Das Interview ist auf der Homepage der WELT unter www.welt-online.de nachzulesen und wird nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben.
Die Welt: Die Kommunen klagen über Finanznot. Dabei haben sie 2012 mit einem Plus abgeschlossen, und die Steuerschätzungen signalisieren Mehreinnahmen. Wie passt das?
Dr. Gerd Landsberg: Die kommunalen Ausgaben steigen schneller als die Einnahmen. So haben die Sozialausgaben im Jahre 2012 erstmals die 45-Milliarden-Euro-Grenze erreicht. Das geringfügige Plus wurde durch das Unterlassen dringend notwendiger Investitionen teuer erkauft. Bei Schulen, Straßen und öffentlichen Gebäuden wird seit Jahren eher geflickt als grundlegend renoviert. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau beziffert den Investitionsrückstand in den Kommunen auf circa 100 Milliarden Euro. Ob bessere Straßen, mehr Erzieher und Ordnungsbeamte oder Ganztagsbetreuung an Schulen – die Bürger erwarten immer mehr Leistungen des Staates. Ohne eine Einnahmeverbesserung wird all dieses nicht realisierbar sein.
Die Welt: An welche Einnahmen denken Sie?
Landsberg: Die Reform der Grundsteuer ist längst überfällig. Die Bezugszeitpunkte der Bemessungsgrundlage stammen aus den Jahren 1935 beziehungsweise 1964. Sie sind schlichtweg nicht mehr zeitgemäß, da sie sich zum Teil extrem weit von den realen Werten der Grundstücke entfernt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat eine stärkere Orientierung an den tatsächlichen Werten angemahnt. Die Grundsteuer ist auch im internationalen Vergleich sehr niedrig. Die Reform muss zu einer Erhöhung des Aufkommens führen – wenn wir heute zehn Milliarden Euro einnehmen, dann müssen es künftig elf oder zwölf Milliarden Euro sein. Gerade in sehr guten Lagen, wie am Starnberger See, werden teilweise deutlich über 10.000 Euro pro Quadratmeter für eine Eigentumswohnung bezahlt. Diesen Personen kann sicherlich auch eine höhere Grundsteuer abverlangt werden als dem Rentner, der sich von seinem Ersparten eine kleine Eigentumswohnung mit einem Quadratmeterpreis von 800 Euro leistet. Auch die Gewerbesteuer muss gestärkt werden. Dazu gehört die Einbeziehung von Selbstständigen. Und der Anteil der Gemeinden an der Umsatzsteuer muss steigen. Notwendig ist eine Steuerreform, die das System deutlich vereinfacht, Steuerschlupflöcher schließt, die Kontrollen verbessert und damit das Aufkommen erhöht.
Die Welt: Warum sparen Sie nicht?
Landsberg: Das ist leichter gesagt als getan. Es muss sich das Bewusstsein durchsetzen, dass in einer alternden Gesellschaft nicht immer weniger Junge für immer mehr Ältere auch noch bessere und höhere Leistungen finanzieren können. Der große Strauß sozialer Leistungen muss neu geordnet, auf die wirklich Bedürftigen konzentriert und transparent gestaltet werden. In Deutschland gibt es zum Beispiel 152 familienpolitische Leistungen mit einem Gesamtvolumen von 123 Milliarden Euro pro Jahr. Anstatt hier immer neue Leistungen zu beschließen, sollten diese besser aufeinander abgestimmt und das Sozialdickicht gelichtet werden. Der Staat sollte sich auf Investitionen im Bildungs- und Betreuungsbereich sowie in die Infrastruktur konzentrieren. Diese müssen Vorrang vor höheren Transferleistungen haben, deren stetige Erhöhung oder Neueinführung sich als vermeintliches Lösungskonzept für mehr soziale Gerechtigkeit nicht bewährt haben. Wir brauchen eine grundlegende Reform, eine Agenda 2020.
Die Welt: Ist die Zeit für Reformen günstig?
Landsberg: Die Agenda 2020 ist kein Projekt, das sich von heute auf morgen umsetzen lässt. Sie wird auch mit unpopulären Entscheidungen verbunden sein. Die Komplexität politischer Probleme ist schwer vermittelbar. Die Politiker haben stattdessen die Bremse erfunden: Die Mutter aller Bremsen ist die Schuldenbremse. Nunmehr im Grundgesetz verankert, vermittelt sie den Eindruck, die Politik habe gehandelt, das Problem sei gelöst. Gleichzeitig werden immer weitere Bremsen erfunden: die Strompreisbremse, die Benzinpreisbremse und zuletzt die Mietpreisbremse. Immer wieder wird der Eindruck vermittelt, politischer Wille und Entschlusskraft könnten mit einem einfachen Tritt auf die Bremse soziale Probleme lösen und die Preisbildung in der Marktwirtschaft außer Kraft setzen.
Die Welt: Was haben Sie gegen die Strompreisbremse? Beim Strompreis geht es doch nicht mehr um die Marktwirtschaft, sondern um die Finanzierung der Energiewende.
Landsberg: Wir warnen vor einer Strompreishysterie. Bei der Strompreisentwicklung ist mehr Sachlichkeit geboten. Da die fossilen Brennstoffe wie Öl und Gas endlich sind, stiegen die Strompreise seit Jahren, völlig unabhängig von der Energiewende. Im Jahr 2000 hat ein Dreipersonenhaushalt bei einem Verbrauch von jährlich 3500 Kilowattstunden 46,66 Euro im Monat für den Strom bezahlen müssen, 2013 sind es 81 Euro. Das ist eine Steigerung von etwa 85 Prozent über zwölf Jahre. Andere Produkte des täglichen Lebens wie Benzin oder auch nur der Cappuccino im Café haben sich in gleicher Zeit vergleichbar entwickelt. Notwendig ist allerdings eine Reform der Förderung von Erneuerbaren Energien, die zu mehr Marktwirtschaft und damit letztlich auch zu akzeptableren Strompreisen führt.
(Das Gespräch führte Stefan von Borstel)