DStGB-Online: Die Stadt Rheinbach wurde als Partnerstadt im Rahmen der Partnerschaft des Friedens ausgewählt. Wie kam es dazu?
Stefan Raetz: Seit vielen Jahren besuchen Rheinbacher Schülerinnen und Schüler, aber auch Bürgerinnen und Bürger, der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und die Bundeswehr aus Rheinbach die Schlachtfelder von Verdun. Fachkundig begleitet werden diese Gruppen durch den Rheinbacher Militärhistoriker Peter Baus. Die vielen freundschaftlichen Kontakte, die daraus entstanden sind und schließlich auch die Konrad Adenauer Stiftung mit Philipp Lerch haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich Armand Falque, Bürgermeister der Gemeinde Vaux und Olivier Gérard, Bürgermeister der Gemeinde Douaumont, für die Stadt Rheinbach als deutsche Partnerstadt für den Frieden entschieden haben.
DStGB-Online: Was war Ihr persönliches Anliegen für den Beginn der Partnerschaft?
Stefan Raetz: Seit Ende des Zweiten Weltkrieges haben wir das Privileg, in Europa in Frieden und Freiheit leben zu können. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass die Gräueltaten der Kriege nie wieder passieren und genau das verbindet Armand Falque, Olivier Gérard und mich. Wir stehen ein für den Frieden und für die Freundschaft in Europa. Es ist aber auch der spürbare Wille auf französischer Seite, das Projekt im Rahmen einer verstetigten Zusammenarbeit fortzuführen. Wir werden dabei auch von Bürgermeister Samuel Hazard von Verdun tatkräftig unterstützt.
DStGB-Online: Sie sind nach Angela Merkel der zweite Deutsche, dem die Ehre, die Flamme vom Grab des unbekannten Soldaten von dem Pariser Arc de Triomphe zu entzünden, zuteil wurde. Was bedeutet Ihnen das?
Stefan Raetz: Es fällt mir schwer zu beschreiben, welche Emotionen dieser besondere Akt in mir ausgelöst hat. Ich fühlte mich zutiefst gerührt, geehrt und zugleich auch stolz, die Flamme entzünden zu dürfen. Als zunächst die deutsche Nationalhymne vor der Französischen gespielt wurde, habe ich realisiert, dass dies ein symbolischer Akt ist, der mich von nun an immer begleiten wird. Anschließend wurden mir Erden der vier großen Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges in einem Glaszylinder überreicht. Übrigens ein Akt, der das letzte Mal 1920 durchgeführt wurde. Das war ebenso emotional und tief bewegend für mich.
DStGB-Online: Was hat Sie ansonsten bei Ihrem Besuch der Gedenkstätten von Verdun am meisten berührt?
Stefan Raetz: Es waren so viele Momente, die mich berührt haben. Ein ganz besonderer war ebenfalls im Beinhaus. Der Direktor der Stiftung des Ossuaire de Douaumont, Olivier Gérard, hat uns in eine Kammer unterhalb des Beinhauses geführt, die Besuchern unzugänglich ist und in der Regel nur der Bischof von Verdun betritt. Dort standen wir inmitten von ca. 40.000 von insgesamt 130.000 Gebeinen von nicht identifizierbaren gefallenen französischen und deutschen Soldaten. Wir beteten das „Vater unser“ und alle rangen um Fassung. Ähnlich berührt hat mich die Herzlichkeit gerade älterer Franzosen, die trotz der für sie noch fast lebendigen Gräueltaten der Deutschen, heute fest für die Versöhnung und den Frieden in Europa eintreten.
DStGB-Online: Welche Ergebnisse erhoffen Sie durch die „Partnerschaft des Friedens“?
Stefan Raetz: Die Jugendlichen, die bisher die Schlachtfelder um Verdun besucht haben, waren alle tief betroffen. Wir wollen mit dieser besonderen Partnerschaft den kommenden Generationen übermitteln, dass durch kriegerische Auseinandersetzungen unendliches Leid geschieht. Es darf nie wieder Krieg geben. Mich betrübt es, dass in vielen Ländern auf der Erde heute immer noch Kriege geführt werden. Wozu Menschen im Stande sind ist wirklich unvorstellbar und das zeigen die Schlachtfelder um Verdun überdeutlich. Sie sind für junge Menschen, die unsere Friedensbotschafter der Zukunft sind, Mahnung sich immer wieder für ein geeintes und friedliches Europa einzusetzen.
DStGB-Online: Wie gedenken Sie mit der Verantwortung für eine freundschaftliche Beziehung zu der Gemeinde Douaumont-Vaux umzugehen und wie wird dies aktiv umgesetzt?
Stefan Raetz: Die freundschaftliche Beziehung zwischen der Gemeinde Douaumont-Vaux und der Stadt Rheinbach besteht ja nun bereits. Die Verantwortung liegt nun darin, die Beziehung zu intensivieren und mit Leben zu füllen. Wir haben uns bereits ausgetauscht und einige Ideen entwickelt und zum Beispiel den Sport und die Musik als verbindendes Element identifiziert. Erste Gespräche haben dazu schon stattgefunden, denn in Verdun gibt es einen Stadtmarathon, an dem auch eine Rheinbacher Mannschaft teilnehmen könnte. Ich besuche ja auch gerne die Partnerstädte Rheinbachs mit dem Fahrrad. Auch Douaumont-Vaux wäre ein Ziel. Ein deutsch-französischer Austausch, mit einer Begegnungsstätte für Jung und Alt, medial mit neuester Technik umgesetzt, Stichwort „augmented realitiy“, das wäre ebenso ein Ziel. Die Rheinbacher Schulen entwickeln Austauschideen, bis hin zu gemeinsamem Unterricht via Bildschirm. Mein Ziel ist es jeden Rheinbacher Schüler der 8. und 9. Klasse einmal nach Verdun und Douaumont-Vaux zu bringen. Dies werden die Schüler nie vergessen und das ist der beste Weg sich mit dem hohen Gut Frieden auseinander zu setzen.
DStGB-Online: Warum halten Sie die deutsch-französische Freundschaft für wichtig und was liegt Ihnen im Besonderen daran?
Stefan Raetz: Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren beide Nationen total zerstritten. Die Wut über den anderen entlud sich dann in nicht nur einem fürchterlichen Krieg. Freundschaft bedeutet den Menschen kennenzulernen, seine Stärken und seine Schwächen zu akzeptieren, ihn zu verstehen - auch wenn ich nicht seine Sprache spreche - und seine Kultur zu respektieren. Freunde führen eben keine Kriege. Und die deutsch-französische Freundschaft ist hierfür eine beispielhafte.
DStGB-Online: Warum ist das Bestehen des Elysée-Vertrages von besonderer Bedeutung für die Stadt Rheinbach?
Stefan Raetz: Der Elysée-Vertrag, den am 22. Januar 1963 Président de la République Francaise Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnet haben, ist die Keimzelle und das Symbol der deutsch-französischen Freundschaft. Nur sechs Jahre später wurde in Rheinbach die Vereinigung zur Förderung der Partnerschaft mit Villeneuve lèz Avignon gegründet, eine aktive Städtepartnerschaft, die seit 50 Jahren bis heute wirkt.
DStGB-Online: Wie kamen Sie zu der Errichtung der Skulptur „Les Adieux“?
Stefan Raetz: Die Skulptur „Les Adieux“, also „der Abschied“, wurde auf Betreiben von Erich Scharrenbroich, der um die vielen Kontakte von Peter Baus wusste, am 17. Mai 2013 zu Ehren der gefallenen deutschen Soldaten im Fort Douaumont aufgestellt. Pater Franz-Josef Ludwig, er war ebenso Künstler wie Pallottiner Pater, erschuf diese Skulptur. Im Jahr 2012 suchten die Historiker der Mission Histoire in Verdun anlässlich des 50. Jahrestags des Elysee-Vertrages 2013 nach geeigneten deutsch-französischen Aktivitäten. Da war „Les Adieux“ ein sehr schönes und willkommenes Projekt. Auf französischer Seite haben Colonel Alain Artisson und die Historikerin Juliette Roy das Projekt unterstützt. Es war ein langer Weg mit vielen Gesprächen mit den Freunden aus Douaumont-Vaux und Verdun. Wir sind die einzige Stadt, der dies ermöglicht wurde. Ein besonderes Zeichen der Freundschaft, für uns eine besondere Ehre und ein Symbol der Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland, was wir von Rheinbach aus realisieren durften. Allen, die sich für dieses Projekt eingesetzt haben, gilt mein Dank. Dies ist die Keimzelle der Partnerschaft des Friedens.
DStGB-Online: Die Schüler des Städtischen Gymnasiums kreierten den „Baum der Wünsche“: Wie kam diese Initiative zustande? Wird die Auseinandersetzung mit der Schlacht von Verdun und der deutsch-französischen Geschichte explizit in den Unterricht aufgenommen?
Stefan Raetz: Als klar war, dass eine Delegation von Rheinbach aus nach Douaumont-Vaux fahren würde, haben wir gleich Kontakt zu unseren weiterführenden Schulen aufgenommen. Frau Stephanie Ewald, Französischlehrerin am Städtischen Gymnasium, hat direkt geantwortet und die beiden Schülerinnen Friederike Krancke und Paula Dörflinger waren sofort dabei. Im Französischkurs haben alle Schülerinnen und Schüler diesen „Baum der Wünsche“ erstellt. Im Unterricht wurde dann auch über die deutsch-französische Geschichte gesprochen. Die Schülerinnen haben die Stadt Rheinbach hervorragend repräsentiert und wurden immer wieder in die Feierlichkeiten mit eingebunden. Das wird auch keine Eintagsfliege sein. Vielmehr gibt es bereits jetzt schon viele Ideen den Austausch zu vertiefen.
DStGB-Online: Warum ist es wichtig, besonders die junge Generation an dieses historische Ereignis zu erinnern und für die Geschichte und für die Wahrung des Friedens zu sensibilisieren?
Stefan Raetz: Der Leitspruch des obersten Hauptquartiers der NATO lautet: „Vigilia, Pretium, Libertatis“, Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Die nachfolgende Generation muss erkennen, dass ein Leben in Frieden und Freiheit damit verbunden ist, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Es soll nie wieder Krieg in Europa und auf der Welt geben. Dafür lohnt sich mein, dafür lohnt sich unser aller Einsatz. Seien wir alle wachsam! Kriege entstehen nicht, sie werden von Menschen gemacht!
Das Interview führte Hannah Grimm, DStGB Online-Redaktion.
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