Marshallplan für Flüchtlingshilfe erforderlich

Marshallplan für Flüchtlingshilfe erforderlich

Bildrechte: Arno Bachert, pixelio
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Der DStGB geht davon aus, dass sich die Lage vor dem Hintergrund zunehmender Flüchtlingsströme noch weiter dramatisieren wird. Unterbringungsmöglichkeiten werden knapp, teilweise gibt es Widerstand in der Bevölkerung und die Kommunen sehen sich zunehmend mit den Kosten allein gelassen. Die Kostenerstattung, die die Kommunen für Unterbringung, Kleidung und Verpflegung der Menschen erhalten ist nicht kostendeckend. Hinzu kommen die teilweise extrem hohen Krankenkosten. Landsberg fordert eine staatliche Gesamtstrategie. Hierzu gehören klarstellende Regelungen im Baurecht sowie ein Bauprogramm zur Schaffung zusätzlicher Flüchtlingseinrichtungen. Auf europäischer Ebene sei es erforderlich, die vielen Initiativen in einem Kommissariat zusammenzufassen.

Nachfolgend ist das in der Welt erschienene Interview im Wortlaut wiedergegeben. Der vollständige Artikel kann auf der Homepage der Zeitung  nachgelesen werden:

Die Welt: Herr Landsberg, die Bundesregierung hat beschlossen, zusätzlich zu den Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern 10.000 Flüchtlingen aus dem Irak Asyl zu gewähren. Wie werden Städte und Gemeinden mit dem Flüchtlingsstrom fertig?

Gerd Landsberg: Wir müssen diesen Menschen helfen, aber die Lage ist für die Kommunen teilweise sehr schwierig. Wir haben steigende Flüchtlingszahlen. In diesem Jahr werden wir sicherlich über 200.000 Flüchtlinge in deutschen Städten haben. Das sind 70.000 mehr als im Vorjahr. Je nachdem, wie die Krisen in der Welt sich weiterentwickeln, werden es vermutlich noch viel mehr sein. Wir können also nicht davon ausgehen, dass die Lage sich entspannt, sondern sie wird sich weiter dramatisieren.

Die Welt: Wie wirkt sich das vor Ort aus?

Landsberg: Wir hören aus den Städten und Gemeinden, dass sie überall Probleme mit der Unterbringung haben. Das hat mehrere Gründe. Erstens haben sie wenig Unterbringungsmöglichkeiten. Zweitens werden die Städte teilweise sehr kurzfristig informiert. Das war etwa in Duisburg der Fall, wo die Stadt jetzt dazu übergeht, Zelte aufzubauen. Das ist natürlich keine angemessene Unterbringung und sicherlich auch keine Dauerlösung.

Die Welt: Es entsteht der Eindruck, dass einige Städte mehr, andere weniger Flüchtlinge aufnehmen müssen. Sind die Flüchtlinge ungerecht verteilt?

Landsberg: Nein. Die Flüchtlinge konzentrieren sich nicht auf einige wenige Städte. Sie werden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt. Der orientiert sich unter anderem an der Größe des Landes und an der Einwohnerzahl. Das heißt: Wir haben das Flüchtlingsproblem in ganz Deutschland, von Duisburg bis Bautzen. Überall fehlen Unterbringungsmöglichkeiten und können nicht schnell genug geschaffen werden. Und teilweise gibt es natürlich auch Widerstand in der Bevölkerung.

Die Welt: Wenn die Kommunen keine Zelte aufschlagen, wo bringen sie die Flüchtlinge dann unter?

Landsberg: Wir müssen derzeit teilweise überteuert Wohnungen, oder auch Hotels anmieten, damit wir die Flüchtlinge unterbringen können. Das ist natürlich keine Lösung.

Die Welt: Was schlagen Sie vor?

Landsberg: Wir brauchen eine Regelung für die Unterbringung von Flüchtlingen. Das Problem wird ja nicht im nächsten Jahr beendet sein. Ich bin kein Pessimist, aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Flüchtlingszahlen noch viel stärker sprunghaft steigen als wir es uns bislang vorstellen können, ist hoch. Das heißt, der sicherste Weg wäre ein Bauprogramm, zur Schaffung zusätzlicher Flüchtlingseinrichtungen.

Die Welt: Aber es gibt doch bestimmt leerstehende Gebäude, oder?

Landsberg: Sicher, die sind aber nicht ohne weiteres nutzbar. Im Rahmen eines solchen Programms könnten bestehende Einrichtungen wie Kasernen oder Liegenschaften der Länder umgebaut, aber auch neue Flüchtlingsheime gebaut werden. Das Problem wird schließlich nicht übermorgen gelöst sein.  Wir müssen auch noch einmal über das Baurecht reden.

Die Welt: Inwiefern?

Landsberg: Ganz einfach: Warum sollen wir etwa nicht den alten Bauernhof im Außenbereich vorrübergehend als Flüchtlingsunterkunft umbauen dürfen? Natürlich sollen die nicht alle aus den Städten verschwinden. Aber angesichts der Notsituation sollte die Politik im Baugesetz klarstellen, dass das für eine gewisse Zeit geht. Teilweise gibt es auch in Industrie- und Gewerbegebieten Gebäude, die zu Flüchtlingszwecken umgebaut werden könnten. Das heißt, wir brauchen eine staatliche Gesamtstrategie. Und das setzt natürlich die Erkenntnis und auch den politischen Willen voraus, zu erkennen, dass das Problem nicht heute und nicht morgen und wahrscheinlich auch nicht in den kommenden Jahren gelöst ist.

Die Welt: Was machen Sie mit den Armutsflüchtlingen?

Landsberg: Armutsflüchtlinge sind eine gesonderte Angelegenheit, die sich auf etwa zwölf Städte in Deutschland konzentriert. Wir sprechen hier von Rumänen und Bulgaren. Vor besondere Schwierigkeiten stellt uns da, dass die in ganz großen Gruppen kommen. Da kommen Familienverbände, bei denen eine Familie allein sieben bis zehn Kinder hat. Darauf sind wir natürlich überhaupt nicht vorbereitet. Und die wiederum kennen unsere Abläufe und Sozialstrukturen überhaupt nicht. Da haben wir nicht nur die Unterbringungsschwierigkeit, sondern auch noch ein riesiges Betreuungsproblem.

Die Welt: Wie zeigt sich das?

Landsberg: Die Kinder dieser Familien  sind teilweise noch nie regelmäßig in die Schule gegangen, sie sprechen die deutsche Sprache nicht. Ihnen fehlt der Zugang zu unserer Gesellschaft, was sicher mit den katastrophalen Zuständen in den Herkunftsländern zusammenhängt. Aber für uns ist das eine riesige Herausforderung. Da hat die Bundesregierung ja jetzt reagiert und stellt zusätzliche Mittel bereit. Lösen können wir die Frage aber nur, wenn man auch die Fluchtursache in den Herkunftsländern bekämpft. Insofern ist das letztlich ein EU-Thema.

Die Welt: Wie stark werden die Städte derzeit noch von Wirtschaftsflüchtlingen aus Bosnien und Serbien beansprucht?

Landsberg: Auch da hat die Bundesregierung inzwischen reagiert. Sie hat gesagt: Das sind sichere Herkunftsländer, dorthin also können Asylsuchende schnell zurückgeschickt werden. Das geht aber erst, wenn auch der Bundesrat das Gesetz verabschiedet. Das hat er bisher noch nicht getan. Und das finde ich völlig unverständlich, wenn ich mir die Situation in Syrien, im Irak und in der Ukraine anschaue, dann muss ich sagen: Wir sollten unsere Kräfte schon auf die Menschen konzentrieren, die nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, sondern wirklich verfolgt werden. Es ist unsere vornehmste Aufgabe, uns um diese Menschen zu kümmern.

Die Welt: Innenminister Thomas de Maizière bringt eine Aufnahme-Obergrenze ins Gespräch, die allerdings auch in seiner eigenen Partei abgelehnt wird. Was sagen Sie dazu?

Landsberg: Ich würde Innenminister de Maizière in dem Punkt Recht geben: Es ist ein Irrglaube zu meinen, Deutschland könnte die Flüchtlingsprobleme der Welt allein lösen. Was wir brauchen, ist eine europäische Asyl- und Bürgerkriegsflüchtlingspolitik, die einen gemeinsamen Raum für Schutz und Solidarität schafft. Darum wäre die EU gut beraten, einen EU-Flüchtlingskommissar einzusetzen. Denn mittelfristig werden wir sicherlich ein System schaffen müssen, dass die Verteilung der Flüchtlinge europaweit regelt.

Die Welt: Ist die Verteilung heute nicht gerecht?

Landsberg: Deutschland nimmt schon sehr viele auf, andere Länder weniger. Da muss ein Ausgleich geschaffen werden. Und das kann die EU besser organisieren, wenn sie die vielen Initiativen, die es dazu gibt, mal in einem Kommissariat zusammenfasst. Deutschland ist als wirtschaftlich starkes Land ein Magnet für Flüchtlinge. Und wenn ich in deren Situation wäre, würde ich auch versuchen, nach Deutschland zu kommen. Das muss man ganz klar sehen.

Die Fragen stellte Günther Lachmann.

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