Die Fortentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (Art. 91 a Abs. 1 Nr. 2 GG) ist notwendig, um eine gezielten Strukturpolitik für die ländlichen Räume zu ermöglichen. Dies ist aufgrund der jetzigen Fassung des Förderumfangs der GAK („Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“) nicht in dem Umfang möglich, wie es den Bedürfnissen der ländlichen Räume entspricht. Aufgrund des fortschreitenden demografischen, technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels ländlicher Räume muss deren Förderung über die Gemeinschaftsaufgabe an die neuen Herausforderungen und die veränderte Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger in den ländlichen Räumen angepasst werden. Der SRLE fordert daher, innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe die begrenzende Bindung an den Begriff „Agrarstruktur“ in Bezug auf die ländliche Entwicklung und die Gewährleistung nachhaltiger Versorgungsstrukturen in ländlichen Gebieten zu lösen.
Die Stellungnahme des Sachverständigenrates wird im Folgenden wiedergegeben:
„Der SRLE fordert in Anschluss an die Stellungnahmen des SRLE vom 30.6.2016, 22.1.2018, 30.4.2018 und 3.7.2018 den Vermittlungsausschuss sowie Bundestag und Bundesrat auf, die notwendige Grundgesetz- Änderung für die Fortentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) als gemeinsames Instrument von Bund und Ländern zur Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Verfahren mit den vorgesehenen Änderungen der Art. 104b, 104c, 104d, Art. 125c und 143e GG sofort anzugehen.
Die Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist zu Recht eine der obersten Prioritäten der aktuellen Bundesregierung und bedarf gezielter Maßnahmen sowohl für die verdichteten als auch für die ländlichen Räume. Ziel muss es sein, überall die Voraussetzungen für eine gute und angemessene Versorgung zu schaffen und eine gleichwertige Entwicklung in den verdichteten und in den ländlichen Räumen zu ermöglichen.
Der SRLE stellt fest, dass sich die Lebenswirklichkeit in den ländlichen Räumen gewandelt hat. Bei ihrer Einführung ging es nach der Intention des Gesetzgebers darum, den seinerzeit diagnostizierten Einkommensabstand der landwirtschaftlichen Bevölkerung zum volkswirtschaftlichen Gesamtdurchschnitt zu vermindern. Seinerzeit fand sich eine unbefriedigende Agrarstruktur im Bundesgebiet, die durch kleinbäuerliche Betriebsstrukturen und Streubesitz mit geringer Produktivität gekennzeichnet war. Die Bindungskraft der Landwirtschaft als Arbeitgeber hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich vermindert. Demgegenüber haben das produzierende Gewerbe, das Handwerk sowie der Tourismus und der Dienstleistungsbereich stetig an Bedeutung gewonnen. Die GAK nimmt diese Entwicklung in ihrer jetzigen Struktur nur unzureichend auf.
Mit den vom Bundestag im November 2018 beschlossenen Maßnahmen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus, der Städtebauförderung sowie der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur wurden bereits konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse insbesondere in den verdichteten Räumen eingeleitet. Die ländlichen Räume dürfen aber nicht zurückstehen. Auch die hier bestehenden Herausforderungen müssen zügig und mit konkreten Maßnahmen untersetzt angegangen werden. Zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen muss insbesondere das Instrumentarium der GAK angesichts der gewandelten Bedeutung der Landwirtschaft für die Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen sowie vor dem Hintergrund des beschleunigt fortschreitenden demografischen, technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels an die neuen Herausforderungen und die veränderte Lebenswirklichkeit der Bürger und Bürgerinnen in den ländlichen Räumen angepasst werden. Dies ist ohne die vom Bundesrat im Juli 2018 einstimmig eingeforderte Grundgesetzänderung nicht möglich.
Der SRLE fordert daher nachdrücklich, die entsprechende verfassungsrechtliche Erweiterung der GAK in die angestrebte Grundgesetzänderung einzubeziehen und innerhalb dieser Gemeinschaftsaufgabe die begrenzende Bindung an den Begriff „Agrarstruktur“ in Bezug auf die ländliche Entwicklung und die Gewährleistung nachhaltiger Versorgungsstrukturen in ländlichen Gebieten zu lösen. Die Zuständigkeiten der Länder werden dadurch nicht verändert, aber die darauf bezogene Mitwirkung des Bundes zeitgemäß gefasst, um zu gleichwertigen Lebensverhältnissen beizutragen. Eine sinnvolle Abgrenzung und enge Abstimmung mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) stellt sicher, dass GRW und erweiterte GAK komplementär zueinander wirken. Der Sachverständigenrat spricht sich nachdrücklich dafür aus, bei der Umsetzung die Gemeinschaftsaufgabe deutlich stärker an den Bedürfnissen in den ländlichen Räumen und an ihren Herausforderungen und Potentialen zu orientieren. Dementsprechende räumliche Differenzierungen sollten möglich sein. Eine räumliche Schwerpunktbildung ist bereits im bestehenden GAK-Gesetz vorgesehen.
Sachverständigenrat Ländliche Entwicklung (SRLE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
Mitglieder:
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke (Vorsitzender) Prof. Dr. Claudia Neu (stv. Vorsitzende)
Petra Bentkämper
Timm Fuchs
Bärbel Grönegres
Christina Kretzschmar
Dr. Hildegard Sander
Sarah Schulte-Döinghaus
Prof. Dr. Peter Weingarten
Hubertus Winterberg“
Weitere Informationen
(Foto: ©-Xander-Heinl-PHOTOTHEK)