Nachfolgend ist das Interview im WDR-Morgenecho im Wortlaut wiedergegeben:
WDR5: Das Thema Privatisierung der Wasserversorgung ist ja vor allem ein Beispiel für Lobbyarbeit in Brüssel – diesmal grandios aufgezogen vom Verband kommunaler Unternehmen in Deutschland. Dieser Verband versucht immer wieder, den Eindruck zu erwecken, als plane Brüssel die Zwangsprivatisierung der Wasserversorgung. Was aber nie der Fall war, oder?
Dr. Gerd Landsberg: Am Anfang war das durchaus der Fall. Am Anfang hieß es, die Wasserversorgung wird komplett dem europäischen Vergaberecht unterstellt. Es hat dann erheblichen Widerstand des Verbands kommunaler Unternehmen, aber auch des Städte- und Gemeindebunds gegeben. Herr Barnier, der zuständige EU-Kommissar, rudert immer weiter zurück. Jetzt heißt es, das gilt nur, wenn Ihr es in gemischter Form macht, also gemeinsam mit den Stadtwerken - was wir auch tun. Aber nicht, wenn Ihr es rein öffentlich-rechtlich macht. Der Druck ist sicherlich auch dadurch erzeugt worden, dass wir im Moment auf dem Weg sind, das erste europäische Bürgerbegehren umzusetzen. In Deutschland haben 1,3 Millionen Menschen eine entsprechende Petition unterschrieben. Auch in Österreich gibt es große Zustimmung. Wenn noch zwei Länder bis September das Quorum erreichen, wird sich das Europäische Parlament damit beschäftigen müssen. Insofern ist da ordentlich Druck auf dem Kessel.
WDR5: Kern der Sache ist doch: Wenn Bürgermeister in Zukunft auf die Idee kommen, ihr Wasserwerk zu verkaufen, dann müssen sie ihr Vorhaben in ganz Europa ausschreiben. Nicht mehr und nicht weniger.
Landsberg: Das ist richtig. Nur: Erstens kommen Bürgermeister in der Regel nicht auf diese Idee, sonst sind sie nämlich nicht lange Bürgermeister. Zweitens haben wir etwa 6200 Betriebe, die Wasser erzeugen für die Bürger. Davon sind 44 Prozent bereits in teilprivater Form. Und wenn der Bürgermeister zum Beispiel sagen würde, ich möchte einen Privaten mit ins Boot nehmen, dann muss er auch jetzt schon das Vergaberecht, das Wettbewerbsrecht beachten. Er muss es allerdings nicht europaweit ausschreiben. Und das hielten wir nach wie vor auch für falsch. Wasser ist schon etwas anderes als normale Handelsware. Viele sagen, es ist ein Menschenrecht. Wasser ist etwas wie Luft, das braucht jeder.
Man muss sagen, dass unsere Struktur sich jedenfalls aus unserer Sicht bewährt hat. Die Qualität ist ausgezeichnet. Der Preis wird auch kontrolliert, um das gleich zu sagen. Wir haben ja normalerweise die Abgabengesetzte der Länder. Da steht ganz klar drin, es muss ein Äquivalenzprinzip gelten. Insofern sehen wir keinen Handlungsbedarf. Der zuständige EU-Kommissar Barnier hat mir gegenüber in einem Gespräch gesagt, es gehe auch gar nicht um die deutsche Wasserversorgung, sondern um Korruption und Ähnliches in Osteuropa. Und da frage ich mich natürlich als Deutscher, ob das der richtige Weg ist. Und auch der Europäische Gerichtshof – auch das wird in der öffentlichen Diskussion kaum beachtet – hat in einer Entscheidung gesagt, er sehe überhaupt keinen Handlungsbedarf für eine solche zusätzliche Konstruktion.
WDR5: Das hat der Kommissar Barnier nett gesagt, aber wie war es denn oft bisher beim Thema Wasser? Wenn Kommunen sich dafür entschieden, ein Wasserwerk zu privatisieren, dann hat der lokale Energieversorger zugegriffen, die Stadtwerke. Das hatte zur Folge, dass alles in der Familie blieb und man weiter verdiente Gemeindepolitiker in den Aufsichtsgremien unterbringen konnte. Mit Fairness und Transparenz hat das oft auch nicht so viel zu tun.
Landsberg: Da muss ich widersprechen, das ist nicht so. Ich habe es ja genannt: Von den 6200 Unternehmen sind 44 Prozent mit privater Beteiligung. Und es haben auch keineswegs immer die eigenen Stadtwerke gewonnen, sondern auch andere. Das Problem ist sehr viel diffiziler. Wir haben ja in großem Umfang eine dritte Konstruktion, wenn Sie mal an Nordrhein-Westfalen denken: Da werden ja ganze Flussgebiete von Wasserverbänden verwaltet. Das hat seinen Sinn, weil da viele Menschen leben. Wollen Sie das europaweit ausschreiben? Das wird im Zweifel nicht funktionieren.
Und man muss doch auch mal ins Ausland schauen, wo man diesen Weg schon gegangen ist: In England hat man das Trinkwasser privatisiert. Die Folge war: Zunächst haben die Anteilseigner ordentliche Erträge bekommen. Danach ist die Qualität schlechter geworden, die Leitungen sind schlechter geworden. Dann hat man das nach vielen Jahren für teures Geld rückgängig gemacht. Also die Erfahrungen mit der Privatisierung sind nicht so toll. In Frankreich ist die Struktur ganz anders: Da gibt es zwei, drei große Unternehmen, die flächendeckend die Wasserversorgung im Land machen. Es ist nicht besser, es ist nicht billiger, und die Infrastruktur ist auch nicht besser. Und die Bürger wollen das einfach nicht. Wann ist es uns mal gelungen, 1,3 Millionen Menschen zu einem europarechtlich komplizierten Thema zu einer Petition zu bewegen? Das zeigt, dass die Menschen das nicht wollen und Politik hat die Aufgabe, zunächst mal das zu tun, was die Bürger wollen.
Das Interview führte Thomas Schaaf im WDR 5 Morgenecho vom 02. Mai 2013.