"Sprachrohr der Schweigenden Mehrheit"

Zorn-, Wut- und Protestbürger, die abgehängt sind oder die sich zumindest abgehängt fühlen, melden sich lautstark, teilweise auch extrem zu Wort. Die Stimmung ist gereizt. Viele Menschen sehen sich offenbar nur noch als Konsumenten der Politik. Die Politik und die Politiker haben „aufzutischen“ und wenn es nicht reicht, gibt es im Gegenzug Protest, Verachtung, Beschimpfung, Bedrohung und teilweise auch tätliche Angriffe. Sachliche Auseinandersetzungen werden immer schwieriger. Daten und Fakten werden geleugnet. Hintergründe scheinen nicht zu interessieren. Ausgeblendet wird alles, was nicht ins Feindbild passt. Diese bedrohlichen Tendenzen zeigen sich vielfach auch vor Ort, auf kommunaler Ebene und gipfeln in täglichen Angriffen auf lokale Politiker, Mandatsträger und Verwaltungsangestellte.

Die Politik steht auf allen Ebenen im Jahr 2017 vor der Herausforderung, immer wieder den Dialog mit den Menschen zu suchen und für Toleranz, Zusammenhalt sowie gegen Hass und Ausgrenzung zu argumentieren. Wir müssen die Fakten herausstellen, im Gespräch überzeugen und deutlich machen, dass es häufig keine einfachen Lösungen gibt. Gleichzeitig brauchen wir die Aktivierung der schweigenden Mehrheit. Das ist kein Selbstläufer.

Notwendig ist ein Bündnis für Toleranz und Zusammenhalt gegen Hass und Ausgrenzung.

In diesem Bündnis sollten zum Beispiel Kommunen, Länder, Bund, Kirchen und Gewerkschaften gemeinsame Strategien entwickeln, wie man die Zunahme von Hass und das Auseinanderdriften der Gesellschaft wirksam bekämpfen kann. Dazu gehört eine solide Plattform, in der Strategien entwickelt und dann auch vor Ort umgesetzt werden. Vorbild könnte die Aktion „Gesicht zeigen“ mit der vor einigen Jahren rechtsextremen Strömungen in Deutschland begegnet wurde. Das Bündnis kann ein deutliches Sprachrohr der schweigenden Mehrheit in der Gesellschaft werden. Dazu gehört selbstverständlich eine eigene Organisationsstruktur (Geschäftsstelle), die dieses Netzwerk betreut und die die vereinbarten Maßnahmen und Strategien zum Beispiel gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung umsetzt.
Die Kommunen werden dieses Thema bei ihrem nächsten Treffen mit der Bundeskanzlerin am 25. Januar 2017 vorschlagen.

Mit Blick auf das Wahljahr 2017 warnen wir die Politik davor, den Menschen immer noch weitere zusätzliche und neue Sozialleistungen zu versprechen. Das wird zu einer Enttäuschung führen. Deutschland kann nicht mit immer weniger jungen Menschen und immer mehr Älteren noch weitere Sozialleistungen erwirtschaften. Schon jetzt sieht der Bundeshaushalt 2017 Sozialausgaben in Höhe von 162 Milliarden vor. Das sind 49,3 Prozent des Gesamthaushaltes. Auch die Sozialausgaben der Kommunen haben längst die 50-Milliardengrenze überschritten und steigen weiter. Damit sind wir der sozialste Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hat. Die teilweise geübte Fundamentalkritik von bestimmten politischen Kräften und einzelnen Wohlfahrtsverbänden ist insoweit im wahrsten Sinne des Wortes postfaktisch.
 
Die Erwartungshaltung der Bürger gegenüber dem Staat wird immer höher. Viele Menschen sehen sich offenbar nur noch als Konsument in der Politik. Die Politik und die Politiker haben „aufzutischen“ und wenn es nicht reicht, gibt es im Gegenzug Protest, Verachtung, Beschimpfung, Bedrohung und teilweise auch tätliche Angriffe. Das Ganze zeigt Ansätze einer Vollkaskomentalität, nach dem Motto: Der Staat soll alles machen und alles regeln. Das zeigt sich auch in den Kommunen. Der Ganztagskindergarten mit möglichst kleinen Gruppen, hochschulausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern, Bioverpflegung und Betreuungsmöglichkeiten auch noch am Wochenende und das Ganze natürlich zum Nulltarif – selbst wenn beide Eltern gut verdienen – entspricht vielen Erwartungen. Das setzt sich in der Schule fort. Auch kurze Schulwege sollen durch eine kostenlose Schülerbeförderung organisiert werden. Auch in der Ganztagsschule werden natürlich ein biologisches Essen und die Förderung jedes einzelnen angemahnt. Häufig besteht auch noch die Vorstellung, dass etwaige Klassenfahrten nicht von den Eltern – selbst wenn dieser leistungsfähig sind – sondern von der Schule, der Kommune oder dem Förderverein finanziert werden. Ein Spiegelbild für diese Grundhaltung sind die Schulverwaltungsgesetze der Länder, die fast ausschließlich Elternrechte, aber wenig Elternpflichten beschreiben. Es ist Aufgabe der Politik, mit den Bürgern immer wieder zu sprechen und ihnen deutlich zu machen, dass der Staat nur das verteilen kann, was er vorher anderen über Steuern, Gebühren und Beiträgen abgenommen hat.
 
Dringender Reformbedarf besteht insbesondere im Hinblick auf die sozialen Sicherungssysteme. Viel zu lang hat die Politik sich darauf konzentriert, echte oder vermeintliche Gerechtigkeitslücken mit großer Einzelfallgenauigkeit zu schließen. Die Folge ist ein selbst für Experten kaum noch durchschaubares System von Leistungen, Verrechnungen und Zuständigkeiten. Ein kleines Beispiel dafür ist die Situation, dass eine Bürgerin oder ein Bürger nicht in der Lage ist, sich ausreichenden Wohnraum zu finanzieren. Soweit die Person erwerbsfähig ist, bekommt sie unter bestimmten Voraussetzungen Wohngeld, das die Länder finanzieren. Ist sie erwerbslos, erhält sie Kosten der Unterkunft nach ganz anderen Grundsätzen und Prinzipien. Diese Kosten der Unterkunft werden überwiegend von den Kommunen und teilweise vom Bund finanziert, obwohl der Grundtatbestand eigentlich der gleich ist. Zu Beginn der neuen Legislaturperiode sollte eine Kommission zur Reform des Sozialsystems eingerichtet werden. Ziel muss es sein, das System einfacher, transparenter, unbürokratischer, effektiver und besser ausgerichtet auf die wirklich Bedürftigen zu gestalten. Das wird ein schwieriger Prozess, aber wenn wir ihn heute nicht angehen, werden wir den Sozialstaat nicht langfristig und nachhaltig sichern können.

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