Die Briten waren nie ein einfacher Partner in der EU. Sonder-Rechte, Sonder-Forderungen, Sonder-Rabatte. Was man in Brüssel und Straßburg vielleicht nicht oft genug dabei bedacht hat, ist, dass die Briten mit ihrer Kratzbürstigkeit aber auch ein Teil der EU waren und sind, der europäische Entscheidungen oft genug in eine bessere Richtung gelenkt hat. So wünscht man sich in der EU die britischen Unruhestifter schon zurück, bevor sie überhaupt gegangen sind. Vom wegfallenden EU-Finanzbeitrag der Briten ganz abgesehen.
Und der Schock über die Mehrheit für den Brexit auf den britischen Inseln mag neben anderen Faktoren ein ganz wichtiger sein für die Erklärung, warum nun plötzlich die Bürgerschaft in Mengen auf die Straßen in unseren Städten und Gemeinden strömt. Und für Europa demonstrieren, ihre proeuropäische Gesinnung und Überzeugung manifestieren. Das tun nunmehr auch übrigens viele Städte und Gemeinden in England. Nachdem sie während der Debatte um das Brexit-Referendum leider keine Position für Europa bezogen, sondern geschwiegen haben.
Wenn die Briten aus der EU ausscheiden, wird das auch die vielen Deutsch-Britischen Städtepartnerschaften betreffen. Nicht nur, dass man zukünftig beim gegenseitigen Besuch von Kommunal- oder Schulpartnerschaften womöglich zuvor aufwändig ein Touristenvisum wird beantragen müssen. Auch die EU-Regelungen über den Schutz von Reisegästen, eine etwaige Anspruchnahme und Abrechnung von ärztlichen oder Krankenhausbehandlungen - all das wird womöglich nicht mehr den verbraucherfreundlichen EU-Regelungen unterfallen.
Dabei bräuchten wir gerade jetzt und erst recht nach einem Brexit dringend eine Intensivierung der Deutsch-Britischen Städtepartnerschaftsarbeit. Damit die britischen Inseln und das Festland, vor allem die Menschen einander verbunden bleiben. Und gemeinsam dafür einstehen können, dass unsere britischen Freunde ein Teil der europäischen Völkergemeinschaft sind und bleiben.
Im Gegenteil aber dürfte nach einem Brexit die ohnehin nicht üppige Förderung Deutsch-Britischer Städtepartnerschaften aus EU-Mitteln wegfallen. Daher müssen die Städte und Geneinden schon heute fordern: Der Bund und die Länder müssen im gemeinsamen europäischen Interesse die Kommunalpartnerschaften auf die britischen Inseln fördern und unterstützen!
Da hat Frau May den Austrittsantrag noch nicht nach Brüssel abgeschickt, da wachsen nun schon die Überlegungen und Theorien, dass es am Ende doch nicht zu einem Brexit kommen werde. Sind das Wunschträume?
Innenpolitisch hat die Premierministerin alle Hände voll zu tun und keinen Mangel an Problemen. Zig-Milliardenrechnungen für britische Verbindlichkeiten werden ihr aus Brüssel für den Fall des Austritts vorgerechnet. Millionen von EU-Bürgern bangen in Britannien um ihre persönliche Zukunft – und viele Briten auf dem Festland ebenfalls. Das Parlament des traditionell proeuropäischen Schottland in Edinburgh hat gerade ein zweites Unabhängigkeitsreferendum beschlossen. Und so mag Theresa May in diesen Tagen womöglich das Schauerbild einer Landkarte am Einschlafen hindern, einer Karte ihres Landes ohne Schottland, Klein-Britannien sozusagen.
Nachdem sich der Rauch der Brexit-Kampagne in Großbritannien verzogen hat, wird immer deutlicher, welches fulminante Eigentor die Briten sich womöglich mit einem Abschied aus der EU schießen würden. Wie war das nochmal mit dem bisher wohl berühmtesten aller britischen Torschüsse, dem Wembley-Tor? Als Wembley-Tor wird ein Lattentreffer bezeichnet, bei dem der Ball nach unten springt und dabei die Torlinie möglicherweise nicht vollständig überschreitet aber jedenfalls anschließend wieder ins Spielfeld rollt. Nach derartigen Spielszenen ist es oft umstritten, ob der Ball im Tor war oder nicht. Und so ähnlich könnte es auch mit dem Brexit laufen. Frau May knallt das Leder an die Latte, keiner kann genau sagen, ob das Ding hinter der Linie war, danach ist der Ball aber klar wieder im Spielfeld.
Ob die Brexit-Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden, ist ungewiss.
Schlimm wäre ein Brexit ohne Ergebnis der Austrittsverhandlungen. Dann nämlich würden sich die Briten nach dem EU-Vertrag „ungeregelt“ verabschieden. Mit einem unübersehbaren Chaos, für die Menschen und deren Freizügigkeit und Zukunft, für den Handel miteinander, die europäische Atomgemeinschaft, die Kapitalmärkte, Investorensicherheit, um nur einiges zu nennen. Und mit einem Desaster vor allem für die Briten selbst, wirtschaftlich, handelsmäßig, finanziell, integrationspolitisch – mit einem Wort für die Zukunft der Insel.
Aber auch für viele Regionen, Städte und Gemeinden steht bei einem Brexit einiges auf dem Spiel. Vor allem für solche Kommunen, in denen Produkte und Dienstleistungen geschaffen und auf die britischen Inseln verkauft werden. Das gilt zum Beispiel für die Automobilindustrie. Großbritannien ist ein bedeutender Handelspartner. Dessen Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt, womöglich die Einführung von Handelszöllen würden auch und nicht zuletzt die Städte und Gemeinden bei uns negativ treffen können. Umsatzeinbußen der ortsansässigen Unternehmen könnten die Folge sein. Mit negativen Folgen für Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft und Steueraufkommen. Die potenziell betroffenen Städte und Gemeinden sollten daher schon heute die Lage analysieren, den Sachstand darlegen. Und Ideen und Konzepte zusammen mit der Wirtschaft vor Ort entwickeln, wie es während und nach einem Brexit weitergehen kann.
Umgekehrt droht auch vielen Städten und Gemeinden im Vereinigten Königreich umgekehrt das gleiche Szenario. Denn auch dort hängen Umsätze und Arbeitsplätze vom gesunden Handel mit dem Festland ab. Ein weiteres gemeinsames Thema auch für Deutsch-Britische Städtepartnerschaften.
Zudem droht Britannien der Verlust europäischer Institutionen. So zum Beispiel der Europäischen Bankenaufsicht EBA, noch mit Sitz in London. Vielleicht wird diese nach Frankfurt am Main umziehen. Und mit ihr viele gut bezahlte Arbeitsplätze. Das gilt generell für gut qualifizierte Arbeitskräfte und Unternehmen aus Großbritannien, die es auf das europäische Festland ziehen könnte, um die Vorteile des EU-Binnenmarktes weiter genießen zu können. Also durchaus auch eine kommunale Chance in Deutschland mit dem Brexit. Berlin bemüht sich aktiv um junge Start Ups aus London. Und könnte sich selbst wohl auch als Standort der EU-Behörde für die Arzneimittelaufsicht vorstellen.
Die Gründung der heutigen EU hat der europäischen Völkergemeinschaft Frieden, Wohlstand und Stabilität gebracht, wie historisch noch niemals zuvor auf unserem Kontinent. Die Menschen profitieren umfassend von der EU. Wir alle können glücklich sein, in diesem Staatenbund zu leben. An ihrem 60. Jahrestag steht die EU nicht ohne Probleme da. Und es hat sich gezeigt, dass die EU kein Selbstläufer ist.
Für Europa muss aufstehen, Gesicht zeigen, sich einsetzen. Alle müssen das tun, die Bürgerschaft, die Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Und auch die Kommunen. Wir wollen zu Europa nicht schweigen. Kritik vorbringen, dort wo sie nötig ist, auch mit Nachdruck und Schwung. Aber dabei das große Ganze nicht aus den Augen verlieren und selbst dazu beitragen, dass das europäische Einigungswerk nicht in eine Existenzgefahr kommt.
(Uwe Zimmermann, stellvertretender DStGB-Hauptgeschäftsführer)
Weitere Informationen:
(Foto: ©pixssell - Fotolia.com)