Holger Beckmann
Man wird es ja gar nicht mehr hören wollen. Aber es ist so. Die Streiks in den kommunalen Kindertagesstätten gehen erst einmal weiter. Mal stärker, mal weniger stark. Aber wenn gestreikt wird, dann müssen Eltern improvisieren und Kinder in den sauren Apfel beißen, weil sie nicht in ihre gewohnte Umgebung dürfen, sondern vielleicht in eine so genannte Wohnkita, wo sie kaum andere Kinder kennen und die Betreuer sowieso nicht. Das ist die eine Seite. Die andere Seite sind eben die Erzieherinnen, die Sozialarbeiter die endlich mehr Anerkennung für das wollen, was sie da tagtäglich leisten. Anerkennung in Form – natürlich klar – von Geld und von mehr Schutz für ihre Gesundheit. Immerhin: Die Tarifverhandlungen sind weitergegangen gestern in Fulda. Aber ohne Ergebnis. Ich will darüber sprechen mit Gerd Landsberg, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Morgen Herr Landsberg.
Dr. Landsberg
Guten Morgen Herr Beckmann.
Holger Beckmann
Warum ist das eigentlich so schwer, sich da zu einigen?
Dr. Landsberg
Das ist deshalb so schwer, weil die Gewerkschaften Forderungen stellen, die summa summarum über eine Milliarde Euro kosten würden und es geht eben nicht nur um ein bisschen Geld. Das ist ja bekannt, dass von Arbeitgeberseite ein Betrag von ca. 220 Euro mehr im Monat angeboten wurde. Es geht um eine ganz andere Eingruppierung. Und daraus ergibt sich auch, dass, die Gewerkschaftsforderung zugrunde gelegt, einzelne Erzieherinnen fast bis zu 1.000 Euro mehr bekämen und das ist bei der finanziellen Situation der Kommunen kaum leistbar.
Holger Beckmann
Ja, das ist das komplizierte tarifvertragliche Regelwerk, was da im Hintergrund steht. Aber lassen Sie uns einmal pauschaler über die Forderungen der Erzieherinnen, der Sozialarbeiter sprechen. Sie haben gesagt, die sind eigentlich vergleichsweise unrealistisch. Aber mit diesen Forderungen stehen die Erzieher ja nicht alleine. Die Politik hat sich gestern deutlich auf ihre Seite gestellt, nämlich bei einer Protestkundgebung in Köln. Familienministerin von der Leyen war auch da und sagte, die Politik stehe an der Seite der Streikenden. SPD-Chef Franz Müntefering sagte, es müsse mehr Geld für Bildung und Erziehung geben. Sehen Sie das nicht so?
Dr. Landsberg
Also, ich bedauere, dass die Politik sich im Wahlkampf da vor den Karren der Gewerkschaften spannen lässt und am Ende die Kommunen die Zeche zahlen müssen. Es gilt ja eigentlich der Grundsatz: Tarifverhandlungen, da hält sich die Politik heraus. Das verhandeln die Parteien. Das verliert im Wahlkampf seine Konturen. Auf der anderen Seite ist das schon ein einmaliger Vorgang, dass auf einer Gewerkschaftsveranstaltung die Politik dies so deutlich sagt. Und da will ich auch deutlich etwas ergänzen. Natürlich kann man sagen, das ist richtig. Die Erzieherinnen machen einen ganz wichtigen Job. Man kann auch sagen, die sollen mehr Geld bekommen. Aber ich habe leider von keinem der Politiker gehört, dass sie bereit sind, dafür Steuern zu erhöhen, dass sie bereit sind zu sagen, „Ihr Eltern“, jedenfalls den gut verdienenden Eltern, „ihr müsst mehr Geld, höhere Elternbeiträge bezahlen.“ Von nichts finanziert sich das nicht. Und deswegen fand ich diese Auftritte nicht gut. Das Geld muss irgendwo herkommen, und die Politik weiß genau, wie die Finanzsituation der Kommunen ist.
Holger Beckmann
Trotzdem, Herr Landsberg, kann es nicht sein, dass es letztlich bei diesem Kitastreik um vielen mehr geht, als nur um diese konkreten Tarifverhandlungen, nämlich ganz grundsätzlich um die Frage, was der Gesellschaft dieses ganze wert ist, nämlich Kinderbetreuung. Letztlich auch frühkindliche Bildung. Letztlich das ganze große Thema Bildung. Was ja eigentlich eine immer wichtigere Rolle spielt!
Dr. Landsberg
Das ist richtig. Die Kanzlerin hat das ja auch zum Thema gemacht. Sie hat gesagt, wir müssen den Weg in die Bildungsrepublik finden. Es hat den Bildungsgipfel gegeben. Das unterstützen wir. Das halte ich persönlich auch für richtig. Wir müssen viel mehr für Bildung tun. Wir haben 80.000 Schulabbrecher pro Jahr und jeder weiß, die kindliche Entwicklung beginnt eben nicht in der Schule, sondern im Kindergarten. Wir werden mittelfristig auch wahrscheinlich eine ganz andere Ausbildung der Erzieherinnen brauchen. Es ist ja auch richtig, wenn die Betroffenen sagen, heute wird von uns viel mehr erwartet als vor fünf oder zehn Jahren.
Holger Beckmann
Da ist es auch doch nur konsequent, dafür auch mehr Geld in die Hand zu nehmen, letztlich auch für die Kommunen konsequent. Zumindest die Erzieherinnen und Sozialarbeiter, die heute schon diesen wichtigen Job machen. Wer soll das bezahlen?
Dr. Landsberg
Das ist richtig, aber da muss der Staat eben diese Bildungsrepublik organisieren und da kann man nicht sagen, wir fordern das, und die Kommunen bezahlen das, wenn man gleichzeitig den Kommunen nicht die ausreichenden Mittel zur Verfügung stellt.
Holger Beckmann
Also, Sie sagen ganz deutlich, da müssen die Kommunen mehr Steuergelder von den Ländern, vom Bund bekommen?
Dr. Landsberg
So ist es. Es ist ja bekannt. Insofern sind wir ja in einer Zwangslage. Es ist ja nicht nur das bestehende System. Das System soll ja, das haben wir ja auch mitgetragen, ausgebaut werden. Um nur einmal zwei Zahlen zu nennen: Wir haben im Moment 364.000 Plätze für Kinder unter Drei, die sollen auf 750.000 steigen bis 2013. Dafür brauchen wir noch viel mehr Erzieherinnen. Es ist gar nicht sicher, dass wir die überhaupt finden. Und das kostet natürlich eine Menge Geld und der Bund und die Länder, das will ich nicht verschweigen, haben sich da schon bereit erklärt, Beträge zu bezahlen. Nu,r das wird bei Weitem nicht ausreichen. Das heißt, diese Zwangssituation für uns dramatisiert sich weiter.
Holger Beckmann
Also, schlicht gesagt, Herr Landsberg, die Politik hat sich mit diesen Ankündigungen, das alles so massiv auszubauen, diese Kinderbetreuung und auch schon für kleinere Kinder, einfach übernommen?
Dr. Landsberg
Ich glaube nicht, dass sie sich übernommen hat. Sie hat halt nicht die Bereitschaft bisher gezeigt, dafür auch die notwendigen Mittel bereit zu stellen. Und das ist das Kernproblem. Die Bildungsrepublik kann man gut fordern, aber man muss sie auch finanzieren. Das gilt für ganz viele andere Bereiche auch. Und ich befürchte mittelfristig – auch wenn die Politik das im Wahlkampf sicherlich nicht gerne hört – geht das wahrscheinlich nur mit höheren Steuern oder mit Umlagerungen von Steuereinnahmen.
Holger Beckmann
Jetzt schauen wir doch einmal konkret auf die Tarifverhandlungen. Sie haben es angedeutet. Sollten sich die Gewerkschaften durchsetzen mit ihren Forderungen, sagen Sie, würde das eben auch im Zweifel auch bedeuten, dass die Kindergartenbeiträge erheblich steigen müssten. Jetzt kann man ja z. B. nach Rheinland-Pfalz sehen, wo Kindergartenkitas kostenlos angeboten werden. Wie macht man das denn nur da?
Dr. Landsberg
Das ist natürlich genau die Zwangslage. Die Politik sagt nicht nur, bezahlt die besser, sondern sie sagt auch, streicht die Elternbeiträge. Macht das alles kostenfrei. Das kann man alles machen. Aber dann ist die gleiche Frage wieder zu stellen, die ich eben schon gestellt habe, wo kommt das Geld her. Um auch hier eine Zahl zu nennen: Elternbeiträge insgesamt sind etwa 2 Milliarden. Damit könnte man eine Menge machen. Aber da gilt landauf landab die Botschaft, der Kindergarten muss kostenfrei sein. Das freut mich für die Eltern. Denn für die Kommunen ist das nicht ganz einfach. Wobei man auch wissen muss: Es gibt Städte, wo nicht einmal 17 % der Eltern überhaupt etwas bezahlen, weil sozial Schwache überwiegend befreit sind. In Rheinland-Pfalz, um Ihre Frage zu beantworten, hat das Land einen Topf gebildet, aus dem teilweise die Kommunen Geld bekommen, um das leisten zu können. Ob das aber richtig ist, darüber kann man natürlich trefflich diskutieren.
Holger Beckmann
Was zumindest zeigt, wenn man es will. Ihre Einschätzung noch: Wie lange, denken Sie, müssen Eltern sich noch auf Kitastreiks einstellen?
Dr. Landsberg
Also, das ist ein bisschen Spekulation. Aber es gibt ja ein Angebot der Arbeitgeber auch zu diesem so genannten Gesundheitstarif. Und ich glaube schon, dass man zu einer Einigung kommt. Man muss übrigens auch wissen, das wird in der öffentlichen Diskussion gar nicht mehr dargestellt: Dies gilt eigentlich schließlich bis Ende das Jahres. Das heißt, die Tarife stehen bis Ende des Jahres fest, um man muss auch wissen, dass andere Träger, wir haben hier „nur 35 %“ der Kindergartenplätze – also kirchliche Träger zahlen teilweise deutlich weniger. Also bislang ist die Situation nicht ganz so dramatisch wie es immer dargestellt wird.
Holger Beckmann
Auf jeden Fall: In den kommunalen Kitas – in vielen jedenfalls – gehen die Streiks erst einmal weiter. Das war Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zur Frage, wie man da heraus kommt.
(WDR5 Morgenecho - 16.06.2009)