Thorsten Krüger, Bürgermeister der Stadt Geestland, begrüßte die Besucher:innen mit einem kurzen Eingangsstatement. Nachhaltigkeitsforderungen und reale Bedingungen vor Ort führten zum Teil zu Konflikten, beschrieb Krüger die Diskussion rund um Ernährung. Gerade bei der Zukunftsgestaltung sei vielfach die Finanzierung ein bedeutsamer Faktor. Auch Veränderung in der Ernährungsgestaltung und den Ernährungsstrukturen könnten nicht für sich alleine betrachtet werden, sondern hätten Wechselwirkungen mit dem Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstrukturen. Prinzipiell rät er dazu, dass Thema der Ernährung ganzheitlicher zu betrachten und gemeinsam mit vielen Akteuren aktiv zu werden.
Mehr lokale Ernährungswirtschaft nötig
Den ersten Impulsvortrag hielt Linda Böhm, Kompetenzfeldmanagerin Lebensmitteltechnologie am ttz Bremerhaven sowie Mit-Initatiorin des Bündnisses „WISSEN SCHAFFT LEBENSRAUM“. Unter dem Titel „Kompetenzen, Technologien und Netzwerke für eine Lebensmittelversorgung der Zukunft“ beschrieb Böhm, wie Ernährung in Zukunft neu gestaltet werden könne. Besonders die bessere Integration und Beachtung von Stoffkreisläufen könnten die Ernährungsproduktion in Zukunft positiv beeinflussen. Das vielfach schon vor Ort vorhandene Wissen müsse aktiver genutzt, in die Fläche gebracht und in die Praxis umgesetzt werden. Handwerkliche Berufe müssten auch vor Ort wieder stärker aufgebaut werden, um Rohprodukte auch am Produktionsort verwerten zu können. Zudem könnte in Zukunft die Herstellung neuer Proteinquellen sowohl Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft schaffen als auch die Ernährung zu mehr Nachhaltigkeit hin verändern.
Als Praxisprojekte zur Sensibilisierung für nachhaltige Ernährung wurde unter anderem in Geestland die „GemüseAckerdemie“ gestartet. In Geestland wird seit Mai in einer Kita und einer Grundschule angepflanzt und geerntet, denn man möchte die junge Generation für eine gesunde und nachhaltige Ernährung begeistern. In diesen Lernorten sollen Kinder ihre ersten Naturerfahrungen sammeln können. Gerade durch Schulgärten könnten Schüler:innen an das Thema Ernährung herangeführt werden. Da das pädagogische Personal jedoch nicht noch die Arbeit in den Gärten übernehmen könne, wird hier eine Kooperation mit Ehrenamtlichen empfohlen.
Netzwerkarbeit beim Thema Ernährung zentral
David Sipple, Projektreferent WISSENS.KERNiG von der Universität Freiburg, beschrieb „Ernährung als kommunales Thema – Perspektiven aus der Forschung“. Hierbei wurde sich besonders auf Ernährungssysteme und die Integration dieser in nachhaltige Stadtentwicklung fokussiert. Gerade der transdisziplinäre Ansatz war im KERNiG Projekt bedeutend. Im vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt WISSENS.KERNiG liege nun der Fokus auf der Verbreitung der Erkenntnisse aus dem KERNiG-Projekt in die Breite. Rund 30 Prozent des ökologischen Fußabdrucks seien auf Ernährung zurückzuführen. Gerade bei dem Thema der Ernährung müsse über den Tellerrand geblickt und die Akteursvielfalt in den Kommunen beachtet werden. Ernährung und nachhaltige Stadtentwicklung umfassten viele unterschiedliche Facetten, wie planerische und organisatorische, aber auch Bereiche wie den Tourismus. Prinzipiell müsse eine nachhaltigere Stadtentwicklung mit Blick auf Ernährung besonders von der Stadtspitze gewollt sein, um dauerhaft erfolgreich zu sein. Die Netzwerkarbeit in den Kommunen stehe hierbei besonders im Fokus.
Laura Holzhofer, Projektreferentin des KERNiG-Projektes in der Stadt Leutkirch, beschrieb das Projekt in der Kommune und die Gegebenheiten in der Stadt. Allein in der Stadt Leutkirch im Allgäu befänden sich ca. 400 Akteure im Zusammenhang mit Ernährung. Um den Bürger:innen eine nachhaltige, regionale Ernährung zu ermöglichen, wurden unterschiedliche Projekte gestartet, wie beispielsweise Feierabendmärkte oder Genussspaziergänge. Gerade in der Corona-Zeit wurde das Angebot vor Ort auch durch digitale Formate ergänzt, wie beispielsweise einen Online-Brotback-Kurs oder auch eine Rezeptreihe mit Lieblingsrezepten von lokalen Personen mit Produkten aus der Region. Auch bei Stadtfesten wird auf Angebote von regionalen Erzeugern geachtet und bei den Produkten ein Bio-Anteil festgelegt. Das Thema Ernährung und die Angebote werden zudem aktiv in der Stadt sichtbar gemacht. In Gesprächen und Veranstaltungen mit Bürger:innen werden diese dort abgeholt, wo sie stehen und gerade Verbote werden vermieden. Zentral für das Gelingen einer nachhaltigeren Ernährung in einer Kommune sei das Zuordnen dieses Themenkomplexer zu einem festen Ansprechpartner in der Stadtverwaltung.
Ernährung soll nicht soziale spalten
Im vierten Impulsvortrag stellte Judith Busch, Koordinatorin des Ernährungsrates Oldenburg, die Arbeit des Ernährungsrates vor. 2017 wurde der Ernährungsrat in Oldenburg gegründet und umfasst verschiedenste lokale Akteure. Sowohl die Themen Gesundheit, Stadtentwicklung als auch Ernährung werden im Ernährungsrat behandelt. Der Ernährungsrat besteht aus 15 ehrenamtlichen, gewählten Mitgliedern, welche sich einmal im Monat treffen. Die Position der hauptamtlichen Koordinatorin wird von der Stadt finanziert und ist zentral für das Gelingen des Ernährungsrates. Der Ernährungsrat in Oldenburg bietet den Bürger:innen zahlreiche Angebote, um sich mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen. Dazu zählen Fahrradtouren zu den Lebensmittelerzeugern, Selbst-Pflück-Angebote in der Stadt, mobile Kochwagen für Schulen, in denen die Schüler:innen selbst kochen können. Darüber hinaus werden Positionspapiere für die Stadtpolitik entwickelt. Der Ernährungsrat entwickelte zudem ein Rahmenkonzept für die Ernährung in Schulen als auch in Kitas. Darüber hinaus wird der Landkreis Oldenburg eine Ökomodellregion, in der die Stadt-Land-Beziehungen in Ernährungsfragen näher untersucht und regionale Erzeuger zu mehr nachhaltiger Produktion ermutigt werden, indem sichere Absätze gewährleistet werden.
In der Abschlussdiskussionsrunde diskutierten Linda Böhm, Judith Busch, Laura Holzhofer, David Sipple sowie Thorsten Krüger unter der Moderation von Alexander Handschuh, Pressesprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Alle Referent:innen waren sich einig, dass viele Angebote zum Thema Ernährung auf dem Engagement von Ehrenamtlichen beruhen. In den Projekten ist es vielfach schwierig junge Bürger:inenn zu erreichen und zum Mitmachen zu bewegen.
Aus dem Publikum kamen zahlreiche Nachfragen an die Praktiker vor Ort. Beispielsweise wurde eine Frage zu der Umgestaltung der Ernährung in der Kita und Schule gestellt. Hierbei wäre es besonders nötig, laut Judith Busch, Eltern, Schüler:innen sowie Cateringvertreter zeitnah in den Prozess einzubinden und die Umstellung kindgerecht und kombiniert mit Bildungsangebote zu vollziehen. Hierbei könnten zum beispielsweise auch Bundesfreiwiligendienstler:in miteinbezogen werden. Um Ernährung in den Kommunen nachhaltiger zu gestaltet, benötigt es jedoch in erster Linie mehr regionale Produktions- und Verarbeitungsstationen. In Geestland wird dazu unter anderem die Region der Zukunft geschaffen, die sich mit nachhaltiger und regionaler Produktion befassen wird.
Besonders beachtet werden muss in dem Prozess, dass nachhaltigere und regionalere Ernährung nicht zu einem Thema mit sozialer Spaltungswirkung wird. Besonders das Forschungsprojekt KERNiG hat aus diesem Grund auch auf eine milieuspezifische Kommunikation großen Wert gelegt. Jedoch wurde zusätzlich betont, dass Ernährungspolitik keine Sozialpolitik sei und es in erster Linie Aufgabe der Sozialpolitik sei, mögliche soziale Divergenzen von politischen Entwicklungen aufzufangen.
Es folgen noch zwei DStGB-Veranstaltungen in der Reihe zu kommunaler, nachhaltiger Ernährung, eine in NRW und eine in Bayern.