Rheinischer Merkur: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg will die Wehrpflicht aussetzen. Die Reform der Streitkräfte soll über acht Milliarden Euro Einsparungen im Haushalt bringen. Welche Folgen hätte das für Städte und Gemeinden?
Gerd Landsberg: Das ist das Ende der Wehrpflicht. Dieser Schritt wäre nicht umkehrbar. Ich warne davor zu glauben, das würde eine riesige Sparaktion. Das Geld, das man bei der Bundeswehr spart, wird man an anderer Stelle wieder ausgeben müssen.
RM: Zum Beispiel wo?
Landsberg: Wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird, hat das natürlich Auswirkungen auf die Standorte. Wir haben zurzeit 392 Standortgemeinden mit Schwerpunkten in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Wird die Bundeswehr nun um ein Drittel reduziert, müssen viele dieser Standorte geschlossen werden. Und natürlich muss man den betroffenen Städten und Gemeinden, die der Bundeswehr immer gute Gastgeber waren, bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen helfen.
RM: Fällt die Wehrpflicht, entfällt auch der Zivildienst. Welche Folgen hat das für die Kommunen?
Landsberg: Das wird die Kommunen und die Sozialeinrichtungen hart treffen. Es gibt zurzeit 90 000 Zivildienstleistende, die eine wichtige Rolle bei der Betreuung alter, kranker und behinderter Menschen spielen. Teilweise begleiten sie die Betroffenen über Wochen oder Monate. Ich kann bisher nicht erkennen, wie die Arbeit der Zivildienstleistenden adäquat ersetzt werden soll.
RM: Bundesfamilienministerin Kristina Schröder will einen neuen freiwilligen Zivildienst etablieren. Wäre das die richtige Konsequenz?
Landsberg: Grundsätzlich begrüße ich die Idee eines freiwilligen Zivildienstes. Aber zwischen den 35 000 möglichen Freiwilligen, die der Familienministerin vorschweben, und den 90 000, die heute tatsächlich Zivildienst leisten, klafft eine gewaltige Lücke. Und auch dieser neue Dienst kostet Geld. Man wird die neuen Zivildienstleistenden genauso bezahlen müssen wie jemanden, der bei der Bundeswehr dient. Ich kann bisher aber nicht erkennen, dass diese Mittel im Bundeshaushalt eingeplant wären. Soll der freiwillige Zivildienst erfolgreich sein, muss die Politik außerdem weitere Anreize setzten. Wenn ein junger Mensch, egal ob Mann oder Frau, sich für den Dienst entscheidet, sollte er oder sie zum Beispiel eine Vergünstigung beim Studium bekommen.
RM: Welche Anreize zum freiwilligen Zivildienst können Städte und Gemeinden einbringen?
Landsberg: Städte und Gemeinden können für das System werben, das werden sie auch tun. Sie können einen wichtigen Beitrag zu einer Art Anerkennungskultur leisten. Das machen sie jetzt übrigens auch schon bei der Freiwilligen Feuerwehr und beim Katastrophenschutz. Diese Anstrengungen werden sie weiter verstärken.
RM: Wie sieht es mit einem finanziellen Beitrag aus?
Landsberg: Den sehe ich nicht. Wenn der Zivildienst entfällt, wird sich der Bund überlegen müssen, wie er eine Ersatzstruktur finanziert.
RM: Wie würden Sie die Lücke zwischen 90 000 alten Zivildienstleistenden und 35 000 neuen Freiwilligen schließen?
Landsberg: Man muss überlegen, ob nicht jeder in unserem Staat verpflichtet werden soll, eine bestimmte Zeit für die Gemeinschaft zu arbeiten. Ich weiß, dass das politisch schwer durchzusetzen ist, weil wir in einer Zeit leben, in der immer nur überlegt wird, was der Staat für den Einzelnen tun kann und nicht umgekehrt.
RM: Ein Pflichtdienst würde vor allem junge Frauen und Männer treffen. Aber gerade dieser Altersgruppe kann man nicht vorwerfen, dass sie nichts für die Gemeinschaft tut, wie der Bericht der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ zeigt.
Landsberg: Das ist richtig. Man muss aber auch sehen, dass der Zivildienst nicht nur etwas ist, bei dem der Einzelne etwas für die Gemeinschaft tut. Er erlernt auch Sozialkompetenz. Es ist unstrittig, dass in der beruflichen Entwicklung diese Sozialkompetenz der entscheidende Faktor für die berufliche Zukunft ist. Das sehen wir etwa bei der Freiwilligen Feuerwehr. Das, was die jungen Menschen dort lernen, kommt ihnen natürlich im Beruf zugute. Diesen Gedanken muss man sicherlich auch mit gewichten.
RM: Müsste man bei einem Pflichtdienst Engagement in der Gemeinde oder im Sportverein nicht ähnlich würdigen wie den Ersatzdienst bei der Freiwilligen Feuerwehr?
Landsberg: Das ist zweifellos richtig. Ich kann mir auch vorstellen, dass jemand, der vier Monate lang seine kranke Mutter gepflegt hat, diese Zeit entsprechend angerechnet bekommt.
RM: Halten Sie eine solche Dienstpflicht für verfassungskonform?
Landsberg: Das ist natürlich juristisch umstritten. Trotzdem ist es überlegenswert, ob man so etwas nicht in der Verfassung regeln könnte. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorschlag interessant, einen „allgemeinen Heimatschutzdienst“ einzuführen, sodass die Wehrpflicht zum Beispiel auch im Zivil- und Katastrophenschutz, beim Technischen Hilfswerk oder der Feuerwehr abgeleistet werden kann. Das würde eine weitgehende Wehrgerechtigkeit herstellen. Insoweit bleibt die politische Diskussion abzuwarten.
RM: Der Blick richtet sich fast ausschließlich auf die Jugendlichen. Doch diese Bevölkerungsgruppe wird immer kleiner und muss immer mehr Probleme lösen.
Landsberg: Ich bin der Ansicht, dass wir uns nicht immer nur auf die Jugendlichen verlegen sollten, sondern auch auf die ältere Generation. Es gibt sehr viele aktive Senioren, die man in größerem Umfang als bisher für soziales Engagement gewinnen kann. Da muss es ein Umdenken geben. Die Jugend allein kann unsere Probleme nicht lösen.