Ist Armutszuwanderung zu stemmen?

„Ist Armutszuwanderung zu stemmen?“

Bild: Arno Bache / pixelio.de

Martin Zagatta.

Herr Landsberg, wir haben gerade diese Reportage aus Dortmund gehört. In Duisburg, so heißt es, gibt es ähnliche Probleme. Auch Mannheim ruft um Hilfe. Sind das bestimmte Kommunen, die besonders große Probleme haben und warum gerade die?

Dr. Gerd Landsberg

Das liegt sicherlich daran, dass viele, die als Armutsflüchtlinge aus diesen Ländern kommen, gerne dort hingehen, wo schon andere sind, die sie kennen, z. B. Verwandte, Bekannte. Das ist nichts Ungewöhnliches. Man muss das auch im Gesamtkonzept sehen. Sie haben ja richtig anmoderiert, dass wir nur 10 % Hartz-IV-Bezieher an Rumänen und Bulgaren haben. Deswegen will ich deutlich sagen, es gibt sehr viele, die gut integriert sind und die auch arbeiten. Aber wir haben – das ist ja in der Reportage klar geworden – eine deutliche Zunahme der so genannten Armutsflüchtlinge. Das hat mehrere Gründe. Einmal haben die zu Hause eine ganz schlechte Lebenssituation. Vielleicht einmal eine Zahl: In Rumänien beträgt die Sozialhilfe pro Monat und Kopf 25 Euro. Davon können Sie dort nicht leben. Dann werden diese Personengruppen teilweise diskriminiert. Die kommen nicht, weil sie Deutschland so schön finden, sondern weil sie in bitterer Armut leben. Und dann werden diese Probleme praktisch in den Städten relevant, die sich dargestellt haben.

Zagatta

Irgendwie erinnert mich diese Situation aber auch an die Zeit, als die Freizügigkeit für Polen in Kraft getreten ist, damals. Da gab es ja auch größte Befürchtungen, die sich dann anschließend als falsch herausgestellt haben. Besteht diese Gefahr jetzt auch wieder, dass man da vielleicht auch wieder etwas übertreibt?

Landsberg

Ein bisschen besteht die Gefahr. Auch ich habe sofort an die Situation gedacht als damals Polen zur EU kam. Aber der Entwicklungsstand und die Wirtschaft in Polen war damals eine andere als sie heute in Rumänien und Bulgarien ist. Das hat man übrigens auch geahnt bei der EU-Erweiterung. Man hat aus politischen Gründen, die ich durchaus auch nachvollziehen kann, gleichwohl diesen Schritt gemacht und deswegen glaube ich auch, dass sowohl Bund wie auch die EU das Problem nicht alleine bei den Städten belassen können. Wir brauchen die Hilfe des Bundes bei der Gesundheitsversorgung, bei der Unterbringung, bei der Sozialarbeit und wir brauchen auch die Hilfe der EU, die ja sehr viele Strukturfördermittel in Bulgarien und Rumänien investiert. Da muss man ganz klar sagen: „Ihr müsst die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessern und wir kontrollieren das auch.“ Denn wir hören immer wieder, dass da zwar auch Geld gezahlt wird, was aber versickert.

Zagatta

Nun müssen ja die Städte mit diesen Problemen umgehen. Viele müssen ja damit umgehen ab dem 1. Januar wahrscheinlich verstärkt. Wie kommt denn Ihr Hilferuf bei der Politik an, bei der Bundesregierung beispielsweise?

Landsberg

Also der Hilferuf kommt an. Sie finden da auch eine Aussage in der Koalitionsvereinbarung. Und die Innenministerkonferenz hat Anfang Dezember, das war auch ein Vorschlag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, beschlossen, Anfang des Jahres einen so genannten Asylgipfel zu veranstalten. Da werden wir sicherlich auch die Frage der Armutsflüchtlinge, der Finanzierung, der Rolle des Bundes und auch der Länder thematisieren. Zumal die Bundesagentur für Arbeit sagt, mit der Freizügigkeit, die ja ab nächste Woche gilt, man mit 180.000 weiteren Arbeitsmigranten aus Rumänien und Bulgarien rechnet. Das Problem wird nicht kleiner, es wird eher größer.

Zagatta

Woher soll das Geld kommen, diese Menschen zu unterstützen. Ist da der Bund gefragt?

Landsberg

Ich meine, dass der Bund gefragt ist. Der Bund hat der EU-Erweiterung zugestimmt. Er hat die Probleme gesehen, alle Länder haben die Probleme gesehen - übrigens gibt es auch in Frankreich eine ganz ähnliche Situation. Und deswegen muss der Bund sich auch finanziell engagieren. Aber auch die EU ist gefordert. Sie stellt ja Strukturmittel bereit. Die müssen genutzt werden, um den Städten die Möglichkeit zu geben, eine vernünftige Unterkunft zu schaffen und viel Missbrauch, der auch dort passiert, zu unterbinden. Nur das geht halt nicht zum Nulltarif.

Zagatta

In unserer Reportage eben ist es angeklungen. Demnächst entscheide oder soll der Europäische Gerichtshof darüber entscheiden, ob diesen Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien, ob ihnen auch Sozialhilfe zusteht. Wenn der Gerichtshof ja sagt, was kommt denn dann auf die Städte oder was kommt dann auf Deutschland zu?

Landsberg

Also zunächst geht es nicht um Sozialhilfe, sondern es geht darum, ob sie einen Anspruch auf Hartz IV haben. Denn bisher ist unser so genanntes Sozialgesetzbuch II ganz klar. Da steht drin, wenn ein EU-Ausländer nach Deutschland kommt, nur um hier Arbeit zu suchen, hat er keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, auch nicht auf Sozialhilfe. Das war übrigens Grundlage der Vereinbarung über die Freizügigkeit. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern das gilt auch für die anderen Länder. Und deswegen bin ich eigentlich ganz zuversichtlich, dass der Europäische Gerichtshof dieses hält, was aber das Problem nicht löst, denn wir können die Leute ja nicht verhungern lassen. Natürlich bekommen die das Notwendige. Aber, wenn dieser Schritt noch käme, dass praktisch jeder, der nach Deutschland käme, automatisch Hartz IV bekommt, dann führt das zu einer Kostenexplosion. Ich glaube nicht, dass Deutschland, übrigens auch nicht die anderen Länder, dies hinnehmen werden. Sie kennen das vielleicht aus Großbritannien. Die haben in der letzten Woche noch einmal ihre Gesetze in diesem Bereich geschärft. Bei der Vereinbarung in der EU über die Freizügigkeit war gerade das ausgeschlossen. Und ich denke, das wird auch der Europäische Gerichtshof zu beachten haben.

Zagatta

Ist das eine Forderung, die Sie dann möglicherweise an die Bundesregierung stellen werden?

Landsberg

Aber selbstverständlich werden wir sie stellen. Das können wir nicht leisten und das ist auch nicht der Sinn der Freizügigkeit. Wir stehen zur Freizügigkeit, wir wollen auch nicht, dass sie eingeschränkt wird. Aber die Folgen, die damit verbunden sind, soweit sie dieses Ausmaß haben, müssen auch die tragen, die das entschieden haben, das ist der Bund und das ist auch die EU.

Zagatta

Herr Landsberg, Bundespräsident Gauck fordert heute in seiner Weihnachtsansprache, Flüchtlinge in Deutschland willkommen zu heißen. Jetzt sind diese Rumänen oder Bulgaren zwar keine Flüchtlinge, sondern EU-Bürger, aber offenbar doch die ärmsten der Armen in der EU. Aus Sicht der Kommunen, was kann man da machen. Wie kann man diese Menschen integrieren, wie kann man ihnen helfen?

Landsberg

Man muss zunächst einmal dafür sorgen, dass sie ordnungsgemäß eine Unterkunft bekommen, dass sie eine Krankenversicherung bekommen, die sie eigentlich haben müssten. Dass die Kinder zur Schule gehen, dass es Förderprogramme gibt, dass diese Menschen in Arbeit kommen. Es ist ja nicht so, dass die nicht arbeiten wollen. Die Masse der Menschen will arbeiten, will vorankommen. Das gilt für alle. Ausnahmen gibt es natürlich. Und dafür braucht man einen langen Atem. Dafür braucht man Förderprogramme, aber unsere bisherigen Strukturen sind auf solche Fälle nicht zugeschnitten. Wir haben da relativ wenig Erfahrung. Die kommen jetzt, das sind ja häufig Gruppen von 20, 30, 50 Personen, die bisher nie in einer geordneten Struktur gelebt oder gearbeitet haben und da etwas Neues zu schaffen oder auch eine Perspektive für eine solide Rückkehr zu schaffen, das ist unsere Herausforderung, das werden wir wollen, aber wir schaffen das nicht alleine.

Zagatta

Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg ich bedanke mich und wünsche Ihnen schöne Weihnachten.

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