Was waren die Gründe, auch in Essen Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung des Haushaltes zu beteiligen?
Auf eine Initiative des Seniorenbeirats der Stadt Essen hin, die Bürgerinnen und Bürger bei der Aufstellung des Haushaltes zu beteiligen, beauftragte der Rat der Stadt die Verwaltung mit der Durchführung einer Machbarkeitsstudie zur Einführung eines Bürgerhaushaltes. Dabei sollte sich die Beteiligung an den Anforderungen an einen Nothaushalt und den notwendigen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung orientieren. Unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklung, einer erstmals mittelfristig drohenden Überschuldung, wurde sowohl die Umsetzung beschleunigt als auch die inhaltliche Ausrichtung maßgeblich beeinflusst. Den Rahmenbedingungen einer Nothaushaltskommune entsprechend richtet sich der Fokus der Bürgerbeteiligung nicht auf die Äußerung zusätzlicher Begehrlichkeiten sondern ausschließlich auf die Bewertung der durch die Stadt vorgegebenen Sparvorschläge und die im Laufe des Verfahrens durch die Bürgerinnen und Bürger eingebrachten Vorschläge. Bürgerinnen und Bürger können sich so informieren, Sparvorschläge bewerten, im Rahmen eines Bürger-Bürger-Dialogs diskutieren, kommentieren und auch eigene Vorschläge abgeben.
Was sind Ihre Erwartungen an die Internetplattform „Essen kriegt die Kurve“?
Die an diese Form der Beteiligung gerichteten Erwartungen gehen in mehrere Richtungen: Zunächst ist mit dem Angebot eine Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für die Finanzlage der Stadt und die mit der drohenden Überschuldung einhergehenden Einschränkungen verbunden. Immerhin kann von politischen Entscheidungsträgern nur begrenzt erwartet werden, sich konsequent gegen die Erwartungshaltung ihrer Wahlbevölkerung zu entscheiden. Entsprechend stehen die Teilnehmer an der Internetplattform vor der gleichen schwierigen Fragen wie die Politiker im Rat, nämlich mit welchen Maßnahmen Haushaltsverbesserungen von 600 Mio. € erreichbar sind, um die mittelfristig drohende Überschuldung der Stadt Essen abzuwenden. Hinzu kommt, dass der Verwaltung und insbesondere den politischen Entscheidungsträgern eine zusätzliche Informationsquelle über das Meinungsbild zu den Sparvorschlägen an die Hand gegeben wird. Schließlich wird auch die Kreativität der Bürgerinnen und Bürger mit möglichen eigenen Sparvorschlägen angesprochen. Die Entscheidung über den Haushalt bleibt selbstverständlich unverändert bei den Ratsmitgliedern selbst.
Gibt es schon ein erstes Zwischenergebnis?
Zwischenergebnis Stand 14.05.2010:
2.500 registrierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer
23.000 Besuche der Homepage
2.000 abgegebene Kommentare
75.000 Bewertungen
184 Bürgervorschläge
Auffällig ist, dass eine ausgeprägte Bereitschaft der Teilnehmer existiert, im Bereich der Kultur Einsparungen mitzutragen (Stand: 14.05.: mehrheitliche Zustimmung zu 22,05 Mio. € der Maßnahmen von insgesamt 22,62 Mio. €). In der Kategorie Kinder-Familie-Jugend-Soziales verhält es sich anders; von Maßnahmen im Volumen von 55.49 Mio. € erhalten 6.23 Mio. € eine mehrheitliche Zustimmung.
Wie stellen Sie sicher, dass die Anregungen der Bürger auch in die Politik bzw. in die Verwaltung einfließen?
Alle Bürgervorschläge werden in einer Datenbank erfasst und den zuständigen Fachbereichen zur weiteren Prüfung auf Umsetzbarkeit zugeleitet. Im Rahmen eines Rechenschaftsberichtes der unmittelbar nach Beendigung des Verfahrens erstellt wird, werden alle Bürgervorschläge ausgewertet, nach Möglichkeit mit einem Sparpotenzial versehen und wiederum im Internet veröffentlicht. Weiter geht dieser Bericht zunächst in den Haupt- und Finanzausschuss sowie letztendlich in den Rat wo über die Umsetzung der Vorschläge beraten und abgestimmt wird.
Wie sehen die Bürger diese Form von Beteiligungsmöglichkeit?
Das Meinungsbild der Bürgerinnen und Bürger reicht von „Super Idee“ bis „Pseudodemokratisches Verfahren“ und wird sehr differenziert diskutiert. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass sich über kein anderes Medium eine so breite Öffentlichkeit bisher an der Diskussion zum Haushalt beteiligt hat. Dies wird insbesondere durch die hohen Besucherzahlen der Internetseite und der dort abgegebenen Kommentare nachhaltig bewiesen.