Ein neues Gutachten mit dem Titel „Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven
für Ostdeutschland“ kommt zu dem Ergebnis, dass die bisherige Regionalförderung für Ostdeutschland erfolgreich war.
„Gemessen an der Ausgangslage im Jahr 1990 hat sich Ostdeutschland in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu einem leistungsfähigen Wirtschaftsstandort mit einer modernen Infrastruktur entwickelt. Ein erheblicher Teil des Rückstandes bei der Produktivität konnte aufgeholt werden. … Allerdings ist die industrielle Basis nach wie vor schwach. Auch sind weitere Wirtschaftszweige, die gemeinhin der Exportbasis von Regionen zugerechnet werden, im Osten unterrepräsentiert, wie die unternehmensnahen Dienste, der Außenhandel, der internationale Verkehr sowie die Finanzdienste. … Alles in allem spielt Ostdeutschland eine nachgeordnete Rolle in der nationalen und damit auch in der internationalen Arbeitsteilung.“
Der Aufholprozess ist langsamer geworden. Das vom Bundesinnenministerium beauftragte Konsortium kommt zu dem Ergebnis, dass es Defizite im Aufholprozess gibt. Dies bedeutet, dass die erkennbaren Strukturprobleme keine besonderen ostdeutschen Phänomene sind, sondern auch in betroffenen westdeutschen Regionen bzw. anderen Industriestaaten für die Strukturschwäche ursächlich sind. Veränderungen von derartigen verfestigten Problemlagen seien nicht von regionalpolitischen Instrumenten zu erwarten, sondern durch ordnungspolitische Maßnahmen.
„Im Kern handelt es sich dabei um Problemlagen, die auch in anderen strukturschwachen Regionen von Industriestaaten zu finden sind. Erfahrungen der Regionalökonomie lehren, dass seitens der Politik keine grundlegende und vor allem schnelle Veränderung der inzwischen weitgehend verfestigten Strukturen möglich ist. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer müssen nun ordnungspolitische Aspekte stärker in den Vordergrund gerückt werden. Das grundgesetzliche Gebot zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ fordert zwar eine an Ausgleichszielen orientierte Wirtschafts- und Regionalpolitik; diese wird aber zunehmend gesamtdeutsch zu orientieren sein und damit alle strukturschwachen Regionen in Deutschland in gleicher Weise behandeln müssen.“
Die wesentliche ordnungspolitische Änderung sehen die Gutachter darin, das Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in einen differenzierten Kielkanon zu übersetzen und diesen in ganz Deutschland anzustreben. Eine wesentliche Rolle kommt dabei den Handelnden vor Ort und in den Regionen zu.
„Insoweit besteht die Herausforderung darin, die Öffentlichkeit von räumlich differenzierten und damit sachgerechten Konvergenzzielen zu überzeugen. Aufgabe muss es sein, von überzogenen Erwartungen an eine Angleichung abzurücken und die Politik stärker auf die Entwicklungspotenziale in den einzelnen Regionen zu fokussieren.
Weil der Bund als übergeordnete föderale Ebene nur geringe Möglichkeiten für effiziente Interventionen in einzelnen Regionen besitzt, wird es vor allem darauf ankommen, dass die Länder – und nicht zuletzt die Akteure in den Regionen selbst – die notwendigen Rahmenbedingungen richtig setzen. In diesem Sinne sollte auch die vor allem verteilungsorientierte Regionalpolitik der EU überdacht werden.“
Das Konsortium, bestehend aus dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH (Federführung), dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung (Niederlassung Dresden), dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, dem Institut für Hochschulforschung Wittenberg, HoF, und dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, RWI, hat ausgehend vom Befund in den Bereichen
1. Öffentliche Wirtschaft
2. Unternehmen
3. Bevölkerung und Arbeitsmarkt
4. Innovationssystem
Herausforderungen und Empfehlungen für die Ordnungspolitik und die Förderpolitik erarbeitet.
Empfehlungen
Der Kern der Empfehlungen ist, dass auf Bundesebene eine für Gesamtdeutschland formulierte Wirtschafts- und Regionalpolitik gegenüber einer regional fokussierten Regionalpolitik maßgeblich sein muss.
Viele der Empfehlungen betreffen auch die Städte und Gemeinden direkt. Eine Auswahl der die Kommunen betreffenden Empfehlungen zeigt, dass sie regionalpolitische und fiskalische Instrumente betreffen, die schon in der Vergangenheit Gegenstand der Diskussion waren und zum Teil schon ihre Umsetzung in der Regionalpolitik auf nationaler Ebene (Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“) gefunden haben oder zurzeit auf europäischer Ebene (neue EU-Strukturfonds) vorgeschlagen werden.
Regionalpolitik
„Der regionalpolitische Förderrahmen soll die Angebots-, also die Forschungs- und Entwicklungsseite sowie die Innovationsseite stärken. Hier sollte eine mit den Ländern abgestimmte konsistente gesamtdeutsche Förderstrategie aufgebaut werden, die vor allem auch den Mittelstand ertüchtigt und damit den neuen Ländern besonders zugutekommt.“
Stadtentwicklung
„Um eine Fehlallokation öffentlicher Mittel zu vermeiden, sollte in der lokalen Stadtentwicklungspolitik verstärkt darauf geachtet werden, bei den Revitalisierungs- und Aufwertungsmaßnahmen eine Konzentration auf die zukunftsfähigsten Standorte und Elemente des Wohnungsmarktes zu realisieren und ökonomische Aspekte - wie die Förderung von Handel und Gewerbe - bei der baulichen Entwicklung stärker als bisher zu berücksichtigen.
Für Revitalisierungen zum Wohle der Allgemeinheit könnte neben vertraglichen Lösungen bei Bedarf auch verstärkt von den Möglichkeiten der Eingriffe in Eigentumsstrukturen Gebrauch gemacht werden. Zur Absicherung dieser Maßnahmen bzw. zur Zahlung von Entschädigungen müssen die Städte allerdings finanziell in der Lage sein. Hierfür könnten z. B. Finanzmittel aus der Städtebauförderung verstärkt umgeschichtet werden.“
Kommunalfinanzen
„Bezogen auf die kommunale Einnahmeseite gilt es in Zukunft, die Einnahmen aus „eigenen Quellen“ zu erhöhen und in gewissem Umfang von der lokalen Wirtschaftsleistung, mindestens aber der konjunkturellen Entwicklung, zu entkoppeln. Ein Umbau des kommunalen Finanzsystems in Richtung auf die stärkere Besteuerung von einkommens- und ertragsunabhängigen Faktoren (z. B. durch eine Orientierung der Grundsteuer-Bemessungsgrundlage an aktuellen Verkehrswerten) sowie die Erweiterung der Bemessungsgrundlage (z. B. bei der Gewerbesteuer auch Einbeziehung von Freiberuflern und staatlichen Einrichtungen mit örtlicher Wertschöpfung oder eine Umwandlung der bisherigen Beteiligung der Kommunen am örtlichen Einkommensteueraufkommen in einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommensteuer mit eigenem Hebesatzrecht) könnte die steuerliche Basis der ostdeutschen Städte wesentlich verbessern und verstetigen.“
Unternehmensförderung für mehr Wachstum, Konvergenz und Heterogenität
„ […] Differenzierte Konvergenzziele [sollten] gesetzt werden, die vorher wissenschaftlich analysiert wurden, um sie in die wirtschaftspolitische Diskussion einzubringen. Gezielte Förderpolitiken sollten generell gegenüber einem eher indirekten, standortprägenden und innovationsorientierten Ansatz in den Hintergrund treten.“
KMU Förderung
„Ordnungsökonomisch muss darauf geachtet werden, dass Nachteile durch Agglomerationssubventionen an dritter Stelle (bspw. in großen Ballungszentren) gar nicht erst entstehen…. In den alten wie in den neuen Bundesländern sollten in Zukunft auf besondere, Standort gebundene Problemlagen fokussierte Fördermaßnahmen im Vordergrund stehen. Förderangebote sollten in bundesweit gültigen Programmen verankert werden, die von Antragstellern überall dort in Anspruch genommen werden können, wo ein entsprechender Förderbedarf besteht.“
Demographie / Immigration
„Für Ostdeutschland spielt eine Immigrationspolitik für qualifizierte Zuwanderer eine besondere Rolle. Auch ist zu prüfen, inwieweit die lokalen Standortbedingungen den Zuzug in- und vor allem ausländischer Fachkräfte erleichtern bzw. erhöhen könnten. Besonders das Bildungssystem hat hier eine erhöhte Bedeutung (beispielsweise internationale Schulen)…. .
Der Bund muss seine Vorhaben zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie bspw. die Bereitstellung von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren, verlässlich umsetzen und ggf. ausbauen.“
Erwerbspotenzial, Arbeitsmarkt
„ Die Unternehmen müssen stärker dafür sensibilisiert werden, in die Ausbildung von Zukunftsberufen und in das Humankapital ihrer Mitarbeiter zu investieren – das sollte vor allem eine Aufgabe der Länder und der Akteure in den Regionen sein.“
Clusterförderung
„[…Clusterförderung sollte] insbesondere in den Regionen, in denen sich zukunftsfähige Ansätze von Clusterstrukturen gebildet haben, deren Entwicklung durch die Förderung verstetigt werden könnte [stattfinden]. Öffentliche Hilfen sollten nur eine Anstoßfunktion besitzen.“
Abweichend und grundsätzlich anders dazu DIW und ifo:
„Die deutsche Forschungspolitik konterkariert die auf Verteilung orientierte Regionalpolitik, weil ihre Mittel vor allem in Regionen mit einem großen Forschungspotenzial fließen – und das sind nicht die strukturschwachen Gebiete. Das ist hinzunehmen, weil die Forschungsförderung auf die Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Innovationstätigkeit ausgerichtet ist. Gleichwohl sind Möglichkeiten zu prüfen, Forschungseinrichtungen in strukturschwachen Gebieten anzusiedeln, die dort die regionale Wirtschaftskraft stärken, und die zugleich die von der Forschungspolitik zugedachten Aufgaben erfüllen.“
Die Studie steht unten auf dieser Seite zum Download als PDF-Dokument zur Verfügung.
Einschätzung des DStGB
Das Gutachten bestätigt in weiten Teilen den Zweck und den Erfolg der bisherigen Regionalpolitik. Völlig zu Recht wird darauf hingewiesen, dass mit dem normalen Ablauf des Aufholprozesses die Angleichungsraten zwischen ostdeutschen und westdeutschen Regionen kleiner werden und dass zunehmend regionalwirtschaftliche Problemlagen in den Vordergrund treten, die nicht mehr durch die planwirtschaftliche Vergangenheit verursacht sind, sondern durch Prozesse, die auch in anderen Landesteilen wirken. Hierzu zählen der wirtschaftliche Strukturwandel ebenso wie der demografische Wandel.
Die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen sind aus kommunaler Sicht zum Teil zu begrüßen.
Regionalförderung muss unabhängig von Himmelsrichtungen an vorhandenen Problemlagen ansetzen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, den Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Städte und Gemeinden zu erweitern. Die Kommunen sind vor Ort am besten mit den Problemlagen vertraut und in regionaler Kooperation am ehesten in der Lage, angemessene Lösungen zu finden. Soweit in der Regionalpolitik finanzielle Förderung eingesetzt wird, müssen die Kommunen über die Verwendung mitbestimmen können.
Regionalpolitik darf aber nicht darauf verkürzt werden, Finanzhilfen auszureichen. Vielmehr muss sie die Lebenslagen der Einwohner von Regionen und die erforderliche Ausstattung mit öffentlichen Daseinsvorsorgedienstleistungen im Blick haben. Diese werden von den Kommunen organisiert und verantwortet. Dazu gehört auch eine ausreichende kommunale Finanzausstattung.
Eine Neiddebatte um Belastung durch bzw. Entzug von Fördermitteln sehen wir als nicht konstruktiv an. Erfreulicherweise befindet sich die Regionalpolitik in Deutschland bereits auf dem Wege, zu einer gesamtdeutschen Regionalpolitik. Sowohl die Gemeinschaftsaufgabe zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, als auch die EU-Strukturpolitik, sind gesamtdeutsch ausgerichtet.
Das Instrument der Investitionszulage und der Solidarpakt II laufen 2019 aus.
Aus Sicht des DStGB sollten die Bedingungen eines kommunalen Solidarfonds unter wesentlicher Beteiligung des Bundes ab 2020 geprüft werden. Ein derartiger Solidarfonds könnte zielgerichtet dazu verwendet werden, verfestigte strukturelle regionalwirtschaftliche Problemlagen aufzulösen, die sich z. B. aus wirtschaftlichem Strukturwandel, Konversion, demografischem Wandel oder Integrationsfragen ergeben.