Interview mit Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Die Fragen stellte Andreas Herholz.
Frage: Herr Landsberg, die Große Koalition plant ein Fachkräftezuwanderungsgesetz, um den Bedarf auf dem Arbeitsmarkt besser zu steuern. Ein sinnvoller Plan?
Landsberg: Das Fachkräftezuwanderungsgesetz wird in der Politik und der Öffentlichkeit mit großen Erwartungen verbunden. Das geplante Gesetz wird allerdings keinen nennenswerten Einfluss auf die Migrationsbewegungen nach Deutschland und Europa haben. Dagegen sprechen zum einen die geringen Zahlen, die bislang zu verzeichnen sind. Im Jahr 2017 haben rund 107.000 Personen aus Drittstaaten eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Hinzu kommt der Umstand, dass ein Großteil der Flüchtlinge keine von uns als gleichwertig akzeptierte berufliche Qualifizierung hat. Ein genereller sogenannter „Spurwechsel“ von Asylverfahren hin zu einer Erwerbsmigration für Geflüchtete und Asylbewerber würde die unterschiedlichen Ziele vermischen und die Akzeptanz eines Fachkräftezuwanderungsgesetzes infrage stellen.
Frage: Also keine Entschärfung des Fachkräftemangels durch Zuwanderer?
Landsberg: Die Erwartungen an die Wirkung eines neuen Fachkräftezuwanderungsgesetzes sollten nicht überschätzt werden. Wir sollten vielmehr die bestehenden Möglichkeiten der Ausbildung und Weiterqualifikation von Arbeitssuchenden in Deutschland und Europa nutzen und ausbauen. Die Qualifizierung von Fachkräften in Deutschland, der Spracherwerb von Flüchtlingen mit Bleiberecht sowie die Gewinnung von Arbeitskräften innerhalb der EU sollten in einem ersten Schritt erfolgen.
Frage: Aber brauchen wir angesichts des Fachkräftemangels nicht eher mehr als weniger Zuwanderung?
Landsberg: Den Fachkräftemangel in Deutschland wird das neue Gesetz nicht beheben, sondern allenfalls leicht abmildern können. 60 Prozent, also mehr als die Hälfte aller deutschen Unternehmen, sehen das Thema Fachkräftemangel als die zentrale Herausforderung an. Längst können teilweise Aufträge nicht ausgeführt werden, weil das Fachpersonal fehlt. Zurzeit verlassen pro Jahr 700 000 Schüler die Schule und etwa 1 Million Menschen gehen in Rente. In zwei Jahren gehen 1,2 Millionen pro Jahr in Rente und die Schülerzahl bleibt weitgehend gleich.
Frage: Warum dann die Skepsis in Bezug auf die Regierungspläne?
Landsberg: Es wird häufig übersehen, dass es in Deutschland bereits eine gesetzliche Regelung für die Zuwanderung von Nicht-EU-Ausländern gibt. Es existieren rechtliche Rahmenbedingungen im Bereich der Arbeitsmigration, die in den letzten Jahren deutlich liberalisiert wurden. Nach Ansicht der OECD gehört Deutschland mittlerweile sogar zu den liberalsten der 36 wirtschaftsstarken Mitgliedsländer. Darüber hinaus gilt innerhalb der EU der freie Zugang zum Arbeitsmarkt.
Frage: Also soll alles beim Alten bleiben?
Landsberg: Erweiterte Möglichkeiten der Fachkräftezuwanderung nach Deutschland können für einzelne, gut ausgebildete Migranten eine neue Perspektive aufzeigen. Es ist wichtig, die Zuwanderungsregelungen einfacher, praktikabler und weniger bürokratisch zu gestalten. Auch im EU-Ausland wie Spanien und Griechenland, mit hoher Jugendarbeitslosigkeit, gibt es viele, die schon eine Ausbildung haben oder in Deutschland ausgebildet werden könnten. Diese Potenziale sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Mit einem höheren Engagement in diesem Bereich könnte man zugleich ein positives Zeichen für den europäischen Integrationsprozess setzen. Die Schaffung von Beratungs- und Kompetenzzentren dort, wo in der EU eine hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht, könnte die Vermittlung freier Arbeitskräfte und offener Stellen deutlich erhöhen.
Frage: Auch die Wirtschaft fordert mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt angesichts fehlender Fachkräfte…
Landsberg: Richtiger wäre es für die Wirtschaft, die Möglichkeit der Gewinnung von Fachkräften in Deutschland selbst massiv auszubauen. Es gibt rund 232 600 erwerbslose Personen unter 25 Jahre in Deutschland. Die Ausbildungsquoten müssen erhöht werden. Vor allem gilt es aber auch, die Anstrengungen bei der Vermittlung zwischen Erwerbslosen sowie Ausbildungssuchenden und offenen Stellen deutlich zu intensivieren. Es sollte alles unternommen werden, dass Flüchtlinge qualifiziert werden und einen Arbeitsplatz finden. Der Spracherwerb ist die größte Hürde bei der Arbeitsplatzsuche. Hier sollten wie in den skandinavischen Ländern Spracherwerb und Berufsqualifikation nicht aufeinander folgen, sondern zeitgleich absolviert werden. Sprachliche Qualifikation und berufliche Ausbildung sollten von Anfang an kombiniert werden. Dennoch: Selbst eine Verdopplung der Anzahl von Erwerbstätigen aus Drittstaaten könnte unseren Fachkräftebedarf nicht annähernd befriedigen. Eine spürbare Erhöhung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten hätte keinen nennenswerten Einfluss auf den Fachkräftemangel.