Kommunen fürchten Klagewelle

Das Interview in der Sendung "Arbeitsplatz" auf SWR1 vom 19. Mai 2012 wird nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben. Das Interview führte Uli Becker. 

Uli Becker:  Wir bleiben beim Thema „Betreuung für Kleinkinder“.
Bis zum August 2013 muss es für alle Kinder unter drei Jahren ein Betreuungsplatz geben. Das kann ein Platz in einer Kindertagesstätte, einer Krippe oder bei einer Tagesmutter sein. Das Familienministerium räumt ein, dass derzeit noch 130.000 Betreuungsplätze fehlen. Der Städte- und Gemeindebund geht davon aus, dass sogar 200.000 Betreuungsplätze fehlen. Das Problem ist, ab Mitte 2013 können Eltern klagen, die keinen Betreuungsplatz gefunden haben. Und, Deutschland befindet sich dann auch noch im Bundestagswahlkampf.

Ich bin am Telefon verbunden mit Dr. Gerd Landsberg. Er ist der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg, vermitteln Sie jetzt schon Juristen an die Gemeinden, damit die für eine Klagewelle erboster Eltern gerüstet sind?

Dr. Gerd Landsberg:  Wir vermitteln noch keine Juristen, das werden wir auch sicherlich nicht tun. Wir appellieren ja an Bund, Länder, natürlich auch an uns selber, aber auch an die Wirtschaft. Wir müssen uns anstrengen, dass wir es noch schaffen. Wir wollen diese Klagewelle ja gerade nicht. Wir wollen die Eltern nicht enttäuschen. Denen ist ein Rechtsanspruch von der Politik versprochen und wir müssen alles tun, um ihn zu erfüllen.

Becker: Was muss denn aus Ihrer Sicht konkret passieren, damit das versprochene Ziel – ein Betreuungsplatz für jedes Kind unter drei Jahren – erreicht werden kann?

Landsberg:  Also wir brauchen sicherlich noch mindestens 100.000 – 200.000 Plätze. Es werden ja nicht alle Eltern den Wunsch haben, ihr Kind betreuen zu lassen. Wir gehen einmal von 39 bis 40 % aus. Aber das ist natürlich auch schon sehr viel. Und uns fehlen Plätze, uns fehlen Erzieherinnen uns fehlen Tagesmütter und das ist genau der Bereich, indem wir vorschlagen, anzusetzen.

Becker: Und Konkret?

Landsberg: Das heißt im Klartext: Wir brauchen eine Ausbildungsinitiative für Erzieherinnen und Erzieher. Da gibt es Programme für Berufsrückkehrer, für Quereinsteiger. Wir können auch werben. Das ist bisher viel zu wenig gemacht worden. Es gibt ja sehr viele Erzieherinnen, die das als Halbtagskräfte machen. Wenn man denen einen entsprechenden Anreiz bietet, sind die vielleicht bereit – nicht auf Dauer, aber vielleicht auf ein, zwei Jahre – zu sagen, o. K. wir machen eine ganze Stelle. Schon haben wir natürliche zusätzliche Plätze. Eine ganz wichtige Baustelle sind die Tagesmütter. Also Tagesmütter sind – das muss man offen zugestehen – natürlich sehr viel kostengünstiger. Hier ein paar Zahlen: Für einen Kitaplatz entstehen Investitionskosten etwa im Schnitt 36.000 Euro und dann das Gehalt und die weiteren Betriebskosten noch obendrauf. Wohingegen eine Tagesmutter mit 7.500 bis 8.000 Euro pro Jahr deutlich günstiger ist. Da können wir sehr viel tun. Viele Mütter wären bereit, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Früher konnte eine Mutter das machen, die vielleicht selbst ein Kind hatte, die konnte ein zwei Kinder betreuen, das war nicht sozialversicherungspflichtig. Das war auch steuerfrei. Das ist unter der großen Koalition abgeschafft worden. Und dadurch ist natürlich der Anreiz deutlich geringer geworden.

Becker: Und wer bezahlt den Tagesmüttern später dann die Rente, wenn sie keine Sozialversicherungsbeiträge mehr bezahlen?

Landsberg: Das ist natürlich ein zweites Problem. Man muss sehen, wenn jemand nur ein, zwei Kinder betreut ist ohnehin das, was bezahlt wird, relativ gering. Daraus werden Sie keine nennenswerten Rentenansprüche erzielen können. Aber, wenn diese Frau, diese Mutter, oder es kann natürlich auch ein Mann sein, dann später doch den Beruf des Erziehers ergreift und dann eine volle Stelle macht, dann bauen sie natürlich auch Rentenansprüche auf.

Becker: Standards und Auflagen bei der Kinderbetreuung müssen flexibilisiert werden, haben Sie an anderer Stelle gefordert. Für mich klingt das nach einer Senkung des Standards und das heißt, schlechtere Betreuung für die Kinder, nur weil ein paar Politiker vollmundig einen Betreuungsplatz für jedes Kind versprochen haben.

Landsberg: Also, das sehe ich anders. Das ist in erster Linie natürlich eine Aufgabe der Länder, aber wir haben in der Tat teilweise Probleme, geeignete Grundstücke für Kindergärten zu finden. Dann wird die Betriebserlaubnis nicht erteilt, weil zwei, drei, vier Quadratmeter Außenfläche fehlen. Also da kann man trefflich darüber streiten.

Becker: Der Beruf der Erzieherin sollte ja eigentlich aufgewertet werden. Die Ausbildung soll erweiterte werden, unter Umständen soll es ein Beruf mit Fachhochschulbildung werden. Jetzt klingt das für mich so, als ob man wegen der gesetzlichen Zusicherung eine Fülle neuer Erzieherinnen und Tagesmütter braucht und denen in der Eile dann eine Schnellbleiche verpasst.

Landsberg: Ich glaube nicht, dass das so ist. Wir haben ja einen Wandel. Wir haben natürlich zu Recht bei den Eltern die Vorstellung, ich will das Kind nicht verwahrt wissen, ich will es betreut und ich will es auch gebildet wissen. Wir haben natürlich längst die Erkenntnis: Die Bausteine für die Zukunft werden im frühkindlichen Alter gelegt. Was das Hänslein bis dahin nicht gelernt hat, lernt es später nur sehr schwer. Und das heißt natürlich auch im Klartext, dass die Qualität immer weiter entwickelt und besser werden muss. Und deswegen diese Forderung. Das ist nicht ganz einfach, bei den Leitern haben wir das schon. Aber langfristig müssen wir in der Tat eine Diskussion führen, ob wir nicht Erzieher insgesamt anders ausbilden müssen. Ich verweise auf die skandinavischen Länder, da gibt es eine einheitliche Grundausbildung für alle Erzieher. Egal, ob die später Lehrer, Grundschullehrer, Hauptschullehrer oder Gymnasiallehrer werden. Dann haben sie natürlich eine ganz andere Kultur. Aber auch da muss man ganz ehrlich sagen, das kostet mehr Geld.

Becker: In SWR1 „Arbeitsplatz“ der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, zu den fehlenden Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren. Herzlichen Dank Herr Landsberg.

Landsberg: Bitteschön.

Das Interview steht auf der Homepage des SWR auch als Audio-Datei zum Nachhören zur Verfügung.

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