Das Interview des DStGB-Hauptgeschäftsführers Dr. Gerd Landsberg mit MDR Info am 01. März 2013 ist nachfolgend wiedergegeben:
Dr. Gerd Landsberg: Die Bundesagentur macht es sich da vielleicht ein bisschen zu einfach. Zunächst einmal muss man einen Blick zurückwerfen. Wir hatten früher zwei völlig verschiedene Systeme nämlich Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Obwohl es die gleichen Leute in unterschiedlicher Konstellation waren und insofern war der Ansatz, das zusammenzuführen, richtig.
Zweiter Punkt: Wenn Sie sich die Arbeitslosenquote in Deutschland ansehen, kann das so schlecht ja nicht gelaufen sein, wenn wir europaweit den besten Arbeitsmarkt haben und die geringste Jugendarbeitslosigkeit. Das heißt natürlich nicht, dass das alles prima ist. Wenn man noch einmal zurückblickt gab es ja damals einen grundlegenden Streit. Die einen haben gesagt „Also das muss die Bundesagentur alleine machen“, die anderen haben gesagt „Nein, nein, das müssen die Kommunen machen, denn die sind ja viel näher an den Menschen und auch am Arbeitsmarkt“. Und wie immer, wenn Politik so unterschiedliche Positionen hat, hat man einen Kompromiss gemacht. Der Kompromiss hat dazu geführt, dass wir in der Tat 160 Arbeitsagenturen in Deutschland haben, die es alleine machen. Wir haben 300 Jobcenter, wo jeweils Kommune und Bundesagentur zusammenarbeiten und wir haben 109 rein kommunale Anlaufstellen. Das ist natürlich schon eine Struktur, die sehr unterschiedlich ist. Aber, dass sie erfolglos ist, das kann ich nicht feststellen und ich kann auch nicht feststellen, dass man sagen kann, dass dort wo es die Bundesagentur alleine macht es ganz toll ist und dort, wo es die Kommunen alleine machen, es ganz schlecht ist. Das ist regional sehr unterschiedlich und hat nach meinen Erkenntnissen mit der Organisationsform alleine nichts zu tun.
MDR Info: Womit hat es denn etwas zu tun?
Landsberg; Es hat sicherlich etwas damit zu tun, dass das System sehr, sehr schwerfällig ist. Viele soziale Leistungen, die wir erbringen, sind über die Jahre immer komplizierter geworden. Nehmen Sie ein einfaches Beispiel: Jemand ist arbeitslos. Dann bekommt er nicht nur Hartz IV, sondern er bekommt Unterkunftskosten. Es wird festgestellt, wie viel Wohnfläche steht ihm zu, dann wird das berechnet, er muss das vorlegen, was ja alles Bürokratie ist. Wenn der gleiche Mann demnächst einen Job hat, aber nicht genug verdient, um eine anständige Wohnung zu bezahlen, bekommt er plötzlich Wohngeld. Das geht nach ganz anderen Kriterien, das machen wiederum finanziell Bund und Land, während das andere die Kommune überwiegend macht. Das heißt, da ist ein Dickicht entstanden, mit unterschiedlichsten Anforderungen, die teilweise die Mitarbeiter überfordern. Aber, wenn man ehrlich ist, teilweise auch die Empfänger. Und deswegen glaube ich, dass wir eine grundlegende Reform der Leistungen brauchen. Ich sage ganz bewusst nicht Kürzungen. Aber wir müssen sehen, erreichen wir die Leute richtig, schnell und mit möglichst wenig Bürokratie. Und das ist ausgesprochen schwierig, trotzdem müsste man das angehen.
MDR Info: Haben Sie denn eine Idee, wie man das angehen könnte?
Landsberg: Ich glaube, dass wir eine deutliche Vereinfachung der Leistungen brauchen. Dass wir z. B. die Differenzierung von Unterkunftskosten und Wohngeld – wie ich gerade dargestellt habe – abschaffen sollten. Ich glaube, dass wir das pauschalieren sollten und sagen, wenn du dir das nicht leisten kannst, bekommst du einen bestimmten Betrag dafür und es ist nicht meine Aufgabe als Behörde zu prüfen, wo du wohnst und wie du wohnst, das machen wir übrigens ja bei Studenten beim BaFöG auch nicht. Ich glaube, dass wir bei den familienpolitischen Leistungen anders hinsehen sollten, es vereinfachen sollten. Ich glaube, dass wir z. B. das Bildungspaket – auch das machen ja die Jobcenter – für alle Kinder, die bedürftig sind, organisieren sollten und nicht nur für die Hartz IV-Kinder, weil die Differenzierungen eigentlich ungerecht sind. Das sind so drei Bespiele. Man kann da natürlich über sehr Vieles sehr eingehend reden, aber dass wir Reformen brauchen, ist völlig unstreitig.