Vorwort von Harald Lemke:
"Das erste Gutachten zu den rechtlichen Möglichkeiten, den E-POSTBRIEF in der öffentlichen Verwaltung einzusetzen, hat eine große Resonanz gefunden: Es mussten sogar Exemplare nachgedruckt werden. Das zeigt, dass in der Übergangsphase von der herkömmlichen Schriftkommunikation zur elektronischen Kommunikation viele Rechtsfragen auftauchen und dass es richtig war, diese Fragen – am Beispiel der allgemeinen Verwaltung – wissenschaftlich beantworten zu lassen. Schriftformerfordernis, Zugangseröffnung und Zustellungsfiktion lauten einige der Stichworte, die dort bearbeitet wurden.
In Fachverfahren gelten teilweise spezielle Regelungen. Die Deutsche Post hat deshalb das Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel um eine zusätzliche rechtliche Prüfung gebeten, ob dem Einsatz des E-POSTBRIEFS in der Sozialverwaltung und in der Steuerverwaltung irgendwelche Hindernisse entgegen stehen. Diese beiden Fachverwaltungen sind bewusst gewählt worden, weil dort mit dem Steuergeheimnis und mit dem Sozialgeheimnis anscheinend besonders hohe Hürden für die Vertraulichkeit der Kommunikation aufgebaut worden sind. Wenn hier exemplarisch gezeigt werden könnte, dass dieses Geheimnis jeweils auch bei elektronischer Kommunikation gewahrt werden kann, dann ließe sich das sicherlich auf andere Verwaltungen übertragen. Darüber hinaus haben die Kieler Verwaltungswissenschaftler die Rechtsfragen, die sich beim Versenden und Empfangen von E-POSTBRIEFEN ergeben, speziell für Berufsgeheimnis-träger (wie Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschafts-prüfer) durchdekliniert. Wenn ein strafbares Verhalten eines Dritten erforderlich sei, um an bestimmte Daten zu gelangen, könne grundsätzlich kein „Offenbaren“ vorliegen und damit auch keine Strafbarkeit des Berufsträgers gemäß § 203 StGB begründet werden. Das gelte insbesondere beim Versenden eines besonders abgesicherten E-POSTBRIEFES.
Im Unterschied zum Steuerverfahren, wo tatsächlich eine entsprechende Vorschrift existiert, gibt es für das Sozialverfahren keine Vorschrift, die im Falle elektronischer Kommunikation eine technische Sicherung, beispielsweise eine Verschlüsselung, verlangt. Die Forderung danach könne nur begründet werden, wenn man die rechtlichen Sicherungen zum Schutz von Sozialdaten nicht als ausreichend erachte. Die Gutachter sind sogar der Ansicht, dass entgegen der Begründung zum De-Mail-Gesetz auch im Anwendungsbereich der Abgabenordnung elektronische Kommunikation zulässig ist.
Das sind nur einige der Ergebnisse, die es lohnen, das Gutachten intensiv zu studieren. Ich bin sicher, dass es eine lebhafte Diskussion auslösen wird, und hoffe, dass diese Diskussion am Ende Bedenken ausräumen kann, die eine stärkere Nutzung elektronischer Kommunikations-formen behindern. Wenn sie angenommen werden sollen, müssen Verfahren alltags- und massentauglich sein. Eine explizite Regelung hybrider Kommunikationsformen halten die Gutachter für nicht zwingend erforderlich, sie wäre aus ihrer Sicht jedoch geeignet, die Rechtssicherheit für alle Beteiligten nachhaltig zu erhöhen.
Auch in anderen Punkten zeigt das Gutachten rechtspolitischen Handlungsbedarf auf: Der Gesetzgeber könnte zum Beispiel bestimmten Neigungen, für die elektronische Schriftkommunikation höhere Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz zu stellen als sie in der herkömmlichen Kommunikation jemals gegolten haben, durch Klarstellung einen Riegel vorschieben. Die Gutachter plädieren außerdem für die Rückkehr zu einer sachgerechten Differenzierung zwischen der unzulässigen Weitergabe und Kenntnisnahme von Daten hinsichtlich von Telekommunikations- und Postdienstleistern auf der einen Seite, externen Dritten auf der anderen Seite. Insofern enthält das Gutachten auch Anregungen für das geplante E-Government-Gesetz des Bundes, das wiederum in die Länder ausstrahlen dürfte.
Beim Lesen kann man den Eindruck gewinnen, bei der Einführung elektronischer Kommunikationsformen würden viele Fragen noch einmal ganz grundsätzlich diskutiert, die bei der herkömmlichen Kommunikation längst pragmatisch beantwortet sind. In Übergangsphasen ist das wohl unvermeidlich. Aber je eher es gelingt, einen neuen Konsens zu finden, desto eher können die Vorteile elektronischer Kommunikation tatsächlich ausgeschöpft werden.
Mein Dank gilt wiederum Dr. Sönke E. Schulz, dem Geschäftsführer des Lorenz-von-Stein-Instituts, und seinem Team für die sorgfältige, aber auch zügige Erstellung des Rechtsgutachtens sowie den Professoren Dres. Christoph Brüning, Utz Schliesky und Ulrich Schmidt für die Aufnahme in die Reihe der „Schriften zur Modernisierung von Staat und Verwaltung“. Das Gutachten kann beim Institut in gedruckter Form bezogen werden und steht außerdem als PDF-Datei auf der Homepage zum Herunterladen bereit. Das gilt auch für den ersten Teil des Gutachtens.
Ein dritter Teil, der Anfang nächsten Jahres vorliegen soll, wird Einsatzmöglichkeiten des E-POSTBRIEFS speziell in der Kommunalverwaltung untersuchen.
Harald Lemke Senior
Vice President E-Government & E-Justice
Deutsche Post AG
Bonn im Oktober 2011"