Das Interview mit der Zeitung ist nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:
General-Anzeiger: Wie beurteilen Sie die finanzielle Situation von Städten und Gemeinden?
Dr. Gerd Landsberg: Sie hat sich leicht gebessert. Im vergangenen Jahr haben die Städte und Gemeinden bundesweit einen leichten Überschuss erwirtschaftet. Aber zur Wahrheit zählt auch: Viele Städte - auch in NRW - können Einnahmen und Ausgaben nicht in Deckung bringen. Dort ist die Finanzlage weiterhin katastrophal. Den Kommunen fehlt das Geld für dringende notwendige Investitionen zum Beispiel in die Bildung oder in Straßen, Wege und Plätze. Der kommunale Investitionsbedarf ist riesig, die Kreditanstalt für Wiederaufbau schätzt ihn auf 128 Mrd. Euro.
General-Anzeiger: Wie sehr belasten die Sozialausgaben den finanziellen Spielraum?
Landsberg: Wir haben trotz der momentan guten wirtschaftlichen Lage eine Steigerung bei den Sozialaufgaben auf jährlich rund 45 Milliarden. Und dies, obwohl der Bund die Grundsicherung für das Alter in Höhe von 4,5 Milliarden übernimmt. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren betrugen die Sozialausgaben 28 Milliarden Euro. Um als Städte und Gemeinden mehr investieren zu können, brauchen wir mehr finanzielle Spielräume.
General-Anzeiger: Beispielsweise?
Landsberg: Wir erwarten, dass der Bund bei der Eingliederungshilfe für Behinderte, die sich derzeit auf jährlich rund 14,4 Milliarden Euro beläuft, die Kommunen entlastet.
General-Anzeiger: Müssen die Sozialsysteme reformiert werden?
Landsberg: Ja, das ist dringend notwendig. Mit der reinen Entlastung und der Verschiebung zwischen den Ebenen ist kein nachhaltiger Erfolg zu erzielen.
General-Anzeiger: Kürzungen?
Landsberg: Genau das heißt es nicht automatisch. Wir müssen besonders jene Bereiche prüfen, für die wir das meiste Geld ausgeben. Wir müssen das Sozialsystem, das sich mit seinen zahlreichen, oftmals nicht auf einander abgestimmten Leistungen zu einem Dickicht entwickelt hat, vereinfachen. Es muss transparenter und punktgenauer werden, die tatsächlich Bedürftigen müssen besser erreicht werden. Dies würde auch einen Bürokratie-Abbau mit sich bringen.
General-Anzeiger: Welche Erwartungen haben sie an die neue Bundesregierung?
Landsberg: Wir brauchen einen Politikwechsel weg vom Vater Staat hin zum Bürgerstaat. Die Reformbaustellen sind hier die Verbesserung der Einnahmen, Ausgabenentlastung insbesondere im Sozialbereich, Stärkung der Eigenverantwortung und der Eigenvorsorge. Investitionen in die Infrastruktur müssen Vorrang vor Transferleistungen haben. Wir brauchen mehr Investitionen in Bildung und Betreuung. Wir werden langfristig beispielsweise ohne ein flächendeckendes Ganztagsschul-Angebot nicht auskommen.
General-Anzeiger: Am 1. August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die unter dreijährigen Kinder. Glauben Sie ernsthaft, dass allen Eltern, die es für ihren Nachwuchs wollen, ein Kita-Platz zu Verfügung gestellt werden kann?
Landsberg: Wir werden es weitgehend schaffen. Es wird aber nicht immer der Kindergarten um die Ecke sein. Eine Klagewelle erwarte ich allerdings nicht. Auch weil die Eltern Betreuung und keine Rechtsstreitigkeiten wollen.
General-Anzeiger: Sie haben einmal gesagt, Bund und Länder bestellen Wohltaten, für die sich die Gemeinden krumm legen müssen...
Landsberg: Das gilt auch heute. Der Satz "Wer bestellt, bezahlt" ist nicht überall Wirklichkeit.
General-Anzeiger: Sind die Mieten in Deutschland noch bezahlbar?
Landsberg: In jedem Fall ist eine Mietpreisbremse keine nachhaltige Lösung. Eingriffe in den Markt helfen nicht weiter. Das Problem ist, dass wir mehr Wohnraum schaffen müssen. Der soziale Wohnungsbau muss wieder verstärkt werden.
General-Anzeiger: Nochmal: Sind Mieten bezahlbar?
Landsberg: In weiten Teilen ja. Probleme entstehen insbesondere in den Ballungsräumen und Universitätsstädten. Gerade die unteren Einkommensschichten sind hier besonders betroffen. Deswegen ist das Programm Sozialer Wohnungsbau so wichtig.
(Das Interview führte Thomas Wittke)