Nachfolgend ist das Interview im Wortlaut wiedergegeben:
Martin Krebbers
Millionen Hartz-IV-Empfängern sind im letzten Jahr die Leistungen gekürzt worden, z. B. weil jemand Arbeit abgelehnt hat oder nicht pünktlich zum Termin auf dem Jobcenter erschienen ist. 58.000 haben dagegen Widerspruch eingelegt. Widersprüche, die bearbeitet werden müssen. Die Hartz-IV-Welt ist kompliziert. Zu kompliziert, finden die, die es bezahlen, die Städte und Gemeinden. Die Regelungen sind so bürokratisch, dass kaum noch einer Durchblick hat. Übrigens: Weder die Städte und Gemeinden noch die Betroffenen. Auch das zeigt die hohe Zahl der gekürzten Leistungen, denn nicht hinter jeder Sanktion muss auch gleich ein Faulpelz stecken. Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Städte und Gemeindebund. Guten Tag.
Dr. Landsberg
Guten Tag Herr Krebbers.
Martin Krebbers
Herr Landsberg, was genau macht Hartz-IV so kompliziert, zu kompliziert?
Dr. Landsberg
Das System ist ja gewachsen über die Jahre und wir haben natürlich in Deutschland die Neigung, möglichst einzelfallgerecht zu sein. Und das führt natürlich zu ausgesprochen komplizierten Vorgängen, die man jetzt mal endlich vereinfachen muss. Man muss allerdings vorab sagen, weil das System nun einmal so schlechtgeredet wird, dass auch eine Menge funktioniert. Wenn Sie sich anschauen, wir haben in Deutschland im Moment eine Arbeitslosenquote von 6,5 %. Das entspricht 2,8 Millionen Menschen. Das ist ein historisch niedriger Stand. Alle Länder in Europa beneiden uns darum. Das zeigt, dass nicht immer alles kompliziert ist, es funktioniert auch eine Menge und die Jobcenter machen auch eine sehr gute Arbeit, das gleich einmal vorab.
Das heißt aber nicht, dass Gutes nicht besser werden soll. Ich will das einmal an einem einfachen Beispiel festmachen: Ein getrennt lebendes Elternpaar, beide sind arbeitslos und haben ein Kind. Das Kind ist mal bei der Mutter, mal beim Vater. Jetzt ist die Regelung leider so, dass das Jobcenter jedes Mal tagesgenau berechnen muss, wo ist das Kind. Das kann sich täglich oder wöchentlich ändern. Viel einfacher wäre im Gesetz festzulegen, dass die Eltern sich entscheiden müssen, welcher Bedarfsgemeinschaft wird das Kind zugeordnet. Und dann wird das bezahlt. Ein kleiner Federstrich, der die Leute im Jobcenter enorm entlastet. Denn wir wollen ja eigentlich nicht, dass die Sanktionen verteilen und berechnen, sondern dass die helfen, damit die Menschen in Arbeit kommen. Und da gibt es noch viele weitere Beispiele.
Martin Krebbers
Sorgt das dafür, dass die Mitarbeiter in den Jobcentern viel zu viel mit Bürokratie zu tun haben und viel zu wenig Zeit für das haben, was eigentlich ihr Geschäft sein sollte, nämlich das Vermitteln von Arbeit?
Dr. Landsberg
Das ist zweifellos richtig. Wir müssen diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Bürokratie entlasten, damit sie mehr Zeit für das eigentliche Ziel haben, nämlich Menschen in Arbeit bringen. Es gibt ein weiteres einfaches Beispiel: Bisher erfolgt die Bewilligung alle halbe Jahr, das heißt, jedes halbe Jahr müssen Sie neu sehen, liegen die Voraussetzungen vor, kriegt er vielleicht zu viel oder kriegt er zu wenig. Ein Federstrich des Gesetzgebers, wenn man sagen würde, dass grundsätzlich für ein Jahr bewilligt wird. Dann sind natürlich die Leute entlastet. Und so gibt es zahlreiche Beispiele. Wir warnen allerdings auch davor, das ist ein bisschen in der Diskussion, zu sagen, die Sanktionsmöglichkeiten, die sollte man alle abschaffen, die brauchen wir nicht. Ich glaube schon, dass wir diese brauchen. Das hat sich bewährt. Der Grundsatz „Fördern, aber auch Fordern“ ist richtig. Nur auch bei den Sanktionsmöglichkeiten ist es sinnvoll, das zu vereinheitlichen. Beispiel: Wenn jemand unter 25 Jahren ist, dann gelten wieder andere Sanktionsmöglichkeiten als wenn er über 25 ist. Also, ob das so sinnvoll ist. Machen wir das doch einheitlich. Der kommt zweimal nicht, dann bekommt er eine Kürzung. Dann wird er beim dritten Mal kommen. Auch da kann man sicherlich deutlich vereinfachen. Aber darauf verzichten sollte man sicherlich nicht.
Martin Krebbers
Ist Ihre Erfahrung, Herr Landsberg, dass auch von den vielen, die da Leistungen gekürzt bekommen, etwas über 1 Million waren es 2013, dass da auch einige darunter sind, die selber Opfer der Bürokratie geworden sind, die nicht durchgestiegen sind und versehentlich Fehler gemacht haben?
Dr. Landsberg
Also das gibt es ganz sicher, das ist ja eine alte Erfahrung. Wenn ein System kompliziert ist, dann sind immer die am besten dran, die sich auskennen. Und gerade im Hartz-IV-Bezug sind natürlich viele Menschen, die sich gerade nicht auskennen und deswegen muss es auch im Sinne dieser Personen transparenter und einfacher werden. Die Zahl ist ja in Wirklichkeit sehr viel größer. Wir haben zwar nur 2,8 Millionen Arbeitslose, aber im Hartz-IV-Bezug sind insgesamt 6,13 Millionen. Denn hinter dem Einzelnen steht häufig eine Familie, die kann aus fünf, sechs oder wieviel Personen bestehen. Die Leistungen ändern sich ja auch mit dem Alter der Kinder. Ist das Kind 12 hat es andere Ansprüche als wenn es 17 ist. Wohnt es noch zu Hause oder wohnt es nicht zu Hause. Also, das ist schon ein sehr kompliziertes System. Man wird die Kompliziertheit nicht ganz abschaffen können, aber ich finde, wir sollten in Deutschland viel mehr den Mut haben, übrigens nicht nur bei Hartz-IV, sondern z. B. auch im Steuerrecht, die Dinge mehr zu pauschalieren, auch wenn man zugestehen muss, dass in irgendeinem Einzelfall das vielleicht ein bisschen ungerecht ist. Ich will ein anderes Beispiel nennen: Da wird diskutiert, wie groß darf die Wohnung sein. Da geht es häufig um ein paar Quadratmeter. Es wäre viel einfacher zu sagen, grundsätzlich je nach Stadt, das ist natürlich unterschiedlich, gibt es einen pauschalierten Betrag für die Unterkunft und Heizung und dann ist es gut. Das macht man übrigens beim Studenten auch. Der bekommt sein BAföG, da fragt niemand wo der wohnt, ob der bei der Freundin wohnt, bei den Eltern wohnt oder sonst wo wohnt. Man sollte vielleicht auch den Betroffenen mehr zutrauen und dadurch eben das System einfacher machen, um dann auch mehr Zeit zu haben, um individuell zu helfen. Das muss man auch offen sagen, wir haben zwar eine niedrige Arbeitslosenquote, aber leider, leider eine relativ hohe Quote von Langzeitarbeitslosten.
Martin Krebbers
Genau die, um die sorgt sich der Sozialverband Deutschland und sieht deshalb keinen Grund zu feiern und fordert deshalb eine grundlegende Überprüfung von Hartz IV. Braucht es die, eben wegen dieser Langzeitarbeitslosen?
Dr. Landsberg
Wir müssen sicherlich überlegen, wie man diesen Langzeitarbeitslosen besser helfen kann. Nur die Hilfe, die ich teilweise jetzt von den Wohlfahrtsverbänden höre, also der beste Weg ist immer mehr Geld, das ist nicht der richtige Weg. Wir müssen schauen und versuchen, wie können wir die Leute nachqualifizieren. Das ist schwierig. Häufig sind sie in einem Alter, in dem sie auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben, sie sind wenig qualifiziert und wenn dann noch körperlich Probleme hinzukommen, Schulden, teilweise auch Suchtprobleme, dann ist das sehr schwierig und deswegen glaube ich, dass wir mittelfristig diese Beschäftigungsmaßnahmen nicht weiter zurückfahren dürfen, sondern wir brauchen und müssen akzeptieren: Es gibt eine ganze Menge Menschen, die werden jedenfalls kurzfristig, bei allem guten Willen aller Beteiligten nicht in den ersten Arbeitsmarkt bekommen und da sage ich, „lasst uns lieber Arbeit finanzieren als Arbeitslosigkeit.“.
Martin Krebbers
Sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer beim Städte- und Gemeindebund. Fast zehn Jahre Hartz IV liegen hinter uns und es gibt Bedarf für Neuregelungen, sagte auch der Städte- und Gemeindebund. Zuviel Bürokratie, da gibt es einiges wegzuräumen.