Die weiter anhaltenden Flüchtlingsströme, die Unterbringung, Versorgung und Integration der ankommenden Menschen stellen Deutschland, aber auch Europa, vor Herausforderungen mit historischem Ausmaß. Zu Recht wird die Situation mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiedervereinigung verglichen. Die deutsche Politik wird von dieser Frage wie auch von dem Thema innere Sicherheit in den nächsten zehn Jahren beherrscht werden. Auch den demografischen Wandel in Deutschland werden wir vor dem Hintergrund von tausenden jungen Flüchtlingen anders gestalten können. Umso schneller wir die richtigen Schritte ergreifen, umso erfolgreicher werden wir am Ende sein können. Daher sollten wir nicht zögern, sondern die notwendigen Veränderungsprozesse beginnen. Deutschsein sollte eben nicht heißen, in jeder Chance eine Krise zu sehen.
Wenn wir die notwendigen Gestaltungsspielräume der Städte und Gemeinden sichern und ausbauen wollen, muss die Investitionskraft der Kommunen gestärkt werden. Die Städte und Gemeinden haben einen Investitionsrückstand von über 132 Milliarden Euro. Wege, Plätze, Schulen, Straßen, Sozialeinrichtungen
sind teilweise in einem schlechten Zustand. Gleichzeitig führt die Flüchtlingssituation zu einem deutlichen Zusatzbedarf. So schätzt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dass 300 000 zusätzliche Schüler und 100 000 Kinder in Kitas betreut werden müssen. Damit wird zugleich deutlich, dass wir eine Infrastrukturoffensive brauchen, um die Funktionsfähigkeit unserer Einrichtungen zu erhalten und den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Das wird nicht ohne zusätzliche Reformen zur Beschränkung der Sozialausgaben und zur Stärkung auch langfristiger Investitionen funktionieren. Um strukturschwache Kommunen und Regionen zu fördern, muss es eine gezielte Förderung durch Bund und Länder geben.
Weiterhin gibt es in Deutschlands Regionen erhebliche Disparitäten, trotz der Fortschritte beim Aufbau Ost.
Ohne gezielte Förderung ist eine Sicherstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht möglich. Die derzeitige Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sollte den Ausgangspunkt für ein gesamtdeutsches System zur Förderung strukturschwacher Regionen bilden. Unsere Staatsstruktur in der Verwaltung, in den Sozialsystemen, im Asylrecht und in der Finanzstruktur ist auf eine solche Situation nicht ausgerichtet. Notwendig sind grundlegende Reformen, um den Prozess zu gestalten und unseren Wohlstand zu sichern. Wir werden auch viele Standards, an die wir uns gewöhnt haben, reduzieren und ausgetretene Pfade verlassen müssen. Ähnlich wie bei der Wiedervereinigung wird das nicht zum Nulltarif möglich oder aus der Portokasse zu bezahlen sein. Auch durch das Wirtschaftswachstum und die Steuermehreinnahmen werden die zusätzlichen Kosten nicht dauerhaft aufgefangen werden können. Entweder müssen Leistungen reduziert oder die Belastungen der Bürgerinnen und Bürger erhöht werden. Gleichzeitig sollten wir die fernere Zukunft in den Blick nehmen. Nach Ende der Kriege wird es im Nahen Osten einen Marschallplan zum Aufbau der staatlichen Strukturen geben müssen.
Wenn es uns gelingt, viele Flüchtlinge zu integrieren und zu qualifizieren, werden sie als Techniker, Ingenieure oder Straßenbauer in ihrer Heimat einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau leisten können und damit auch eine Wertschöpfung für deutsche Firmen ermöglichen.