteigt, da die Prozesse v.a. schneller ablaufen.

Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung hat ebenfalls ergeben, dass andere Modelle, die nicht so tiefe Umstrukturierungen erfordern ebenfalls Ersparnisse erwirtschaften können. Wenn man aus dem oben beschriebenen Umsetzungskonzept den zweiten Schritt einfach herausstreicht, ergeben sich 23 Prozent Ersparnis (in der Grafik Szenario 3). In diesem Fall macht es allerdings sogar Sinn nur den Postausgang zu digitalisieren, da hier die Ersparnisse um 5 Prozent höher liegen, nämlich bei 28 Prozent (Szenario 2). Eine einfache Umsetzung eines digitalen Posteingangs macht dagegen keinen Sinn (Szenario 1).
 
Das Projekt “Digitale Postbearbeitung“ zeigt, dass es möglich ist, die Befriedigung steigender Ansprüche von Bürgern mit dem Zwang zum Sparen zu vereinbaren und gleichzeitig die Arbeitslast besser zu verteilen. Es wird eine Einsparung durch das digitale Poststellenkonzept von fast 85 Prozent erwartet. Realisiert kann dies vor allem dadurch werden, dass das Konzept „Digitales Schriftgutmanagement“ und „eGovernment“ konsequent weiter gedacht und umgesetzt wurde: die besten eGovernment-Anwendungen helfen nichts, wenn sie als Insellösungen existieren. In manchen Fällen bedeutet dies sogar Mehrarbeit. eGovernment macht erst dann wirklich Sinn, wenn ein integriertes, in sich stimmiges und intelligentes System dahinter steht, das vor allem an den Informationsein- und ausgängen digitalisiert ist. eGovernment wird also durch den digitalen Postein- und -ausgang eines integrierten Digitalen Schriftgutmanagements erst wirklich sinnvoll. Die Kombination von eGovernment-Lösungen mit einer digitalen Postbearbeitung wird in den nächsten Jahren immer wichtiger werden.
 
Fazit: Digitales Schriftgutmanagement ist integraler Bestandteil von Wirtschaftsförderung 2.0
 
Durch die konsequente Anwendung des „Digitalen Schriftgutmanagements“ werden interne Dienstleister noch viel stärker als bisher in Prozessketten eingebunden und eGovernment und DSM zusammengeführt. eGovernment lebt von Team-, Gruppen- und organisationsübergreifender Kommunikation und Interaktion. Die Idee der volldigitalen Verwaltungsprozesse beinhaltet insbesondere auch die Kommunikation mit den Bürgern und Unternehmen. In diesem Band wird „Wirtschaftsförderung 2.0“ definiert als eine Mentalität und Arbeitsweise, welche die Belange der Wirtschaft in das eigene Handeln einbezieht und in Arbeitsprozesse insbesondere durch dezentrale Dateneingabe einbaut.

Das digitale Schriftgutmanagement setzt die Idee der dezentralen Dateneingabe, des „User-Generated-Contents“ konsequent um. So wurde beispielsweise bei der Umsetzung der Antragslogistik bei der Auto-Abwrackprämie in 2009 die Daten über Formulare und volldigitale Datenerfassung zwischen Behörde (BAFA) und Antragstellern hin und her gespielt. Die Anwender haben Teile des Prozesses durch eigene Datenerfassung und -eingabe unterstützt. Im Back-End der Verwaltung wiederum wurden die eingegebenen Daten mit den dort verfügbaren Prozessen und Anwendungen harmonisiert, ohne zuvor größere Veränderungen vornehmen zu müssen. Durch die aktive Einbindung der Kunden in den Antragsprozess und eine konsequente Digitalisierung des Schriftguts konnten sowohl die Prozessdurchlaufzeit als auch die Prozesskosten deutlich reduziert werden.

Der nächste Schritt eines integrierten digitalen Schriftgutmanagements ist dann die Integration der behördlichen Prozesse in die Prozesse der Unternehmen. Etwa durch volldigitale Versendung von rechtssicheren Briefen (digital-digital) können im Vergleich zur oben vorgestellten teildigitalen Versendung (digital-papier) noch einmal große Zeit- und Ressourceneinsparungen realisiert werden.

Übertragen auf die Wirtschaftsförderung kann dies bedeuten, dass eine durchgehende Digitalisierung der Behördenkommunikation gerade für die Kommunikation in der Wirtschaftsförderung und in der Kommunikation mit Unternehmen sinnvoll sein kann. Deswegen gilt auch für die Wirtschaftsförderung, dass erst mit der Volldigitalisierung aller Kommunikationsprozesse die vollen Synergieeffekte der Idee einer Wirtschaftsförderung 2.0 erschlossen werden können.

Für die am Projekt beteiligten Kommunen in der Hellweg-Sauerland-Region jedenfalls ist die derzeitige Lösung schon dadurch sinnvoll, dass sie mehr Luft zum Atmen verschafft. Es werden Ressourcen frei, die eine Gestaltung der Kommunen in anderen Bereichen erst wieder möglich macht.

Holger Kindler

Autor: Holger Kindler, seit 2007 an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt. Der Diplom-Wirtschaftssinologe und Master of Public Policy studierte Public Management, Betriebs- und Volkswirtschaftslehre u.a. in Erfurt, Shanghai und Bloomington, Indiana. Er ist momentan als selbständiger Unternehmensberater tätig und auf internationale Wirtschaftspolitik, strategisches Marketing und IT-Strategie spezialisiert.

(Quelle: Kapitel aus dem Buch Wirtschaftsförderung 2.0, online erhältlich unter www.wirtschaftsfoerderung20.de)

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