Interview: "Zuwanderung aus Osteuropa - ein aufgebauschtes Problem?" (BR2 Radiowelt, 03.01.2014)

Zuwanderung aus Osteuropa - ein aufgebauschtes Problem?

Bild: Arno Bache / pixelio.de

Birgit Harprath

Rechnen Sie mit einem Anstieg der Zahl derer, die aus Rumänien und Bulgarien jetzt nach Deutschland kommen?

Dr. Gerd Landsberg

Es wird nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit etwa 100.000 bis 180.000 Personen geben, die aus diesen Ländern nach Deutschland kommen. Das werden aber überwiegend Personen sein, die hier arbeiten können und auch arbeiten wollen. Wir haben ja unsere Erfahrungen aus den letzten Jahren. Es sind etwa 200 bis 200.500 Personen gekommen. Von denen haben nur 10 % Hartz IV in Anspruch genommen. Das heißt, die Mehrheit aus diesen Ländern ist hier willkommen und verdient hier auch das Geld.

Harprath

Das heißt, das Problem wird oft aufgebauscht.

Landsberg

Das Problem wird etwas aufgebauscht. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es dieses Problem gibt. Wir haben einen Anteil von Personen, die in diesen Ländern teilweise diskriminiert werden, die aus bitterer Armut nach Deutschland kommen, die bildungsfern sind und die in bestimmte Städte gehen und dort auf Hilfe hoffen. Und diese Hilfe müssen wir natürlich auch organisieren, obwohl die Rechtslage eine andere ist. Die Rechtslage in Deutschland sagt ganz eindeutig, wer hierher kommt als EU-Bürger und nur Arbeit sucht hat zunächst keinen Anspruch auf Sozialhilfe und hat auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Aber wir sind natürlich nach der Rechtsprechung verpflichtet, das Existenzminimum zu organisieren, um den Menschen zu helfen. Das tun wir. Wir erwarten allerdings sowohl vom Bund wie auch von der EU entsprechende Hilfen.

Harprath

In welcher Form. Nur Geld?

Landsberg

Es gibt drei Bereiche, die betroffen sind. Das ist einmal die Gesundheitsversorgung. Eigentlich müssten diese Personen krankenversichert sein, das sind sie größtenteils aber nicht. Sie sind – wie gesagt – bildungsfern. Das heißt, die Kinder müssen in die Schule, können kein Deutsch und kein Englisch. Das heißt, die müssen wir besonders begleiten. Und der dritte wichtige Punkt ist die Unterkunft. Häufig sind das Gruppen von 10, 12, 20 Leuten. Oft haben sie 5, 6 Kinder. Da eine geeignete Unterkunft zu finden ist schwierig und deswegen denke ich, ist es die Aufgabe des Bundes, aber auch eine Aufgabe der EU mit zwei Richtungen. Es ist auch sicherzustellen, dass diese Menschen in ihren eigenen Ländern eine Perspektive haben. Wer wie Rumänien und Bulgarien in der EU ist hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Es gibt sogar Mittel der EU, die von diesen Ländern offenbar nicht in ausreichendem Umfang abgerufen und nicht in ausreichendem Umfang genutzt werden.

Harprath

Und was halten Sie vom neuen Vorschlag aus Kreisen der Union, Fingerabdrücke zu nehmen, um Missbrauch zu vermeiden durch die Wiedereinreise?

Landsberg

Ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist. Man muss an den praktischen Vollzug denken. Sie können in der EU frei reisen, es finden ja gar keine Kontrollen statt. Wenn jemand eine schwere Straftat begangen hat wie Betrug oder Diebstahl, Raub oder Ähnliches, findet ohnehin eine erkennungsdienstliche Behandlung statt. Ich glaube nicht, dass wir diese Probleme mit solchen Maßnahmen lösen.

Harprath

Die Probleme betreffen viele Kommunen, die einen knapp genähten Haushalt haben. Wie ist es denn um die Finanzen 2014 bestellt?

Landsberg

Die Kommunen insgesamt werden im letzten Jahr ein kleines Plus von 0,9 Mrd. Euro gemacht haben, aber wir haben eine starke Spreizung zwischen armen und reichen Städten. Das liegt teilweise in der Struktur, das liegt an der Arbeitslosenquote. Da brauchen wir eine Lösung insbesondere im Hinblick auf die Eingliederungshilfe für Behinderte. Da sagt der Koalitionsvertrag, wir werden die Kommunen entlasten, zunächst um eine Milliarde. Später, nach Reform der Eingliederungshilfe, um 5 Mrd. Euro. Das steht dort so und da wollen wir eine schnelle Umsetzung. Und wir sagen, ein erster Schritt könnte es z. B. sein, generell die Kommunen um 0,7 Prozentpunkte bei der Umsatzsteuer besserzustellen. Das wär etwa eine Milliarde. Das wäre ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen.

Harprath

Jetzt ist das die Einnahmenseite. Sie fordern aber auch Reformen bei der Ausgabenseite. Eine Reform des Sozialstaates. Soll es den nicht mehr geben?

Landsberg

Natürlich muss es den Sozialstaat geben. Nur wir müssen auch feststellen, wir haben immer weniger junge Leute. Die können nicht für immer mehr Ältere auch noch bessere und zusätzliche Sozialleistungen erarbeiten. Deswegen brauchen wir eine Reform mit dem Ziel, zielgenau den wirklich Bedürftigen helfen und Bürokratie abbauen. Wir haben z. B. alleine im Familienrecht 153 verschiedene Leistungen, von denen eigentlich keiner so ganz genau weiß, wie wirkt das eigentlich, was kommt am Ende heraus? Ich denke, das ist wirklich wichtig, dass wir diese Fragen angehen.

Harprath

Ob das schon alles in 2014 zu lösen ist, bleibt abzuwarten.

Das war am Telefon der Radiowelt der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg. Vielen Dank und Ihnen natürlich auch noch ein gutes neues Jahr.

Landsberg

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