360°: E-Government scheint auf den ersten Blick vor allem eine Aufgabe der IT zu sein. Welche Rolle kann hierbei die Deutsche Post spielen?
Herbers: Die Deutsche Post als Spezialist für Dokumentenlogistik bietet Verwaltungen intelligente Lösungen zur Koordination und Integration von Schnittstellen. Ein Beispiel: Wir haben gemeinsam mit dem Kreis Soest und anderen Partnern alle Arbeitsschritte im Zusammenhang mit Dokumenten in Kreisverwaltungen analysiert. Ziel war es, optimierte Prozessmodelle zu entwickeln. Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig: Bis zu 77 Prozent der Kosten lassen sich einsparen, wenn nicht nur die Fachverfahren, sondern auch der Informationsein- und -ausgang optimiert werden. Die Deutsche Post bietet hier passgenaue Digitalisierungslösungen für den Posteingang genauso wie digitale Drucklösungen für den Informationsausgang an. E-Government ist viel IT, aber auch sehr viel Logistik.
360°: Wo liegt der Unique Selling Point (USP) der Deutschen Post?
Herbers: Scannen und drucken können andere auch. E-Government bedeutet aber nicht, dass der Schreibblock einfach durch den PC ausgetauscht wird. Mit Lösungen von der Stange kommen Sie hier nicht weiter. Als Spezialist für Dokumentenlogistik gehört die Optimierung von Prozessen zu unseren Kernkompetenzen. Dabei verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Basis für die Prozessoptimierung ist die Analyse der elektronischen Vorgangsbearbeitung über den gesamten Lebenszyklus eines Dokuments – vom Eingang über das Fachverfahren bis zum Ausgang. Wir verstehen uns als Partner unserer Kunden bei der Suche nach der optimalen Lösung. Natürlich können Sie den gesamten Posteingang einer Kommune digitalisieren. Gewerbeanmeldungen, Rechnungen, Anfragen: Wie sind die Öffnungszeiten des Friedhofs? Oder Geburtstagsgrüße für den Bürgermeister. Jedes dieser Schreiben setzt einen anderen Prozess in Gang: persönliche Antwort, Zusendung eines Infoschreibens, Aktennotiz und so weiter. Wie viele dieser Prozesse werden im Backoffice elektronisch unterstützt? Und bei wie vielen dieser Prozesse würde eine vollelektronische Bearbeitung Sinn machen? Hierauf gibt es keine pauschale Antwort. Sie sieht bei einem 2.000-Seelen-Dorf anders aus als bei einer Metropole mit einer Million Einwohnern.
360°: Lohnen die Investitionen in E-Government nur für große Kommunen oder Organisationen?
Herbers: Der Veränderungsprozess in deutschen Verwaltungen ist nicht E-Government-getrieben. Demografischer Wandel, ein zunehmendes Gefälle zwischen prosperierenden Wirtschaftsstandorten und strukturschwachen Regionen, der Strukturwandel zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und ein permanentes Budgetproblem – diese Rahmenbedingungen werden das Leben in Deutschland prägen und verändern. Alle Kommunen – große und kleine – werden auf unterschiedliche Weise betroffen sein. Die Entwicklung einer die spezifische lokale und regionale Ausgangssituation berücksichtigenden Modernisierungsstrategie stellt die Kommunen vor neue Herausforderungen. Die Verwaltungen müssen diese Veränderungsprozesse mittragen und die negativen Folgen kanalisieren. Denn – völlig losgelöst von politischen Überzeugungen – sicher ist: Die Daseinsvorsorge in der jetzigen Form wird unter den Rahmenbedingungen der Zukunft nicht mehr möglich sein. E-Government kann helfen, die Folgen abzuschwächen, mit ihnen umzugehen. Beispiel Shared Services: Die moderne Informationstechnologie ermöglicht hier eine neue Dimension der Zusammenarbeit. Zentrale Verwaltungsdienste wie die Buchhaltung, die Lohnabrechnung oder die Personalverwaltung können auch mit weiter entfernten Kommunen gebündelt werden. Dabei übernehmen derartige Dienstleistungszentren nur die standardisierten Prozessschritte mit Wiederholungscharakter und hohen Fallzahlen. Die strategischen Entscheidungen über Personal, Einkauf und Budget verbleiben in den Behörden. Erfahrungen zeigen, Dienstleistungszentren verbessern die Qualität der Leistungen, etwa durch kürzere Bearbeitungszeiten, und die Effizienz insbesondere bei Personal- und Sachkosten deutlich. Auch eine einheitliche Rechtsanwendung ist in konzentrierten Dienstleistungszentren besser zu gewährleisten. Die Deutsche Post verfügt selbst über vielfältige Erfahrungen im Aufbau und Betrieb sowie in der Zusammenarbeit mit Shared Service Centern. Auch unternehmensintern machen wir uns dieses Prinzip zunutze und entwickeln es ständig weiter. So werden beispielsweise bereits seit 2003 die zehn konzerninternen Buchhaltungszentren in einem Shared Service Center in Köln zusammengefasst. Das Budget für die Rechnungslegung konnte bei gleichzeitiger Verdopplung der Buchungen signifikant gesenkt werden.
360°: Wo sehen Sie neben der Erhöhung der Prozesseffizienz die größten Zukunftsaufgaben für Verwaltungen?
Herbers: Aufgrund der abnehmenden Manövrierfähigkeit von Kommunen werden effiziente Verwaltungsprozesse allein nicht ausreichen, um die Zukunft zu meistern. Auch die Arbeitsteilung zwischen Verwaltung und Bürgern wird neu definiert werden. Die sich wandelnden gesellschaftlichen, demografischen und ökonomischen Rahmenbedingungen machen die Konzentration auf Aktivitäten notwendig, bei denen der „Antragsteller“ nicht zur Kommune, sondern die Kommune zu Bürger, Unternehmen und Organisation kommt. So gewinnen in Zukunft ehrenamtliche und privatwirtschaftliche Initiativen für die Grundversorgung der Bürger an Bedeutung. Um die Eigeninitiative und das gesellschaftliche Engagement zu fördern, muss der Staat in einen intensiven Dialog mit seinen Bürgern treten. Hierzu gilt es, eine Infrastruktur zu schaffen, die auf alle Kommunikationskanäle einzahlt, die dem Bürger zur Verfügung stehen.
360°: Welche Erfahrung hat die Deutsche Post mit Change-Prozessen?
Herbers: Unternehmen und Organisationen haben ein Gedächtnis – vergleichbar mit dem kollektiven Bewusstsein. Die Geschichte eines Unternehmens prägt seine Mitarbeiter, seine Kultur und umgekehrt. Die Deutsche Post vereint wie kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland die scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften Kontinuität und Veränderung. Wir stehen seit vielen Jahren für Zuverlässigkeit, Qualität, Kundenorientierung und eine flächendeckende Versorgung. Aber wir haben uns verändert und wandeln uns ständig. Aus der ehemaligen Mammutbehörde ist das größte Logistikunternehmen der Welt geworden. Diese Veränderungsprozesse haben Spuren hinterlassen und unsere Unternehmenskultur maßgeblich mitgeprägt. Wir wissen, wie man etwas verändern kann, und wir wissen, wo die Grenzen sind. Und als ehemalige Behörde wissen wir natürlich um die besonderen Belange der öffentlichen Verwaltung.
(Auszug aus einem Interview mit Heinz-Hermann Herbers, Geschäftsbereichsleiter Vertrieb Brief Öffentlicher Sektor bei der Deutschen Post AG für die Zeitschrift 360°, Nr. 2/2010)