Die Mitglieder des Innovators Club haben es sich von Beginn an zum Ziel gesetzt, über den „Tellerrand der Tagespolitik“ hinaus zu blicken. Sie entwickeln Ideen und Konzepte für die zukünftige Gestaltung der Städte und Gemeinden. Die Identifikation und Analyse von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen sind notwendige Schritte, um Antworten auf zukünftige Herausforderungen zu finden. Unter dem Titel „Zeitenwandel“ diskutierten daher auf dem 15. Deutschlandforum des Innovators Club Mitte April rund 80 Teilnehmer verschiedene Aspekte gesellschaftlichen und technologischen Wandels. Ziel der Tagung in Berlin war es, die Vielschichtigkeit und den umfassenden Charakter gesellschaftlicher Veränderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts abzubilden. In verschiedenen Bereichen, wie etwa Kommunikation, Handel, Logistik, Mobilität oder Gesundheitsversorgung, sollten Antworten auf die Frage gefunden werden, wie Zukunft vor Ort gestaltet werden kann.
Zu Beginn des 15. Deutschlandforums, das im historischen Kassensaal der Berliner Niederlassung der KfW Bankengruppe stattfand, stellte Christian Schmitt, Abteilungsleiter Kommunalfinanzierung der KfW, in seiner Begrüßung die Bedeutung des Innovators Club heraus. Eine kommunale Denkfabrik dieser Art und Qualität trage dazu bei, Zukunftskonzepte zu entwickeln und wegweisende Ideen in der Praxis zu erproben. Ein hervorragendes Beispiel für die Arbeit des Innovators Club sei das Pilotprojekt zur energieeffizienten Straßenbeleuchtung in der Stadt Langen.
Auf die positive Entwicklung des Innovators Club ging auch Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des DStGB, in seiner offiziellen Eröffnung des 15. Deutschlandforums ein. Dieses Gremium habe sich seit seiner Gründung im Jahre 2004 immer mehr zu einer „wirklichen Ideenschmiede für Städte und Gemeinden entwickelt“. „Innovationskraft, neue Ideen, Kreativität und Mut seien in Zeiten großer Herausforderungen für die Kommunen auch dringend notwendig“, so Landsberg. „Die Reformen, die wir heute angehen, sind die Grundlage für den Erfolg von Morgen.“ Notwendig sei eine „Agenda 2020“. Es gelte unter anderem die Einnahmen zu verbessern, die Ausgaben zu reduzieren und Investitionen in den Bildungs- und Betreuungsbereich Vorrang vor Transferleistungen einzuräumen. Wichtig sei es zudem, die Energiewende voranzubringen und moderne Formen der Bürgerbeteiligung zu etablieren. Umfassende Informationen zu Planungsvorhaben und der frühzeitige Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern könnten die Akzeptanz für derartige Projekte deutlich verbessern.
Kommunikation strategisch vorbereiten
In der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern spielt der Erfolgsfaktor „Ehrlichkeit“ eine entscheidende Rolle, um die Akzeptanz politischer Entscheidungen zu erhöhen. Gleichzeitig können kommunale Führungskräfte auch immer wieder in Situationen kommen, in denen sie sich gegen unwahre und unrechtmäßige Berichterstattung wirksam zur Wehr setzen müssen. In einem umfassenden Vortrag beleuchteten die Medienrechtler Gernot Lehr und Dr. Christian Mensching das Thema „Krisenkommunikation“. Von großer Bedeutung sei eine strategische Vorbereitung aus presserechtlicher Sicht, um bei kritischer Berichterstattung adäquat und schnell reagieren zu können. Dazu gehöre eine klare Benennung interner Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Außerdem wichtig sei eine präventive Analyse, ob Themenbereiche in der eigenen Verwaltung für eine kritische Berichterstattung von Interesse sein könnten. Bei Presseanfragen sei es entscheidend, sich vor Beantwortung einen Überblick über den gesamten Sachverhalt zu verschaffen. Hierzu gelte es, die Kenner des jeweiligen Themas und die Presseabteilung einzubeziehen. Sinnvoll sei es zudem, Anfragen schriftlich zu erbitten und diese dann auch schriftlich zu beantworten. Um sich gegen eine unrechtmäßige Berichterstattung zur Wehr zu setzen, stelle der Unterlassungsanspruch das wichtigste Instrument dar. Dies vor allem aufgrund der Tatsache, dass er sich sofort in einem einstweiligen Verfügungsverfahren durchsetzen lasse und die laufende Berichterstattung so wirksam unterbunden werden könne.
Impulse zu kommunalen Zukunftsthemen
Wirtschaft, Konsum, Handel, Logistik, Mobilität und Infrastrukturen – kommunale Zukunftsthemen, die eine signifikante Gemeinsamkeit aufweisen: Technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel bedingen einander und beschleunigen sich gegenseitig. Diesen sechs Themenkomplexen widmeten sich die Mitglieder des Innovators Club im Rahmen eines besonderen Formates: In neunzig Minuten gaben sechs hochkarätige Referenten in Impulsen von jeweils 15 Minuten Länge einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen und mögliche Zukunftsperspektiven.
Die Transformation von der Industriegesellschaft hin zur Wissensgesellschaft war das zentrale Thema von Wolf Lotter, Journalist bei BrandEins und freier Autor. Er betrachtete in seinem Vortrag den Wandel unserer Arbeitskultur in der Periode nach der „Generation Praktikum“. Von besonderer Bedeutung für junge Menschen sei die Selbstverwirklichung – wie schon der Titel seines Vortrags aussagte: „Wir schaffen unsere Jobs selbst.“ Die jungen Arbeitnehmer würden sich heute stärker als früher mit Entrepreunership, also Selbstständigkeit, auseinandersetzen. Sich in vorhandenen Strukturen ein- und unterzuordnen stehe hingegen nicht mehr hoch im Kurs. Vielmehr werde immer wieder die Sinnfrage gestellt: Wie sinnvoll ist meine Tätigkeit? Lotters Empfehlung für den Umgang mit dem Wandel der Arbeitskultur: Entrepreneurship fördern und es nicht als neoliberal stigmatisieren.
Die Sinnfrage stellen Menschen heute nicht nur als „Arbeitnehmer“, sondern auch als „Konsumenten“. Der Konsum soll nicht länger nur der reinen Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern auch mit gutem Gewissen getätigt werden können. Nachhaltiges Wirtschaften und Konsumieren, das heißt vor allem Ressourcen zu schützen. Dass hier jedermann tätig werden kann, verdeutlichte Verena Exner von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Exner berichtete über verschiedene Modellprojekte, die als kommunale Schnittstellen fungieren, wie zum Beispiel der „Utopia City Guide“, der im Netz über nachhaltige und faire Konsummöglichkeiten in der Umgebung informiert.
Zukunft des Handels
Die Wachstumsprognosen für den lokalen Handel sind negativ, der Handel muss sich verändern, so der Ausgangspunkt des Vortrages von Joachim Pinhammer von Planet Retail. Zum einen seien die Käufer gesättigt und das verfügbare Einkommen sinke – die Konsumenten seien „krisengebeutelt“. In einer solchen Situation leide naturgemäß zuerst der „Non-Food-Handel“. Darüber hinaus treffe es vor allem den stationären Handel, der sich immer weniger gegen Amazon und Co. durchsetzen könne. Das Beispiel Schlecker zeige, so Pinhammer, was passiere, wenn ein Unternehmen zu sehr in alten Bedingungen und Vorstellungen verhaftet sei und nicht bereit sei, sich an neue Situationen anzupassen. Für die Zukunft des Handels bestünden mehrere Entwicklungsmöglichkeiten. Gerade für die kleineren Unternehmen des stationären Handels bietet das Internet die Möglichkeit, über die bisherigen regionalen oder nationalen Einzugsgebiete hinaus Absatzmärkte zu erschließen. Für die Nahrungsmittelbranche ergeben sich neue Möglichkeiten durch Internetbestellungen für Selbstabholer oder mit Lieferservice.
„Nie wieder Tüten schleppen“ lautete der Titel des Vortrags von Sarah Göttlicher, Deutsche Post DHL. Sie stellte die DHL-Studie „Die Welt im Jahr 2050“ vor. In weniger als 40 Jahren, so ein Szenario der Studie, werden die Städte mit riesigen Gigalinern versorgt; automatisierte Versand- und Liefersysteme erleichtern uns den Alltag. Vorstellbar sei zudem die „Digitalisierung und Visibilität von Objekten“. Kunden würden dann ihre Konsumgüter nicht mehr bestellen und sich zustellen lassen, sondern sie selbst an einem 3D-Drucker direkt zuhause produzieren. Es sei aber dennoch nicht damit zu rechnen, dass Logistik eines Tages überflüssig werde. Die prognostizierte weiter anhaltende Urbanisierung berge zwar Herausforderungen. Es seien jedoch keine logistischen Probleme zu erwarten, die technisch nicht zu lösen wären. Göttlicher räumte jedoch ein: „Städteversorgung dürfte kein Problem sein, die Frage ist nur: Was ist mit dem Land?“ Sollten sich die Szenarien der DHL-Studie bewahrheiten, sei unter Umständen damit zu rechnen, dass die Logistik in den ländlichen Regionen geringer Einwohnerdichte immer unrentabler und somit teurer werde.
Neue Konzepte zu Mobilität und Energieversorgung
Parkplatzmangel, Minderung des Fahrspaßes, Stau – dies sind die Folgen der Verdichtung in urbanen Regionen, die in den nächsten knapp 20 Jahren zu erwarten sind. Ein Umdenken beim Thema Verkehr und Verkehrsinfrastruktur wird daher notwendig. Individuelle Mobilität wird weiterhin von großer Bedeutung sein, auch wenn Städte danach streben, den Individualverkehr zu reduzieren und den Anteil der öffentlichen Verkehrsmittel zu erhöhen. Dr. Gereon Uerz, Zukunftsforscher bei Volkswagen, betonte in seinem Impulsreferat, dass auch die Autohersteller Teil der Lösung der bestehenden Probleme werden wollen. Er stellte das Modell einer „MicroCity“ vor, die den Individualverkehr mit Konzepten wie Carsharing, Carpooling, Elektromobilität und aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbindet. Die „MicroCity“ könne man sich als multifunktionales Mobilitätszentrum vorstellen, eine Art Sammelstation, an der verschiedene Mobilitätsdienstleistungen und der mobile Mensch aufeinandertreffen. Hier könne man bequem parken und direkt auf andere Verkehrskonzepte umsteigen. Die „MicroCity“ liege außerhalb der Stadt, diene als Knotenpunkt für umliegende Regionen und bilde den Umsteigepunkt für alle Reisenden mit dem Ziel „Innenstadt“.
Unter dem Titel „Das intelligente Netz in der Stadt“ referierte Prof. Dr. Michael Laskowski, RWE Metering, zur Energieversorgung im Wandel. Stromerzeugung, Stromnutzung – ein nicht mehr wegzudenkendes Thema in Zeiten der Energiewende. Die Umstellung auf erneuerbare Energien, wie zum Beispiel Windkraft, birgt organisatorische Herausforderungen: Wind und Sonne sind nicht steuerbar, erzeugter Strom nur bedingt speicherbar. Lawskowski betonte daher, dass der Verbrauch der Stromerzeugung folgen muss, dass er also möglichst dann genutzt werden müsse, wenn er ausreichend zur Verfügung stehe. Die Konsumenten erhielten somit eine ganz neue und bedeutendere Rolle auf dem Energiemarkt. Laskowski stellte einige Modellprojekte vor, bei denen der Kunde zu einem aktiven Bestandteil der Energiewirtschaft wird, zu einem sogenannten „Prosumer“. Der Kunde selbst erzeugt den Strom, den er effizient verbraucht. Was übrig bleibt, soll auf regionalen Energie-Marktplätzen angeboten und verkauft werden. Die Einflussmöglichkeit des einzelnen Kunden, oder auch der Kommune, auf dem Energiemarkt würde deutlich steigen.
Im Anschluss an diesen Block mit sechs Impulsen zu kommunalen Zukunftsthemen diskutierten die Mitglieder des Innovators Club die gewonnenen Erkenntnisse. In drei Arbeitsgruppen wurden kommunale Handlungsfelder in den Bereichen „Kommunikation“, „Mobilität“, „Energie“ und „Logistik“ sowie „Regionalentwicklung und Handel“ gemeinsam erarbeitet.
Ideenschmiede Innovators Club
Dass sich einige der im Innovators Club entwickelten Konzepte auch in der Praxis bewähren, wurde anhand der Kurzvorträge zu vier Pilotprojekten, die in den letzten Jahren von ihm begleitet wurden, deutlich. Bürgermeister Thorsten Krüger stellte das Vorgehen der Stadt Langen vor, wo in einem europaweit einmaligen Projekt die gesamte Straßenbeleuchtung auf LED-Technologie umgestellt wurde. In Zeiten angespannter Haushalte nutzte die Kommune in Norddeutschland dazu einen Kredit der KfW, um schnell und umfassend auf die energieeffiziente Technologie umzusteigen. Die Stadt leistete durch die eingesparte Energie damit nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern reduzierte auch ihre Ausgaben deutlich und kann mittelfristig durch die Einsparungen ihren Haushalt entlasten.
An der Steinbeis-Hochschule Berlin forschen junge Wissenschaftler mit Unterstützung des Innovators Club zum Thema „Kommunale Bürgerkommunikation“. Dabei gehen sie der Frage nach, wie Städte und Gemeinden mit ihren Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren und welcher Kanäle sich diese Kommunikation bedient. In mehreren Forschungsarbeiten wurden unter anderem eine qualitative Befragung unter kommunalen Praktikern und eine quantitative Befragung unter über 500 Kommunen durchgeführt. Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse stellte Julia Schlicht, wissenschaftliche Mitarbeiterin in diesem Projekt, dar.
Das Thema „Demografischer Wandel“ hat für Städte und Gemeinden in vielfacher Hinsicht Auswirkungen. Nicht zuletzt besitzt es auch im Hinblick auf die Gewinnung und Bindung ausreichend qualifizierten Personals eine große Bedeutung. Gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen publecon hat der Innovators Club eine große Online-Umfrage unter Städten und Gemeinden durchgeführt, deren Ergebnisse Dr. Thomas Helmke auf dem Deutschlandforum vorstellte. Ziel der Befragung war es, zu erfahren, wie sich Kommunen auf diese Herausforderungen vorbereiten und welche Strategien sie besitzen. An der Umfrage haben über 800 Städte und Gemeinden aus ganz Deutschland teilgenommen.
Mit dem Rollenwandel in der Arbeit von Kommunalverwaltungen setzte sich das Innovators Club-Pilotprojekt „Die Verwaltung von Übermorgen“ auseinander. Gemeinsam mit den Städten Uslar und Usingen erarbeiteten Absolventen der Zeppelin-Universität in vier Workshops Konzepte für die zukünftige Arbeit von Stadtverwaltungen. Sie entwickelten in diesem Projekt innovative Rollenprofile für Verwaltungsmitarbeiter: Den „Beziehungsmanager“, den „Potenzialentdecker“ und den Wandelgestalter. Nachdem das Projekt mittlerweile abgeschlossen ist gaben Sarah Költzow, Philip Palm und Jonas Kwaschik in Berlin einen Ausblick auf die Dokumentation des Projektes, die in der zweiten Jahreshälfte erscheinen wird.
Gesundheitsversorgung und demografischer Wandel
Der zweite Tag des 15. Deutschlandforums stand im Zeichen der Zukunft der Gesundheitsversorgung und der Auswirkungen des demografischen Wandels auf diesen Bereich. Mediale Panikmache oder reale Versorgungslücke? Auf diese Frage ging Jürgen Graalmann, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes, in seinem Vortrag zu den Herausforderungen der medizinischen Versorgung ein. Grundsätzlich gebe es eine gute medizinische Versorgung in Deutschland. Was Graalmann als Schwierigkeit herausstellte, sei ein Verteilungsproblem: Neben Regionen mit einer Überversorgung mit Medizinern gebe es strukturschwache Gebiete, die nicht nur in Ostdeutschland zu finden seien und über weniger Ärztekapazitäten verfügten als Ballungsräume. Eine tatsächliche „Unterversorgung“ so Graalmann, gebe es jedoch nicht. Um Disparitäten in der Versorgung zu begegnen, sollten die freien Arztstellen in Regionen mit Überversorgung nicht wieder neu besetzt werden. Gleichzeitig müssten finanzielle Anreize für strukturschwache Gebiete geschaffen und die Ausbildung von Allgemeinmedizinern gefördert werden. Eine Erleichterung könnte die Übertragung einzelner medizinischer Dienstleistungen vom Arzt auf mobile Dienste bringen. Auch sollten stationäre und ambulante Strukturen besser aufeinander abgestimmt sein. Hier appellierte Graalmann auch an den Einsatz der Kommunen, regional aufeinander abgestimmte Konzepte zu entwickeln.
Dr. Almut Satrapa-Schill von der Robert Bosch Stiftung lenkte die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Aspekt der medizinischen Versorgung: Die Diskussion um Unterversorgung konzentriere sich zu einseitig auf die Ärzte, während der Mangel an Pflegepersonal außer Acht gelassen würde. Ihre Prognose für die Zukunft sei, dass durch einen Anstieg von chronischen Krankheiten und Alterserkrankungen wie Demenz der ambulante Markt weiter wachse und damit auch der Bedarf an Pflegepersonal. Des Weiteren habe Gesundheit nicht nur etwas mit Krankheit zu tun, sondern auch mit Prävention und Bürgerbeteiligung. So sei Demenz nicht nur ein medizinischer, sondern auch ein zivilgesellschaftlicher Faktor.
„Zusammen denken“: Regionale Versorgungskonzepte
Unter dem Titel „Die Zukunft der Versorgung ist regional“ plädierte Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann von der Universität Greifswald auf Basis von eigens durchgeführten Modellprojekten in seinem Vortrag für innovative Konzepte. Die Ergebnisse praxisorientierter Erhebungen stehen teilweise in Widerspruch zu den theoretischen Durchschnittswerten der Krankenkassen, die im Gegensatz zu Hoffmann kein Problem medizinischer Unterversorgung sehen. Hoffmanns Vorschläge zur Reduktion der Unterversorgung sind breit gefächert. Von zentraler Bedeutung erscheint die Delegation, also die sinnvolle Verteilung von Aufgaben in den Gesundheitsberufen. Es handelt sich um Konzepte, bei denen hoch qualifizierte und gut ausgebildete Arzthelfer Teile der ärztlichen Versorgung übernehmen. Der zum Teil chronisch überlastete Arzt in ländlichen Regionen spart sich die weiten Wege und gewinnt Zeit für die medizinisch schwierigeren Fälle. Unterstützt werden könnten diese Konzepte durch Telemedizin und die Einrichtung von zentralen Gesundheitshäusern, in denen an einem Tag ein Allgemeinmediziner und am nächsten Tag ein Urologe zum Einsatz kommt. Der ambulante und der klinische Bereich müssten zudem stärker miteinander kooperieren und nach regionalen Lösungen suchen. Hoffmann plädierte dafür, die medizinische Bedarfsplanung in die kommunalen und regionalen Planungen mit einzubeziehen. „Zusammen denken“ müsse man, zum Beispiel in Form von multimodularen Service-Zentren, in dem zum Beispiel eine Bank, ein Einkaufsladen und ein Arzt aufeinandertreffen. Die Kommune könne laut Hoffmann, sektorübergreifende Versorgungskonzepte erstellen, kann Räume, Immobilien, Infrastruktur bereitstellen und ehrenamtliche Unterstützung fördern. Hier sei in gewisser Weise die „Stunde der Politik“ gekommen.
Telemedizin als Lösungsansatz
Während Hoffmann die Probleme regional betrachtete, dachte Dr. Klaus Juffernbruch von Cisco Systems eher international. Sein Plädoyer für ein „Gesundheitswesen der Zukunft“ konzentrierte sich auf die Telemedizin: Egal, wie weit die Entfernungen seien, könne durch Telemedizin eine Information von Patient zum Arzt gelangen. Umgekehrt, also der Informationstransfer von Arzt zu Patient, bestehe durch das Fernbehandlungsverbot in Deutschland eine rechtliche Hürde. Juffernbruch betonte, dass Deutschland in diesem Bereich hinter der Entwicklung in anderen Ländern deutlich hinterher hinke. Der Ausbau der Telemedizin würde vor allem den Bedürfnissen von Ärzten und Patienten entgegenkommen. Die Patienten könnten flexibler medizinischen Rat einholen und müssten weniger Wartezeiten auf sich nehmen. Die Ärzte wiederum könnten zum Beispiel durch Heimarbeitsplätze ihre Bedürfnisse nach flexibleren Arbeitszeiten und mehr Freizeit stillen. In einigen Modellprojekten habe sich gezeigt, dass die Ärzte anfänglich skeptisch gewesen seien, später aber von der Arbeitserleichterung sehr angetan waren. Auch die Möglichkeit, über telemedizinische Anwendungen fachliche Expertise von einem Kollegen einzuholen werde als Vorteil erkannt. Juffernbruch warnte allerdings davor, dass Deutschland in dieser Branche den Anschluss verliere, während ausländische Dienstleistungen schon heute auch in Deutschland in Anspruch genommen werden könnten. Insgesamt machte er deutlich, dass telemedizinische Anwendungen einen Beitrag zur besseren Versorgung in Regionen mit geringer Arztdichte leisten könnten.
Das 15. Deutschlandforum des Innovators Club ließ an einer Fülle unterschiedlicher Themen deutlich werden, dass der gesellschaftliche und technische Wandel umfassend ist und nahezu alle Bereiche des tägliche Lebens – und damit auch nahezu alle kommunalen Handlungsfelder – betrifft. Für Städte und Gemeinden ist es von großer Bedeutung, diese Veränderungsprozesse zu erkennen und daraus Zukunftskonzepte abzuleiten. Denn Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Wandel. Für Kommunen gilt es, darauf vorbereitet zu sein um aktiv gestalten zu können.