Im Jahre 2015 sind über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Zwar ist zwischenzeitlich der Flüchtlingsstrom deutlich geringer geworden, trotzdem rechnet die Bundesregierung auch für dieses Jahr mit 600 000 Personen. Der aktuelle Zustand gewährt eine Atempause, ist aber kein Grund zur Entwarnung. „Wir müssen uns also darauf einstellen, dass weiterhin Menschen in der Größenordnung einer deutschen Großstadt jährlich nach Deutschland kommen“, betonte DStGB-Präsident Roland Schäfer (Bürgermeister der Stadt Bergkamen). Das stellt immense Herausforderungen an Verwaltung, Organisation, Beschaffung von Wohnraum und insbesondere Integration. Gerade weil ein großer Teil der Flüchtlinge lange oder sogar dauerhaft in Deutschland bleiben wird, ist die Integration die Herkulesaufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Darauf müssen wir uns und auch die Bevölkerung vorbereiten, ohne neben der Betonung der Herausforderungen jedoch die mit der Integration vieler neuer Mitbürgerinnen und Mitbürger verbundenen Chancen kleinzureden.
Ob die Integration gelingt, entscheidet sich in den Städten und Gemeinden. Es ist Aufgabe der Politik, die notwendigen Rahmenbedingungen schnell und dauerhaft zu schaffen. Die anwesenden Kommunalvertreter verabschiedeten in Norderstedt den 3. Maßnahmenkatalog zur Flüchtlingspolitik unter den Leitsätzen: „Zustrom von Flüchtlingen endlich dauerhaft begrenzen und bewältigen – Überforderung der Kommunen beenden – Internationales Engagement weiter stärken“.
Arbeitsmarkt und Integration
Der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Dr. Frank-J. Weise – beim DStGB-Hauptausschuss als Redner zu Gast – sprach sich dafür aus, dass Flüchtlinge, die in Deutschland sind, so schnell wie möglich auch arbeiten können sollten. Die Verzeichnung der Qualifikationen sei von großer Bedeutung. Zur Beschleunigung der Asylverfahren müsse der Datenabgleich und Datenaustausch unter den beteiligten Akteuren gewährleistet werden. Bis Ende 2016 soll die Erfassung abgeschlossen sein. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktintegration betonte Weise, dass man nicht von Ausbildungsstandards abweichen dürfe, aber Übergänge geschaffen werden müssen – etwa gleichzeitig eine Ausbildung beginnen und den Schulabschluss nachholen zu können. Die kleinen Lebensgemeinschaften – die Kommunen – sind laut Weise die erfolgversprechendsten Umgebungen für Integration. Der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge signalisierte den anwesenden Kommunalvertretern, die Arbeit des BAMFs noch enger an den Bedarfen der Kommune ausrichten und den gegenseitigen Austausch forcieren zu wollen.
Torsten Albig, MdL, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, sprach in Norderstedt über Lage und Perspektiven der Politik in Zeiten des Wandels. Auch hier nahm das Thema Flüchtlingspolitik und Integration eine wesentliche Rolle ein. Albig hob die Bedeutung der Kommunen als verlässliche Partner des Landes hervor: "Wir sind auf leistungsfähige Städte und Gemeinden angewiesen." Für die Bürgerinnen und Bürger, so Ministerpräsident Albig, sei allerdings nicht entscheidend, ob Bund, Länder oder Kommunen für bestimmte Aufgaben zuständig sind. Die Bürger sehen das Gesamtgebilde "Staat". Regelmäßiger Austausch der Ebenen insbesondere vor dem Hintergrund der Herausforderung Integration sei unerlässlich. Albig lobt den kreativen Geist, den die deutsche Gesellschaft und Politik in den letzten Monaten gezeigt haben. Dies führe deutlich vor Augen, dass wir verändern könnten, so Albig: „Daraus sollten wir Zuversicht für die künftigen Aufgaben ziehen.“
In einer Podiumsrunde diskutierten Dr. Stefan Heße (Erzbischof Erzbistum Hamburg), Dr. Ralf Stegner, MdL (SPD-Fraktionsvorsitzender Landtag Schleswig-Holstein), Dr. Uwe Brandl (1. BM der Stadt Abensberg und Vizepräsident des DStGB) und Ingbert Liebing, MdB (Bundesvorsitzender der Kommunalpolitischen Vereinigung) mit dem Moderator Franz-Reinhard Habbel (Sprecher des DStGB) über Integration als Herausforderung und als Chance für Deutschland. Herausgehoben wurde die bedeutende Rolle der Ehrenamtlichen, ohne die Integration auch in Zukunft nicht gelingen könne. Diese gesellschaftlichen Kräfte gelte es zu stärken. Einig waren sich Stegner und Heße in Bezug auf die Gewährung des Familiennachzugs; Familienzusammenführungen seien maßgeblich, um die Integration zu fördern. Problematisiert wurden die mehrfache Umsiedlung von Flüchtlingen, die die Integrationsbemühungen sowohl der Geflüchteten als auch der heimischen Bevölkerung zunichtemachten sowie die unzureichende Finanzierung der Integrationskosten auf kommunaler Ebene.
Sicherheit stärken – wachsende Einbruchskriminalität länderübergreifend bekämpfen
Neben der Flüchtlingspolitik stand das Thema Innere Sicherheit im Mittelpunkt der DStGB-Jahresversammlung. Unter der Überschrift „Sicher leben in Zeiten der Unsicherheit – Rolle der Zivilgesellschaft bei der Terrorabwehr“ referierte der Stellvertretende Chefredakteur des ZDF Elmar Theveßen beim DStGB- Hauptausschuss. Die Polarisierung der Gesellschaft sei Teil der Strategie der IS-Anhänger – ein Umstand, der IS-Terroristen und Rechtsextreme verbinde, so Theveßen. Die Flüchtlingssituation sei nicht ursächlich für den Terrorismus, werde jedoch von Kritikern gebraucht, um Ängste zu schüren. Was muss geschehen, damit sich das unter anderem von IS und Rechtsextremen propagierte Bild vom "Kampf der Kulturen" nicht in den Köpfen der Menschen festsetzt? Theveßen plädiert dafür, physische, institutionelle, wirtschaftliche, rechtliche und kulturelle Barrieren niederzureißen.
Angesichts erhöhter Terrorgefahr und der weiter anwachsenden Alltagskriminalität sind immer mehr Menschen zunehmend verunsichert und beginnen zu zweifeln, ob der Staat ihre Sicherheit ausreichend gewährleisten kann. "Wir dürfen nicht nur auf den Terror schauen, sondern müssen vor allem der wachsenden Zahl von Bürgern Lösungen bieten, die zweifeln, ob der Staat ihre Sicherheit noch ausreichend gewährleisten kann", sagte Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Nach der kürzlich vorgestellten polizeilichen Kriminalstatistik 2015 ist die Zahl der Wohnungseinbrüche und Einbruchsversuche auf 167 136 und damit um 15 000 gegenüber dem Jahr 2014 angestiegen. Angst, Radikalisierungen und sogar die Aufstellung von Bürgerwehren sind die Folge. „Das dürfen wir nicht hinnehmen, der Staat muss seine Handlungsfähigkeit zeigen, die Bürgerinnen und Bürger besser schützen und die Sicherheitsstrukturen stärken“, sagte der DStGB-Präsident Roland Schäfer.
Der DStGB fordert ein Bündnis für mehr Sicherheit zwischen Bund und Ländern, das die Kommunen bei dieser wichtigen Aufgabe unterstützen. Dazu gehören unter anderem mehr sichtbare Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit, ein Konzept gegen zunehmende Wohnungseinbruchsdiebstähle, eine Entlastung der Polizei von bürokratischen Aufgaben und größere Konzentration auf Strafverfolgung und Straftatenverhinderung, städtebauliche Kriminalprävention und Null-Toleranz des Staates gegenüber Bedrohungen von kommunalen Entscheidungsträgern.
Digitalisierung in der Stadtgesellschaft
Gastgeber des Hauptausschusses, 1. Vizepräsident des DStGB und Oberbürgermeister von Norderstedt Hans-Joachim Grote, sprach im Rahmen der Sitzung über Digitalisierung in der Stadtgesellschaft. Nachhaltige Stadtentwicklung, Resilienz und digitale Infrastruktur seien DIE drei Standortfaktoren, so Grote. Die Zeit zwischen Vorgestern und Morgen werde immer kürzer, die technische Entwicklung gehe schnell voran. Das Internet der Dinge werde den Alltag der Bürgerinnen und Bürger stark verändern. Die Kommunen, sagt Grote, können davon erheblich profitieren! Smart Meter und die Infrastruktur für e-Mobilität sind nur zwei Beispiele. „Gerade in den Städten werden sich große, miteinander kommunizierende Systeme herausbilden. Die 'digitalen Stadtbewohner' werden weitaus stärker als bisher partizipieren.“
Von der Datenautobahn, so der Oberbürgermeister, profitiere Norderstedt mehr als von der A7 direkt vor der Haustür. WLAN, eine eigene Cloud, Smart Grids – in Norderstedt stehen die Weichen auf digitale Zukunft. Oberbürgermeister Grote rief die Zuhörer auf, die Zukunft aktiv zu gestalten: „Wir können Zukunft mitgestalten, wir können die Zukunft aber nicht aufhalten oder gar verhindern. Daher: Agieren statt reagieren!“
Weiterführende Dokumente
(Foto: © Stadt Norderstedt)