Herr Schelzke, viele Politiker – nicht nur in Bocholt, sondern auch in hessischen Städten und Gemeinden – erhalten zunehmend Hassbotschaften. Die Zahl der Enthemmten nimmt zu. Ist das auch Ihr Eindruck?
KARL-CHRISTIAN SCHELZKE: In Hessen sind mir keine so gravierenden Angriffe bekannt wie in Bocholt. Sicher, in den sozialen Netzwerken, besonders in Facebook und Twitter wird geferkelt.
Was wird in solchen Hassbotschaften geschrieben?
SCHELZKE: Die Schamgrenze ist spürbar gesunken, Politikerinnen und Politiker gerade vor Ort anzugreifen und zu verunglimpfen. Passt einem eine Gebührenerhöhung nicht oder eine andere Entscheidung in der Kommune, wird der vermeintliche Urheber an die mediale Wand gestellt und beschimpft und bedroht.
Was liegt hinter den vordergründig wütenden Angriffen im Netz?
SCHELZKE: Es scheint offenkundig zu sein, dass die Menschen in unserem Land der etablierten Politik immer weniger zutrauen und nicht wenige werden die gerade in der Flüchtlingsfrage getroffenen Entscheidungen bzw. nicht getroffenen Entscheidungen als eine Art Bevormundung empfinden, siehe AfD. Es ist aber auch meine feste Überzeugung, die ich auch aus der Praxis habe gewinnen können, dass bei Menschen dann wieder Vertrauen gebildet werden kann bzw. zurückkehrt, je mehr sie die tatsächlichen Umstände ehrlich genannt und erklärt bekommen. Nicht nur in der Bundes- oder Landespolitik, sondern auch vor Ort im Rathaus.
Was fordern Sie darüber hinaus?
SCHELZKE: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert, dass bereits die Bedrohungen in den sozialen Medien wirksamer zu verfolgen und zu bestrafen sind.
Sie waren selbst Staatsanwalt in Frankfurt, haben Strafanzeigen in solchen Fällen wirklich Aussicht auf Erfolg oder laufen sie ins Leere, weil man die Absender nicht ausfindig machen kann?
SCHELZKE: Für konkrete Bedrohungen gegenüber Kommunalpolitikern und ihren Familien muss das Strafgesetzbuch um den Tatbestand des sogenannten „Politiker-Stalkings“ ergänzt werden. Zusätzlich brauchen wir Beratungs- und Ermittlungsstellen in den Ländern, an die sich Kommunalpolitiker bei Bedrohungen wenden können und die diesen Fällen gezielt nachgehen.
Inwieweit leidet die Arbeit der Kommunal- und Landespolitiker unter diesen Vorzeichen? Wer ist noch bereit, ein politisches Ehrenamt auszuüben?
SCHELZKE: Berufsmäßige Politiker lassen sich durch ihre Mitarbeiter von Hassmails abschirmen, Lokalpolitiker müssen sich selbst mit ihren Mails auseinandersetzen. Grundsätzlich muss man, wenn man sich für gesellschaftliche Fragen engagiert, ein gewisses Maß von Anfeindungen in der Kommunalpolitik aushalten. Das hat aber nichts mit Hasstiraden zu tun, wie sie in den Sozialen Netzwerken verbreitet werden.
Was raten Sie Ihren Mitgliedern, den hessischen Kommunalpolitikern?
SCHELZKE: Bürgermeisterinnen und Bürgermeister trifft ebenso wie Parlamentsvorsteherinnen und Vorsteher eine ganz besondere Verantwortung. Sie müssen auf die Menschen vor Ort zugehen und im Sinne des bisher Gesagten um deren Vertrauen werben. Es gilt Sorge dafür zu tragen, dass sich die Mitglieder der vorgenannten Gremien untereinander respektieren und sachlich miteinander diskutieren, was nicht immer eine leichte Aufgabe ist. Zum anderen besteht immer wieder auch die Chance, in Bürgerversammlungen und kommunalen Informationsveranstaltungen über Hintergründe und Notwendigkeiten vermittelnd und vertrauensbildend aufzuklären.
Eine Herkulesaufgabe.. . .
SCHELZKE: Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen aufzuklären und die zu schützen, die vor Ort ihr Gesicht zeigen und Empfänger von Hassbotschaften sind, gefährden wir auch die lokale Demokratie, gefährden wir die demokratische Kultur in unserem Land.