Heißt: Mehr Gestaltungsspielräume, weniger einengende Regeln. Es müsse vor allem auch vom Ergebnis her gedacht werden: Die Leistung für die Bürgerinnen und Bürger. Auch müssen wir unseren tief verankerten Glauben in die Einzelfallgerechtigkeit ablegen und mehr mit Pauschalen arbeiten, um Bürokratie abzubauen und vor allem auch für mehr Transparenz zu sorgen. Ein Bericht des dbb zum dbbdialog:
In einer aktuellen repräsentativen forsa-Umfrage im Auftrag des dbb zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern hat sich eine Mehrheit der Befragten (51 Prozent) dafür ausgesprochen, die bestehende Gewaltenteilung zugunsten des Bundes zu ändern. Nur noch eine Minderheit (41 Prozent) meint, die bestehende Gewaltenteilung hätte sich bewährt.
Ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger würde es bevorzugen, wenn der Bund für die Erledigung einer ganzen Reihe von Aufgaben zuständig wäre. Dies gilt vor allem für die äußere Sicherheit (89 Prozent), den Luftverkehr (86 Prozent), das Pass- und Meldewesen, den Strafvollzug (jeweils 81 Prozent) und die Steuer- und Finanzpolitik (80 Prozent). Rund zwei Drittel bis drei Viertel der Befragten sehen auch den Schienenverkehr (76 Prozent), die Beamtenbesoldung (69 Prozent), Polizei und innere Sicherheit, digitale Infrastruktur (66 Prozent) sowie Schulen und Hochschulen (65 Prozent) als Aufgaben des Bundes an. Nur in einem politischen Gestaltungsfeld – Kultur – möchte die Mehrheit die Zuständigkeiten alleine bei den Ländern sehen (54 Prozent).
„Die Daten zeigen, dass es höchste Zeit ist, grundsätzlich über die politischen Entscheidungsprozesse und die Kompetenzverteilung in Deutschland zu diskutieren“, sagte dbb Chef Ulrich Silberbach am 17. Juni 2021 in Berlin. „Natürlich hat sich unser föderales System bewährt, und nicht alles gehört abgeschafft oder in Bundeshand. Aber insbesondere die Corona-Pandemie hat uns allen vor Augen geführt, dass sich die Organisation der politischen Kompetenzen in der Welt von heute nicht mehr als so effektiv erweist, wie es in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung erforderlich wäre. Deswegen braucht es eine aufgabengerechte und zukunftsfeste Neujustierung. Insbesondere mit Blick auf den Katastrophen- und Gesundheitsschutz, Digitalisierung, Bildungsstandards und Innere Sicherheit wären zentralere Regelungen wünschenswert“, so Silberbach.
dbb Dialog „Neustart für einen NEUSTAAT: Brauchen wir eine Verwaltungsrevolution?“
Die staatliche Ordnung der Bundesrepublik war am Nachmittag des 17. Juni 2021 auch Thema beim dbb Dialog „Neustart für einen NEUSTAAT: Brauchen wir eine Verwaltungsrevolution?“. Bei dem Web-Talk diskutierte Silberbach mit Ralph Brinkhaus, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), über das gleichnamige Projekt „NEUSTAAT“, das eine Gruppe von Unionsabgeordneten vor einigen Monaten vorgestellt hat.
Brinkhaus nutzte die Gelegenheit, um einige wesentliche Aspekte des Projekts vorzustellen. „Uns geht es nicht darum, zurück zu schauen oder Vorwürfe zu erheben. Uns geht es darum, das Momentum der Corona-Pandemie, die viele Probleme wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht hat, zu nutzen. Viele Reformideen sind auch nicht neu, wir müssen sie nur endlich umsetzen“, erklärte der Chef der Unionsfraktion vorab. Konkret bedürfe es zunächst einer grundlegenden Inventur der staatlichen Aufgaben, die dann klar einer Ebene – ob Bund, Land oder Kommune – zugeordnet werden müssten. Diese Ebene müsse dann aber auch mit den entsprechenden finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um die Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. „Man kann im Leben alles teilen, nur Verantwortung nicht“, machte Brinkhaus deutlich.
Die aus Sicht der Unionsabgeordneten zu komplexe Organisation vieler staatlicher Prozesse machte Brinkhaus anhand einiger Beispiele deutlich, etwa der Verteilung der Finanzen. „Der Bürger zahlt Steuern, die dann nach einem bestimmten Schlüssel zwischen den staatlichen Ebenen aufgeteilt werden. Doch damit geht es dann ja eigentlich erst los. Wir haben einmal versucht, alle Finanzverflechtungen zwischen Bund und Ländern in einer Grafik darzustellen. Das Ergebnis sah aus wie ein Schnittmuster von Aenne Burda“, scherzte der Unionfraktionsvorsitzende.
Brinkhaus: Leistung anerkennen, Nicht-Leistung sanktionieren
Auch in der Verwaltung gäbe es einige „alte Zöpfe“ abzuschneiden, die etwa die dringend notwendige Digitalisierung ausbremsen würden. „Nehmen Sie das Laufbahnrecht im Beamtenbereich. Vielleicht habe ich einen echten IT-Crack, der uns super weiterhelfen könnte, der aber keinen Hochschulabschluss hat. Diese formale Hürde würde eine angemessene Bezahlung verhindern, das kann doch nicht sein“, machte Brinkhaus deutlich. Gerade bei der Digitalisierung seien auch unkonventionelle Ansätze gefragt. „Es geht schließlich nicht nur um Infrastruktur und Hardware, sondern darum, zukünftig in Prozessen statt in Silos zu denken; von den Bürgerinnen und Bürgern her, statt vom Gesetzgeber.“
In diesem Reformprozess, betonte Brinkhaus, sei es entscheidend, die Beschäftigten in den Verwaltungen mitzunehmen. „Das haben wir in unserem Konzept auch immer wieder deutlich betont. Die Menschen im öffentlichen Dienst haben sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie unsere Wertschätzung verdient.“ Zur Wahrheit gehöre aber, dass es wie in der Privatwirtschaft auch, weniger fleißige Beschäftigte gebe. „Wenn wir dann über eine Reform des Beamtentums reden, die Leistung anerkennt, müssen wir auch über Möglichkeiten sprechen, Minderleistung zu sanktionieren. Wenn ich beispielsweise höre, dass es beim Unterrichten während der Pandemie neben vielen beispielhaften Lehrkräften auch solche gab, die sich etwa dem Distanzunterricht komplett verweigert haben, ist das schlicht nicht akzeptabel.“
An diesem Punkt widersprach Silberbach, auch aufgrund seiner Erfahrung als Vater eines Grundschulkindes, deutlich: „Tatsache ist doch, dass viele Dienstherrn es bis heute nicht geschafft haben, allen Lehrkräften wenigstens eine dienstliche Mailadresse zu Verfügung zu stellen. Von fehlenden Fortbildungen oder auch nur der entsprechenden Infrastruktur ganz zu schweigen.“ Solche Vorwürfe, wie auch jüngst vorgetragene pauschale Angriffe auf das Berufsbeamtentum, würden gerade das für die angestrebten Reformen notwendige Vertrauen der Beschäftigten untergraben.
Grundsätzlich unterstütze der dbb aber Teile des „NEUSTAAT“ Projekts, mindestens in der Zielsetzung gebe es große Schnittmengen mit der Unionsfraktion. So betonten etwa sowohl Brinkhaus als auch Silberbach, dass bereits im Gesetzgebungsprozess die spätere Umsetzung durch die Verwaltungen und die erforderlichen Personalressourcen stärker in den Blick genommen werden müssten.
Landsberg: Verschränkungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind katastrophal
Gerade in diesem Punkt hatten die beiden auch Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund auf ihrer Seite. „Wir brauchen mehr Pauschalierung und weniger Regelungswut. Nehmen sie nur die Sozialgesetzgebung. Das ist alles viel zu komplex. Trauen wir den Betroffenen und den Beschäftigten einfach mehr zu: Mehr Verantwortung, mehr Eigeninitiative“, so der Appell des Kommunal-Experten. Dabei plädierte auch er dafür, die zentrale Rolle der Praktikerinnen und Praktiker in den Verwaltungen anzuerkennen: „Wir müssen die Beschäftigten mitnehmen. Dieses Bashing gegen Beamte und den öffentliche Dienst muss endlich aufhören. Gerade die Digitalisierung muss den Leuten vor Ort als Chance vermittelt werden, dafür sind Fort- und Weiterbildung elementar.“
Gleichzeitig betonte Landsberg aber ausdrücklich, dass auch er die Notwendigkeit von grundlegenden Änderungen in der Staatsorganisation sehe. „Wir brauchen tatsächlich eine Revolution. Wir haben zwar in der Pandemie gesehen, wie gut die Verwaltung funktioniert hat. Gleichzeitig haben wir aber auch dringenden Handlungsbedarf: Die Verschränkungen von Finanzströmen und Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind katastrophal und fördern nur die Überbürokratisierung“, schloss sich Landsberg der Analyse von Brinkhaus an. Die von ihm vertretenen Städte und Gemeinden sieht er für einen solchen Reformprozess gut aufgestellt, denn „in der Pandemie hat die Politik gelernt, dass sie die Kommunen braucht. Ohne die Städte und Gemeinden wird es keine erfolgreiche Staatsreform geben.“ Gleichzeitig könnten und müssten bestimmte Kompetenzen sehr wohl beim Bund gebündelt werden, etwa der Katastrophenschutz. „Die nächste länderübergreifende Pandemie, der nächste Blackout kommt bestimmt. Das Bundesamt für Katastrophenschutz muss also ganz anders ausgestellt werden: Strukturell, personell und finanziell.“
Hinsichtlich der Finanzierung der diskutierten Reformen mahnte allerdings dbb Chef Silberbach die Diskutanten eindringlich: „Wir haben riesige Pandemiekosten und wir haben einen dramatischen Investitionsstau bei der Infrastruktur, nicht nur der digitalen. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie wollen wir das bezahlen? Welche Prioritäten sollen gesetzt werden? Aus leidvoller Erfahrung fürchten die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst, dass es am Ende einmal mehr sie sein sollen, die für die Kosten aufkommen. Aber sparen – am Personal, an der Ausstattung, an der Fortbildung – wäre jetzt genau der falsche Weg, das muss endlich allen klar sein.“